Ludwigsburg Ein außergewöhnliches Klangerlebnis

Von Helga Spannhake
Das Stegreif-Orchester gastierte in der Musikhalle in Ludwigsburg. Foto: /Andreas Essig

Bei den Schlossfestspielen gastierte das auf Improvisationen spezialisierte Stegreif-Orchester am Samstagabend in der Musikhalle. Das Auditorium war restlos begeistert.

Der künstlerische Leiter Lorenz Blaumer und Regisseur Tristan Braun begrüßten das Publikum zu einer kleinen, aber äußerst informativen Einführung vor Konzertbeginn in der Musikhalle. Gefragt nach der Philosophie des Stegreif-Orchesters meinte Lorenz Blaumer, dass das gar nicht so einfach zu beantworten sei: „Wir sind zu einem Drittel Jazzmusikerinnen und -musiker und zu zwei Dritteln klassische Musikerinnen und Musiker“, erklärte er, und stets seien sie auf der Suche nach einem neuen Musikerlebnis. Bekannte Werke werden auseinandergenommen, um sie wieder neu zusammenzusetzen: „Wir wollen ein authentisches Spielerlebnis schaffen“, definierte es Blaumer, während Braun bemerkte, dass das Orchester radikal auf der Suche sei und sich immer wieder neu erfinde.

Aus der Musikgeschichte holen sich die 30 jungen internationalen Musiker Impulse, die sie komplett neu interpretieren, und zwar ohne Dirigent, Noten und auch ohne Stühle. Die so gewonnene Freiheit wird genutzt für Improvisation und Bewegung: So gelangte selbst der große schwere Kontrabass im Konzertsaal von der beleuchteten Bühne in den Zuschauerbereich – Hochachtung für diese Perfektion an Muskelkraft, gepaart mit musikalischer Virtuosität.

Abend unterteilt in vier Kapitel

Zu hören bekam das Publikum Auszüge aus Bachs Brandenburgischem Konzert Nummer 2, Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert in e-Moll, Dvořáks Konzert für Violoncello und Orchester, Rachmaninows Klavierkonzert Nummer 2 sowie Bartóks Konzert für Orchester. Allerdings waren diese Meisterstücke der Musikgeschichte allesamt rekomponiert, zusätzlich mit Improvisationen gespickt und erklangen so in einem brillanten neuen Gewand. Thematisch lag die musikalische Gattung des Solokonzerts zugrunde, was auch der Titel „freesolo“ verdeutlichte. In vier lückenlos aufeinander folgenden Kapiteln stand der Solist beziehungsweise die Solistin im Vordergrund.

Applaus empfing das Orchester beim Betreten des Bühnenbereichs. Dicht an dicht drängten sie sich ins Rampenlicht, versuchten einander zu überholen, denn das Motto des ersten Kapitels lautete: „Jeder will Solist sein“. Erste klagende Geigentöne erfüllten den Raum, gefolgt vom Einsatz der Bläser, aber abgesehen hatten es alle auf das Podest in der Mitte: Soli von Fagott, Flöte und Cello erklangen, bevor sich die Geige in den Vordergrund drängte.

Premiere mit Schlagzeug

Jeder und jede durfte sich ausprobieren: Spaß und Freude an ihrem Musizieren waren allen im Stegreif-Orchester deutlich ins Gesicht geschrieben und ebenso verzückte Gesichter fanden sich in den Reihen der Zuschauer.

Nachdem im zweiten Kapitel Gruppen gegen Gruppen antraten, war das dritte Kapitel mit „Diktatur und Revolution“ überschrieben. Und hier gab es eine kleine Premiere, denn eigentlich war es das Klavier, dem alle folgen sollten, aber bei diesem Konzertabend im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele wurde das Schlagzeug in die Mitte der Bühne geschoben und übernahm die Aufgabe des Tasteninstruments.

Den dominanten Klängen der Pauken näherten sich nach und nach alle Musiker, fügten sich nahtlos ins meisterhaft umgesetzte Klanggeschehen ein. Jazzige und festlich anmutende Klänge wechselten einander ab, bevor die Holzbläser nur auf ihren Mundstücken spielend noch eine komplett andere Klangkomponente in den vor Musik vibrierenden Raum warfen.

Den eindeutigen Höhepunkt aber markierte das vierte Kapitel, überschrieben mit Utopie und dem Wunsch nach totaler Gleichberechtigung. Das Orchester wuchs noch mal über sich hinaus und präsentierte sich klanggewaltig, empfindsam und äußerst gefühlvoll – die Liebe zu jeder einzelnen Note war zu spüren. Nach Verklingen des letzten Tons brach im Publikum der Jubel aus: Mit lauten Juchzern und Standing Ovations bedachte das restlos begeisterte Auditorium die fantastischen Musikerinnen und Musiker.

 
 
- Anzeige -