Ludwigsburger Mordprozess „Draußen ist einer, der bringt Leute um“

Von Henning Maak
Der Mordprozess geht am 1. Mai weiter. Foto: /Oliver Bürkle

Im Verfahren am Landgericht Stuttgart um den Tod eines 79-jährigen Rentners in Ludwigsburg haben zwei Frauen den Täter im Gerichtssaal wiedererkannt. Zeugen leiden noch heute unter den Folgen und berichten im Prozess anschaulich von dem, was sie gesehen haben, und den Folgen.

Der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann tat alles, um die Zeugin so gut wie möglich zu schützen. Er bat den Dolmetscher, sich so zu setzen, dass ihr der direkte Blick auf den Angeklagten erspart blieb. Und als die 40-Jährige einen Seitenblick auf den Mann warf, forderte Winkelmann sie auf: „Schauen Sie zu mir, wir wollen ihre Befragung so schonend wie möglich gestalten.“

Doch trotz des großen Einfühlungsvermögens aller Prozessbeteiligter liefen der Frau im Lauf der einstündigen Befragung die Tränen über die Wangen. Sie schilderte am dritten Tag des Mordprozesses gegen einen 44-jährigen Mann, wie sie den Angriff auf das 79-jährige Opfer und die drohende Gefahr für ihre siebenjährige Tochter im August vergangenen Jahres in der Danziger Straße in Ludwigsburg erlebt hatte.

Völlig unvermittelt eingestochen

Sie habe sich sehr gefreut, den 79-Jährigen an diesem Tag nach langer Zeit wieder einmal zu sehen. Sie kenne ihn seit mehr als 20 Jahren, er sei wie „ein richtiger Opa“ für sie gewesen. Der Mann habe ihrer Tochter eine Banane angeboten, die er zuvor auf dem Markt gekauft hatte. Völlig unvermittelt sei dann der Angeklagte hinter dem 79-Jährigen aufgetaucht, habe ein Messer gezückt und auf ihn eingestochen. „Erst als ich Blut laufen sah, habe ich realisiert, was da gerade passiert“, schilderte die Frau.

Der Mann habe dann mit dem Messer in der Hand ihre Tochter angeguckt. „Dann habe ich geschrien, ruft die Polizei“, so die 40-Jährige weiter. Sie erinnere sich noch, dass sie wie blockiert gewesen sei und es nicht geschafft habe, ihre Tochter auf den Arm zu nehmen. „Ich habe sie an die Hand genommen und die Straße runter gezerrt“, erklärte die Mutter. Sie sei dann in einen Barber-Shop geflüchtet und habe den Inhaber gebeten, das Geschäft abzuschließen. „Da draußen ist einer, der bringt Leute um“, hatte sie dem Inhaber gesagt.

Anschließend sei sie nach Hause gegangen und habe ihre Tochter in die Obhut ihrer älteren Tochter gegeben, um zu dem alten Mann zurückzugehen. „Da war schon die Polizei da. Ich habe mich dann auf den Boden gesetzt und bin zusammengebrochen“, erinnerte sie sich unter Tränen. So etwas Schreckliches habe sie noch nie erlebt. Sie mache sich bis heute Vorwürfe, dass sie dem 79-Jährigen nicht geholfen und sich nur um ihre Tochter gekümmert habe.

Sowohl der psychiatrische Sachverständige Peter Winckler als auch Richter Winkelmann versuchten, der Frau ihre Schuldgefühle zu nehmen. „Sie haben überhaupt nichts falsch gemacht, und es ist völlig normal, dass eine Mutter zuallererst nach ihrem Kind sieht“, meinte Winckler. Und der Vorsitzende Richter ergänzte, sie habe auch gar keine Chance gehabt, dem 79-Jährigen zu helfen. Die Stichverletzungen seien so schwer gewesen, dass er nicht mehr zu retten gewesen sei.

Die Frau berichtete weiter, dass sie bis heute unter den Folgen dieser Tat leide. „Ich habe Flashbacks und immer noch Angst, wenn sich jemand von hinten nähert“, erzählte sie. Sie habe auch alle großen Messer aus ihrem Haushalt entfernt. Bis heute habe sie Phasen, wo ihr Energie und Lebensmut fehlten, sie habe lange nicht über den Vorfall reden können. Um den Tatort mache sie bis heute einen großen Bogen. „Und meine Tochter sagt manchmal: Mama, heute Nacht habe ich wieder von dem bösen Mann geträumt“, ergänzte die 40-Jährige.

Ungerührter Angeklagter

Den Mann auf der Anklagebank, der die Aussage äußerlich ungerührt verfolgte, erkannte die Mutter als den Täter wieder. „Ich werde nie vergessen, wie er meiner Tochter in die Augen geschaut hat“, erklärte sie. Auch eine weitere Zeugin, die ebenfalls mit ihrer Tochter am Tatort vorbeigekommen war, erkannte den 44-Jährigen wieder. Sie war in ein Tattoo-Studio geflohen und hatte ein Video des davoneilenden Mannes gemacht. „Meine Tochter kann seitdem nachts nicht mehr alleine schlafen, und ich gehe bei Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus“, schilderte sie.

Nach seiner Festnahme war der Angeklagte einen Monat lang in Untersuchungshaft, seit Anfang September ist er vorläufig im Zentrum für Psychiatrie in der Weissenau untergebracht. Abhängig von der Einschätzung eines Gutachters ist es möglich, dass am Ende keine Verurteilung wegen Mordes steht, sondern die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wird. Der Prozess wird am 1. März fortgesetzt, das Urteil soll am 19. April verkündet werden.

 
 
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