Wir kümmern uns um die lebenden Patienten“, sagt Prof. Dr. Benjamin Goeppert. Der Ärztliche Direktor leitet das Institut für Pathologie am RKH Klinikum in Ludwigsburg. Rund 60 bis 70.000 Fälle werden hier pro Jahr untersucht. Damit sind vor allem Gewebeproben gemeint, die zunächst präpariert und dann analysiert werden. Hinzu kommen pro Jahr etwa 30 Obduktionen. „Das ist der Unterschied zwischen einem Pathologen und einem Rechtsmediziner, wie er oft in Krimis vorkommt und dort fälschlicherweise als Pathologe vorgestellt wird“, klärt der 46-Jährige einen häufigen Irrtum auf.
Ludwigsburg Pathologie: Ein Blick hinter die Kulissen
Am Institut für Pathologie der RKH Kliniken in Ludwigsburg werden vor allem Gewebeproben von lebenden Patienten untersucht. Zu den 70.000 Fällen pro Jahr kommen etwa 30 Obduktionen.
Pathologie, das ist die Lehre von der Krankheit. „Ein Polyp zum Beispiel ist keine definitive Diagnose“, sagt Goeppert. Erst nach einer gründlichen feingeweblichen Untersuchung kann eine Diagnose gestellt und eine Therapie eingeleitet werden. Dabei arbeiten die behandelnden Ärzte und der Pathologe als „Held im Hintergrund“ eng mit den behandelnden klinischen Kollegen zusammen.
Das Gewebe und die Organe, die in der Pathologie im RKH Klinikum Ludwigsburg untersucht werden, kommen im Erdgeschoss an. Über einen Barcode werden sie mit den Patientendaten verknüpft. Sie stammen aus den RKH Kliniken oder werden von externen Praxen eingeschickt. Eilige Gewebeproben, die während einer Operation entnommen wurden, werden hier per Schnellschnitt untersucht. Die Diagnose wird innerhalb von 20 Minuten telefonisch übermittelt.
Zwei bis vier Mikrometer
Das Gewebe oder Organ, das untersucht werden soll, wird zunächst von außen beschrieben: Größe, Oberfläche und Ränder. Damit der Pathologe die Zellen später am Mikroskop analysieren kann, muss das Gewebe zunächst präpariert werden. Mithilfe eines Geräts wird es zunächst entwässert und anschließend in Paraffin eingeschlossen. Die kleinen Wachsblöcke dürfen nicht zu dick oder zu dünn sein, damit das Gewebe rasch in hauchdünne Scheiben geschnitten werden kann. Hier ist eine ruhige Hand gefragt, denn die Schnitte dürfen nur zwei bis vier Mikrometer (=Tausendstel Millimeter) dick sein. Die Herausforderung: Die feinen Schichten dürfen sich nicht aufrollen oder zusammenfalten. Mit einer Pinzette wird die dünne Schicht in Wasser gelegt, bevor es auf einen Objektträger gebracht wird.
Von der Gewebeprobe werden mehrere Schnitte angefertigt, damit später nicht nur ein Teilbereich unter dem Mikroskop landet. Pro Tag werden mehrere hundert Schnitte angefertigt und anschließend überwiegend automatisiert eingefärbt, erläutert Goeppert. Die Färbungen erleichtern es den Ärzten, die unterschiedlichen Zellen zu erkennen und so eine exakte Diagnose zu stellen.
Beim Blick durchs Mikroskop leuchten die Zellkerne blau, die Tumorzellen lilafarben und das Zytoplasma rosa. Was für einen Laien auf den ersten Blick wie ein leuchtendes Kunstwerk ausschaut, ermöglicht dem Pathologen eine weitreichende Einschätzungen zum Zustand des Patienten. Er kann zum Beispiel erkennen, ob es sich um bösartiges Tumorgewebe handelt und wie weit es gewuchert hat. Und das bei einer extrem geringen Fehlerquote, betont Goeppert: „Wir leisten viel mit wenigen Leuten“, ist er überzeugt. Ihm ist wichtig, dass sein 44-köpfiges Team den Spaß an der Arbeit dabei nicht verliert.
