Ludwigsburg Schlossfestspiele glänzen mit Opern-Projekt

Von Dietmar Bastian
Ein Erzählkollektiv, bestehend aus 14 Jugendlichen, kommentiert die Geschichte auf einer Metaebene. Foto: /Martin Sigmund

Vergessenes Mozart-Fragment „Zaide“ wird im Schlosstheater in einer hinreißenden Inszenierung mit viel Hirn und Herz zum Leben erweckt.

Die Geschichte des unvollendet gebliebenen Mozart-Singspiels „Zaide“ ist schnell erzählt: Der türkische Sultan Soliman liebt seine Sklavin Zaide, die ihren Herrn aber widerwärtig findet. Ihr Herz gehört dem Sklaven Gomatz. Eine vierte Person, der Aufseher Allazim, vervollständigt das Spannungsfeld. Opernliebhaberinnen und -liebhaber werden sofort an die 1782 uraufgeführte Oper „Die Entführung aus dem Serail“ erinnert, die vom Setting her dieselbe Geschichte aufweist: Aus Zaide wird dort Konstanze, aus Gomatz Belmonte, aus Soliman Bassa Selim, allein Allazim findet keine Entsprechung.

Einblicke in die Psychologie

Ob die 1779 begonnene, aber nie fertiggestellte „Zaide“ eine Opera buffa oder eine Opera seria werden sollte, lässt sich aus mehreren Gründen nicht eindeutig feststellen: Erstens ist das Libretto von Johann Andreas Schachtner verloren gegangen, zweitens hat Mozart weder eine Ouvertüre noch einen Schluss komponiert, und drittens fehlen die Rezitative, die vermutlich aufzeigen könnten, was geplant gewesen war. Erhalten sind wunderbare Arien, ein Duett, ein Terzett und ein Quartett, die keinen Vergleich mit denen späterer Mozart-Opern scheuen müssen, aber über die Handlung wenig aussagen. Sie gewähren allerdings tiefe Einblicke in die Psychologie der tragenden Figuren.

Dass die Ludwigsburger Schlossfestspiele sich – in enger Kooperation mit der Staatsoper Stuttgart – des Zaide-Stoffes angenommen haben, ist, wenn man es vom Ergebnis her betrachtet, ein kleiner Geniestreich. Darin, dass rund um „Zaide“ so vieles unklar und unbekannt bleibt, lag für das Team um Jessica Glause, die Regie geführt hat, auch enormes gestalterisches Potenzial. Drei Fragen dürften für die Inszenierung ausschlaggebend gewesen sein: Wie soll man heute mit einer „Türkenoper“, die vor Rassismus und Islamfeindlichkeit geradezu überquillt, umgehen? Wie kann man den Stoff in die heutige Lebens- und Denkwelt übertragen? Und wie lässt sich eine Bühnenfassung herstellen, die aktuelle ästhetische Bedürfnisse berücksichtigt?

Antwort: Es ist fantastisch gelungen. Jessica Glause und ihr Dramaturg Christoph Sökler haben ein „Erzählkollektiv“, ein junges Ensemble aus 14 Jugendlichen, ins Leben gerufen, das auf einer Metaebene die Geschichte kommentiert und aktualisiert. Zu den zwölf Mozart-Nummern kommen Kompositionen und Liedtexte von Eva Jantschitsch hinzu, die zwar modern sind und sich dem Rap-Genre annähern, aber trotzdem an die Vorlage anschmiegen.

Die Kostümierung der Jugendlichen, ihre Natürlichkeit und Sprache vermitteln wunderbar zwischen der altbackenen Haremsgeschichte und aktuellen Problemlagen. Es sind türkische und arabische Mädchen darunter, die die Frage nach dem heutigen Frauenbild in ihren Herkunftsländern aufwerfen, die den Sultan auf Türkisch ansprechen, der aber nicht antwortet, weil er kein Türkisch versteht.

Unfertigkeit gilt es auszuhalten

Die Handlung kippelt zwei Stunden lang zwischen den vier Hauptpersonen und aktuellen Perspektiven hin und her. Aus Sklaven werden moderne Dienstleister, Pizzaboten oder Kassiererinnen bei Aldi. Das „Erzählkollektiv“ erwägt am Schluss, wie die Geschichte ausgehen könnte, legt sich aber nicht fest. Diese Unfertigkeit gelte es auszuhalten und trotzdem zu genießen, resümieren die Jugendlichen. Ganz großartig das Solistenquartett aus Natasha Te Rupe Wilson (Zaide), Moritz Kallenberg (Gomatz), Torsten Hofmann (Sultan Soliman) und Andrew Bogard (Allazim). 16 Musikerinnen und Musiker des Staatsorchesters Stuttgart unter Vlad Iftinca begleiten die Gesangsstücke und Melologe (eine Besonderheit in „Zaide“). Das Publikum ist zurecht begeistert. Das ist ganz großes Theater im kleinen Schlosstheater.

 
 
- Anzeige -