Markgröningen Holocaust-Gedenken: „Es sind Menschen wie Sie und ich“

Von Jonathan Lung
Vor dem Mahnmal der Habila versammelten sich am Freitag Menschen zum Gedenken an Nazi-Opfer. Foto: Werner Kuhnle

Am Mahnmal der Habila wurde nach der Coronapause wieder gemeinsam der Opfer der Nazi-Diktatur gedacht. Am Beispiel von Fritz Bächle wurde am Freitag in Markgröningen gezeigt, wie seelisch Erkrankte ermordet wurden.

Der Blick auf Besigheim, die Dunkle Gasse in Markgröningen, ein Fachwerkhaus in Bietigheim: es sind Motive, die vielen bekannt sind – und die auch Friedrich „Fritz“ Bächle auf seinen ausgedehnten Radtouren im Ländle vor bald 100 Jahren sah. Der vierfache Familienvater aus Stuttgart hielt damals an, griff zu Papier und Stift und zeichnete die Orte. Eine ordentliche Mappe an Zeichnungen kam so zusammen. An ihn und viele andere wurde am Freitag erinnert: Am Mahnmal der Habila Markgröningen hatte sich am Abend des Gedenktags der Opfer des Nationalsozialismus eine Gruppe für eine Schweigeminute versammelt, um den Menschen zu gedenken, die wegen ihrer Andersartigkeit getötet wurden.

Bächle als Beispiel

Es war das erste Mal nach zwei Jahren Pandemie, dass dies wieder möglich war. Zu den beiden zurückliegenden Gedenktagen habe man sich mit Videos auf der Homepage beholfen erzählt Edeltraud Balzer vom AK Mahnmal. Dieses Jahr wurde wieder gemeinsam gedacht, auch mit einem Vortrag über ein Schicksal, in dem dieses Mal Friedrich Bächle als Beispiel für so viele vorgestellt wurde.

Denn Bächles Leben änderte sich – zum Schlechteren: In den 30er-Jahren beginnt sich sein Verhalten zu verändern, er tritt aus der Kirche aus, fühlt sich verfolgt und hört Stimmen. Als er 1931 in der Wirtschaftskrise seine Arbeit verliert, ist das eine weitere Belastung. Schließlich wird im Bürgerhospital Stuttgart eine Form der Schizophrenie diagnostiziert. Der Arzt sieht seinen Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg als Auslöser.

In der Heilanstalt Christophsbad in Göppingen soll ihm geholfen werden. Doch am 9. September 1940 holt ihn einer der grauen Busse der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft” ab. Im Zuge der im Vorjahr beschlossenen Aktion „T4“ wird er nach Grafeneck bei Münsingen „verlegt“ – noch am selben Tag wird er mit Gas ermordet.

Seine Ehefrau Eugenie hatte am 24. Mai 1940 schon das gleiche Schicksal erlitten: Nach der Einweisung des Vaters allein für die vier Kinder verantwortlich, hatte sie einen Zusammenbruch erlitten. Eine Psychose wurde diagnostiziert, was zuerst auch ihre Einweisung in eine Heilanstalt und schließlich ihre Ermordung bedeutete. Auch sie starb in Grafeneck.

Die Wohnung wurde von den Behörden aufgelöst, die Kinder in Heime gebracht. Der einzige Sohn starb 1942 im Russlandkrieg, nachdem man ihn eingezogen hatte. Viele Jahre vergingen, bis eine der drei Schwestern wiederum ihrem Sohn eine dicke Mappe in die Hand drückte: Die Zeichnungen, die Fritz Bächle damals angefertigt hatte. Der Enkel, Reinhard Hintz, entschloss sich, die Geschichte des Großvaters aufzuarbeiten und bietet nun vergrößerte Kopien der Zeichnungen zum Selbstkostenpreis und etwaige Spenden an.

120 Opfer in Markgröningen

„Lebensunwert“ war die Bezeichnung, die die Nationalsozialisten Menschen wie Fritz und Eugenie Bächle gaben, ebenso wie insgesamt 120 damaligen Opfern, die aus Markgröningen stammten: „Sie waren Teil unseres gesellschaftlichen, politischen und sozialen Lebens“, betonte Bürgermeister Jens Hübner, „es sind Menschen wie Sie und ich.“

„Traces of these lives“ war der Titel eines der Lieder, die Niels Noortwijck und Marc Haiber eigens für die Gedenkveranstaltung komponiert hatten: Spuren von Leben, die nicht verwischt werden dürften – so wenig wie das bei den in die Glasplatten des Mahnmal gebrannten Namen der Markgröninger Opfer der Fall ist. Man werde noch lange und viel zu berichten haben, sagte Balzer mit einem traurigen Lächeln.

 
 
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