Löchgau Eine deutsch-amerikanische Freundschaft

Von Gabriele Szczegulski
Mehr als zehn Mal in 48 Jahren kam Anamaria May-Gamboa (rechts) nach Deutschland, um Gudrun Dalke zu besuchen und ihr in schwierigen Situationen beizustehen. Foto: /Oliver Bürkle

Seit fast 50 Jahren sind Anamaria May-Gamboa aus den USA und Gudrun Dalke, gebürtige Freudentalerin, auch über die Distanz eng befreundet.

Als die Band „Deutsch-Amerikanische Freundschaft“ (DAF) in Düsseldorf gegründet wurde, nämlich 1978, da währte die deutsch-amerikanische Freundschaft von Anamaria May-Gamboa (66) – damals hieß sie noch Fink – und Gudrun Dalke (64) schon fast ein ganzes Jahr. Die Freudentalerin – heute lebt sie in Löchgau – war damals 16 Jahre alt und May-Gamboa war 18 Jahre.

„Zwei ganze Jahre habe ich neben der High School gearbeitet, um den einjährigen Deutschland-Trip bezahlen zu können“, sagt die US-Amerikanerin. Sie wollte eigentlich mit der Agentur „Youth for Understanding“, die es bis heute gibt, in die Schweiz. „Aber mein Deutschlehrer sagte, die sprechen so ein komisches Deutsch, geh lieber nach Deutschland“. Und sie landete mitten im Schwäbischen in Freudental bei den Dalkes.

„Mein Vater hat eine Anfrage nach deutschen Gasteltern in der Zeitung gelesen und fand, das sei eine gute Idee, jemanden aus einem anderen Land kennen zu lernen“, so Dalke. Ihr Vater sei sehr offen für andere Länder und Kulturen gewesen, genauso wie Anamaria May-Gamboas Mutter, eine mexikanisch-stämmige US-Amerikanerin, die schon zwei ihrer drei Kinder zum Austausch nach Mexiko geschickt hatte. May-Gamboa aber wollte lieber Deutsch lernen. „Mein Vater hat deutsche Wurzeln.“ Ihr Mehrfach-Ur-Großvater war ein Deutscher, der im amerikanischen Bürgerkrieg Söldner war, dort auch fiel, aber vorher noch einen Sohn mit einer Amerikanerin zeugte.

Schlechter Start: Alleine auf dem Bietigheimer Bahnhof

Nach einem ersten Sprachkurs in Hamburg reiste Anamaria May-Gamboa mit dem Zug nach Bietigheim-Bissingen. „Die Ankunft war kurzfristig eine Stunde früher, sodass Ani“, so nennt sie Gudrun Dalke, „ alleine auf dem Bahnsteig wartete, das war kein guter Start“.

Ein Jahr lang besuchte die US-Amerikanerin mit Gudrun Dalke das Christoph-Schrempf-Gymnasium in Besigheim – allerdings eine Klasse höher. Denn die 18-Jährige stand kurz davor, das College zu besuchen und hatte die High School schon abgeschlossen.

Ein Jahr lang lebten die beiden jungen Mädchen zusammen, freundeten sich an, stritten miteinander, gingen zusammen auf Partys, verliebten und entliebten sich. Anamaria May-Gamboa lernte die Pünktlichkeit der Deutschen am eigenen Leib kennen. „Ich sollte um 9 Uhr abends zu Hause sein, bei uns ist eine halbe Stunde später keine Problem, schließlich war ich schon 18, aber Herr Dalke sah das anders.“ Sie erhielt eine Standpauke. Noch bis zur Rente erzählte sie die Geschichte ihren Schülern. Anamaria May-Gamboa ist nämliche Deutsch- und Spanisch-Lehrerin geworden. „Wir waren damals und sind bis heute eher Schwestern als Freundinnen, es war ganz normal, wie bei einer Schwester, dass es Ani gibt“, so Gudrun Dalke. Als Ani wieder zu Hause war, schrieben sich die beiden ellenlange Briefe, die mittlerweile eine große Holzkiste füllen.

Zehn Besuche bei ihrer „deutschen Schwester“

Die US-Amerikanerin kam immer nach Deutschland, wenn es einen besonderen Anlass bei ihrer „deutschen Schwester“ gab: das erste Kind, die erste Ehe, die Trennung, die Scheidung – „Ani war immer für mich da“, sagt Dalke. Auch jetzt: Zweieinhalb Monate ist Anamaria May-Gamboa in Löchgau, wo Dalke mittlerweile lebt. Die 64-Jährige kann kaum laufen, hat starke Schmerzen. „Ani hat sofort gesagt, sie kommt und hilft mir“, so Dalke. Zehn Mal in den letzten 48 Jahren war Anamaria May-Gamboa in Deutschland. Auch als sie mit ihrer Mutter 1980 eine Europareise machte, ein „Zwischenstopp bei Gudrun musste sein“. Oder als sie 2007 Sprachkurse beim Goethe-Institut in Berlin und Schwäbisch Hall machte. Auch später, als sie selbst Schüleraustausche nach Deutschland im German American Partnership Programm organisierte, immer musste sie ihre „Schwester“ sehen.

„Ein paar Jahre lang hatten wir keinen Kontakt, da war zu viel los in unserer beider Leben“, sagt Dalke. Aber ihre amerikanische Schwester tat alles, um wieder Kontakt aufzunehmen, sie fand auf Facebook Dalkes Bruder. Gudrun Dalke hatte nie die Gelegenheit für einen Besuch in den USA. „Aber ich werde spätestens zu unserem 50-Jährigen versuchen, Ani zu besuchen.“

Die regelmäßigen Telefonate aber, die Stunden dauern, helfen den beiden Frauen in ihren schlimmsten Stunden. Anamaria May-Gamboas Mann starb 2021 an Covid. „Wir haben stundenlang beide nur geweint am Telefon“, so Gudrun Dalke. Jetzt überwiegt aber das Lachen in den Gesprächen der beiden.

 
 
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