Ludwigsburg Visionär am Klavier

Von Susanne Yvette Walter
Alexandre Kantorow in Ludwigsburg. Foto: Reiner Pfisterer

Bei den Schlossfestspielen in Ludwigsburg bestätigt Alexandre Kantorow seinen Ruf. Er stellt die Romantik neu auf und sorgt zum Abschluss für Begeisterungsstürme beim Publikum.

Sein Ruf eilt ihm voraus: Der Franzose Alexandre Kantorow erfindet mit seinen 26 Jahren die Romantik am Flügel neu und hält auf seinem Eroberungsfeldzug bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen an. Im Ordenssaal verzaubert er am Samstagabend Hunderte mit markanter Literatur von Johannes Brahms, Franz Liszt und Franz Schubert. Wie er die Epoche der Romantik abbildet, ist beispiellos. Der junge Franzose gewann 2019 mit 22 Jahren den Grand Prix und die Goldmedaille beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Das war seine Eintrittskarte für die internationale Bühne.

Seine Leidenschaft legt er mit facettenreichem Fingerspitzengefühl in die Tasten. Kantorow braucht kein Pathos, verzichtet auf schwulstige Gesten, um die Romantik wachzuküssen. Vielmehr lässt er die Komposition sprechen und fördert das Charakteristische der Epochenköpfe ans Licht – schlank und schlicht wie ein Übersetzer.

Ein Dolmetscher an den Tasten

Darüber hinaus erschafft er ein rasant brennendes Feuerwerk aus Emotionen, fulminanten Läufen und vollem Leben. Seine Finger finden zwei Stunden lang natürlich die Wege ohne Noten durch den Dschungel an Empfindungen. Der Franzose versteht es, Farbe zu bekennen und versteht sich als Dolmetscher der großen Romantiker. Seine Lieblingsepoche weitet er 2022 mit 25 Jahren aus auf den Impressionismus und spielt zwei Klavierkonzerte von Saint-Saëns neu ein. Das Ludwigsburger Publikum hängt trotz Sommerhitze im Ordenssaal an seinen Fingern, erlebt Brahms neu in seiner Klaviersonate in C-Dur. Das Werk bietet alles, um Brahms als vielschichtigen Epochen-Vertreter auszuzeichnen: Rasante Läufe lassen aufbrausende Gefühle aufkommen. Der Mittelteil ist eine Hommage an die Minnelyrik aus mittelalterlicher Zeit. Im Scherzo weiß man endgültig, dass er sich nicht drängen lässt vom Sturm und Drang des romantischen Zeitgeistes, sondern jede Note bewusst einbaut in ein Gesamtkunstwerk.

Kantorow formuliert Gedanken aus und bringt sie auf den Punkt. Franz Liszt erscheint auf der Bildfläche und der gefeierte junge Weltpianist bildet seine Transkription von Franz-Schubert-Liedern ab. Er streift mit „dem Wanderer“ durch die Natur und entdeckt ihre Schönheit neu. Er beschreibt im Gegenzug „die Stadt“, formuliert den Gesang der Schwäne neu und streift die Müllerlieder des großen Liederschreibers. Seine Wanderung durch die Epoche gipfelt in Schuberts Wanderer-Fantasie, ein Werk das sämtliche Emotionen entflammt, die feinen, melancholischen wie die wilden ungezügelten, die dem Seelenleben freien Lauf lassen. Der Franzose räumt ab im letzten Drittel, zeigt noch einmal welche rasante Fingerfertigkeit und Dichte an Gefühlen in ihm steckt und erstellt sich selbst dabei ein markantes Charakterprofil.

Am Ende tobt der Saal. Die Reihen stehen geschlossen auf und feiern den Visionär, der sich zum Anwalt der Gefühle macht in einer viel zu nüchternen Zeit.

  Susanne Yvette Walter

 
 
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