„Ein guter Pathologe ist sich nie zu fein, noch einmal nachzuschauen“
„Für mich sind die Gewebeproben zu lösende Fälle“, sagt der Pathologe, der seit über zehn Jahren ausbildet. Immer wieder ziehen Goeppert und seine Kolleginnen und Kollegen dabei die Fachliteratur zurate, um ihre Beobachtungen durch das Mikroskop mit den neuesten Forschungsergebnissen abzugleichen. „Ein guter Pathologe ist sich nie zu fein, noch einmal nachzuschauen“, sagt Goeppert, der seit zwei Jahren in Ludwigsburg arbeitet, und zeigt auf sein Bücherregal. Bei einer 37-jährigen Patientin wurde eine Entzündung der Gallenblase vermutet, es wurde jedoch ein Tumor entdeckt. Aufgrund zusätzlicher molekularpathologischer Befunde und daraufhin zielgerichteter Behandlung überlebte sie mehr als vier Jahre länger als eine unbehandelte Patientin, sagt Goeppert.
Ihm ist es wichtig, dem medizinischen Nachwuchs bewusst zu machen, dass sie in der Pathologie weit weg sind vom Patienten: „Hinter dem Mikroskop sehen sie nicht das Leid“, sagt er. Bei jeder Probe, die untersucht wird, müsse man sich deshalb fragen: „Würde ich genauso vorgehen, wenn das mein Angehöriger wäre?“
Die meisten Pathologen arbeiten sehr gewissenhaft, ist der 46-Jährige überzeugt. Ihr Ziel: Dem behandelnden Arzt einen aussagekräftigen Befund zu liefern, der ihm bei der Behandlung weiterhilft. Der Kliniker ergänze diesen durch zusätzliche Angaben. Beide zusammen ergeben eine verlässliche Einschätzung. Dabei ist Goeppert pragmatisch: „Ich kann die Realität nicht ändern.“ Vor diesem Hintergrund würde er sich über eine Gewebeprobe freuen, bei der der behandelnde Arzt zum Beispiel einen Tumor genau getroffen habe. Denn dies ermögliche eine rasche Analyse und die beste Behandlung für den Patienten.
Ein Schnellschnitt dauert weniger als 20 Minuten
Besonders schnell muss eine Gewebeprobe untersucht werden, wenn diese während einer laufenden Operation entnommen wird. Der Patient liegt noch in Narkose und der Chirurg wartet auf das Ergebnis. Ein Schnellschnitt dauert weniger als 20 Minuten. Dabei wird auf das Entwässern der Probe verzichtet und ein Gefrierschnitt vorgenommen. Das Gewebe wird bei -26 Grad schockgefroren, geschnitten, auf einen Objektträger aufgetragen, anschließend gefärbt und danach rasch am Mikroskop von zwei Ärzten, Assistenzarzt und Facharzt, begutachtet.
Historisch betrachtet wurde in der Pathologie zum Beispiel noch im 17. Jahrhundert vor allem das erkrankte Organ mit dem bloßen Auge auf Veränderungen untersucht. Später verlagerte sich der Fokus auf die feingewebliche und zelluläre Untersuchung. Heutzutage ist die Pathologie morphomolekular, das heißt zu den feingeweblichen Untersuchungsmethoden kommt die Molekulardiagnostik hinzu und liefert neue Erkenntnisse. Neuerdings gewinnt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz an Bedeutung. Heute fließen alle Aspekte in die Untersuchungen ein. Goeppert schätzt, dass dieser Mix aus Verfahren wahrscheinlich auch in zehn Jahren noch gängig sein wird.
„Jeder ist fehlbar“
Dem Ärztlichen Direktor ist bei seiner Arbeit vor allem Transparenz wichtig: „Jeder ist fehlbar“, sagt Goeppert, „man muss sich immer hinterfragen.“ Für ihn sind Korrekturen Zeichen einer guten Pathologie: „Jeder, der keine Fehler macht, verbirgt etwas.“
Vor dem Hintergrund der geplanten Gesundheitsreform wünscht sich der Pathologe, dass die großen Maximalversorger nicht hinten herunterfallen. Denn die meisten Patienten würden hier versorgt und nicht an den Unikliniken.
„Natürlich können wir auch obduzieren“, sagt Goeppert. Doch die Anzahl der Fälle halte sich in Grenzen. In Ludwigsburg werden rund 30 Sektionen vorgenommen. Ein Beispiel: Ein Patient ist verstorben, die Todesursache ist unklar. Der Staatsanwalt gibt die Leiche frei, weil es keine Anzeichen für ein Verbrechen gibt. Doch der behandelnde Arzt möchte wissen, woran der Patient gestorben ist. Einer Obduktion durch einen Pathologen müssen die Angehörigen zustimmen. Je nach Erkrankung könne das Ergebnis jedoch auch für die Familie wichtige Erkenntnisse etwa über Erbkrankheiten bringen.
Derzeit sind die häufigsten Todesursachen in Deutschland Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. „Die Wahrscheinlichkeit, dass man als Patient zu Lebzeiten einen Pathologen braucht, liegt bei nahezu 100 Prozent.“