Literaturarchiv Marbach Wenn Digitales zur Archivalie wird

Von Heidi Falk
Alexander Holz mit dem Laptop der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. Es werden das Gerät, die Festplatte als Ganzes, aber natürlich auch die Inhalte archiviert. Bei dem Laptop handelt es sich um ein Apple iBook (Clamshell) in der Farbe Tangerine, das ab 1999 produziert wurde.   Foto: Werner Kuhnle

Das Deutsche Literaturarchiv Marbach sammelt seit 2008 auch Netzliteratur wie Webseiten, digitale Nachlässe und PC-Spiele. Digital-Kurator Alexander Holz gibt Einblicke in seine Arbeit.

Denkmalgeschützte IT-Infrastruktur“ ist auf einem kleinen Aufkleber an einer unauffälligen Tür im Souterrain des Deutschen Literaturarchivs Marbach (DLA) zu lesen. Der Raum ist der Arbeitsplatz von Alexander Holz. Er ist der stellvertretende Leiter der Stabstelle „Digitales Archiv, Digital Humanities, Forschungsdatenmanagement“ des DLA und mit zwei weiteren Kollegen unter anderem für die digitale Langzeitarchivierung zuständig. Das DLA archiviert im digitalen Bereich beispielsweise digitale Vor- und Nachlässe, Verlagsarchive, E-Mails, Webseiten, Social Media, Podcasts und Computerspiele.

Zocken im Literaturarchiv

„Ja“, sagt Holz im Gespräch mit der BZ und lacht, es gebe tatsächlich die Möglichkeit, im DLA die Spiele zu spielen beziehungsweise daran zu forschen. Archiviert werden in Marbach ausschließlich Spiele mit einem Bezug zur Sammlung und zu deutscher Literatur. Spiele zu Franz Kafka etwa. In diesem Zusammenhang beispielsweise auch das bekannte Horrorvideospiel „Resident Evil – Revelations 2“ von 2015. Darin tauchen nämlich während der Ladebildschirme Kafka-Zitate auf.

In einer ehemaligen Sprecherkabine kann schallisoliert gespielt werden. Es sind übrigens verschiedene Speicherstände hinterlegt, sodass die Forschenden nicht das ganze Spiel durchspielen müssen. Archiviert werden etwa CD-Roms oder die Daten werden über Plattformen wie „Good old games“ heruntergeladen und lauffähig gespeichert.

„Wir kümmern uns um Digitalisate, aber auch um Born Digitals“, erklärt Holz. Ein Digitalisat ist das Ergebnis des Digitalisierungsprozesses. Analoge Informationen, etwa eine Buchseite, werden in eine digitale Form umgewandelt. Born Digitals wiederum haben kein analoges Objekt. Das können beispielsweise Webseiten sein oder digitale Notizbücher. Sie wurden digital erstellt. Vor Kurzem erst hat das DLA beispielsweise das „Perlentaucher“-Archiv übernommen (siehe Infobox).

„Eine durchschnittliche Website existiert mitunter nur wenige Hundert Tage“, sagt Holz und nimmt als Beispiel ein Forschungsprojekt. Wenn das abgeschlossen ist, kümmert sich oftmals niemand mehr um die Seite. Die Ergebnisse würden verloren gehen, wären irgendwann nicht mehr lesbar.

Bei der digitalen Archivierung von Webseiten sei es besonders wichtig, das sogenannte „Look and Feel“ zu erhalten, sagt Holz. Das bedeutet, dass nicht nur der Text als HTML-Code gesichert wird, sondern auch Typografie, Farben, Fotos, die Art, wie die Elemente angeordnet sind. Das ist bei sogenannten Cascading Style Sheets (CSS) gegeben. Über die Jahre hat das DLA mehr als 400 Webseiten archiviert.

Alle Daten werden auf internen Servern und zusätzlich als Backup auf magnetischen Bändern gespeichert. Born Digitals haben dabei einen separaten Bereich.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Wird in der Bibliotheksabteilung des DLA beschlossen, dass eine Internetseite archiviert werden soll, werden die Betreiber der Seite kontaktiert und Verträge ausgehandelt. Um die technische Umsetzung kümmert sich dann das Team um Alexander Holz. Je nach Art der Archivierung arbeite man mit den jeweiligen DLA-Fachabteilungen zusammen.

Alexander Holz ist über mehrere berufliche Etappen zu seiner Stelle als Digital-Kurator gekommen. Durch eine Ausbildung zum Mediengestalter und die Arbeit im Bereich UX-/UI-Design für Software kennt er die technische Seite. Er hat aber auch Kunstgeschichte, Romanistik und Literaturwissenschaften studiert, was ihm einen inhaltlichen Zugang zum Archivieren verschaffte.

In seinem Büro stehen für das digitale Archivieren verschiedene Gerätschaften zur Verfügung, unter anderem eine forensische Workstation. Das ist ein Computer, der unter anderem auch beim Bundeskriminalamt (BKA) zum Einsatz kommt, und der Sicherung und Analyse von Daten dient. Wichtig dabei: „Unser Archivierungsprozess verändert die Zeitstempel nicht. Die Daten, die ins Haus kommen, werden genauso archiviert, wie sie ins Haus kommen.“ Übrigens werden Rechner niemals eingeschaltet. Die Gefahr, dass das Gerät Schaden nimmt – ob durch Viren oder defekte Hardware, die zu einem Brand führen kann – sei zu groß.

Die Festplatte wird ausgebaut und es folgt die Erstellung einer dreiteiligen digitalen Archivkopie: Erstens im 1:1-Verfahren als Bitstream image, wobei der Datenträger exakt und bitweise kopiert wird. Freier Speicherplatz auf der Festplatte wird genauso gesichert wie eventuelle Viren darauf. „Nur einzelne Daten herauszuziehen, wäre zu aufwändig und könnte die Daten und Zeitstempel verändern“, erläutert der Experte. Dadurch sei unter anderem auch weiterhin ersichtlich, in welchen Zeiträumen die Daten entstanden sind oder wann sie bearbeitet wurden. Der zweite Schritt ist, das entpackte Bitstream image zu speichern.

Überführen in ein stabiles Format

Zuletzt werden die auf der Festplatte enthaltenen Dateien in ein langzeitstabiles Format überführt, etwa PDF/A, sodass die Daten heute und in Zukunft ohne Weiteres genutzt werden können. Die Hardware an sich wird meist auch noch archiviert, so auch der Laptop der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff (siehe Foto). In den Regalen warten übrigens noch stolze sieben Terabyte an digitalen Vor- und Nachlässen darauf, archiviert zu werden.

Wie ausgewählt wird, was gesammelt und archiviert werden soll? „Nach Relevanz und unikalem Charakter“, sagt Alexander Holz. Denn auch Digitales ist sehr wohl einmalig und individuell.

Infos

DLA archiviert das Online-Magazin „Perlentaucher“
Das Internetforum www.perlentaucher.de ist ein deutsches Online-Feuilleton, das täglich Presseschauen, Rezensionen und kulturelle Debatten auswertet.

Digitale Langzeitarchivierung im DLA
Seit 2008 sammelt das DLA literarische Blogs und Netzliteratur und reagiert damit auf die Bedeutung des Internets als (experimentelles) Publikationsforum. Die Sammlung wird seit 2024 um soziale Medien, Podcasts, Autorenhomepages, digitales Feuilleton und das Genre Fanfiction (von Fans geschriebene Fortsetzung) erweitert. Dabei strebt das DLA keine Vollständigkeit an, sondern dokumentiert Phänomene sowie neue „Schreibweisen der Gegenwart“, um der Forschung damit auch Digitales zur Verfügung stellen zu können.

 
 
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