Mordprozess um Tabitha E. Besitzdenken als Mordmotiv

Von Heidi Vogelhuber
Blick in den Gerichtssaal am zweiten Prozesstag. Foto: /Oliver Bürkle

Der psychiatrische Gutachter geht davon aus, dass der Angeklagte Tabitha E. aus Asperg aufgrund von patriarchalen Denkmustern ermordet hat. Eine Affekttat schließt er aus.

Ich gehe aus deinem Leben, aber ich nehme dich mit“, diese Aussage stammt vom 36-jährigen Naim A., der angeklagt ist, Tabitha E. aus Asperg ermordet zu haben. In einem Chat schrieb er dies der 17-Jährigen. Für Dr. Wolfgang Wagner, der vom Landgericht Stuttgart im Mordprozess als psychiatrischer Sachverständiger zu Rate gezogen wurde, zeigt diese Aussage nicht nur, welcher Gesellschaft der syrische Staatsangehörige entstammt. Es zeige auch, das patriarchale Denkmuster, das ein mögliches Motiv für den Femizid an der jungen Frau ist.

Keine verminderte Schuldfähigkeit

Am sechsten Prozesstag zeichnete der 76-jährige Nervenarzt und Diplom-Psychologe aus Karlsruhe ein Bild des Angeklagten, das er vor allem auf Zeugenaussagen stützen musste, denn mit ihm reden, wollte der Angeklagte nicht. Eine Psychose oder krankhafte, seelische Störung könne er ausschließen, so der Gutachter. Damit kommt eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Frage. Auch liege keine Intelligenzminderung vor. Im Gegensatz zu vielen geflüchteten Männern, die aus dem arabischen Raum nach Deutschland kämen, sei der Angeklagte sogar positiv aufgefallen. Er arbeite schon seit 2017 beim gleichen Arbeitgeber, habe Gehaltserhöhungen erzielt, sich eine Wohnung genommen, den Führerschein erfolgreich bestanden. Vermutlich entspreche dieses Verhalten Werten, die er von Zuhause kenne.

Auffällig sei seine Fokussierung auf Mädchen. Erwachsenen gegenüber sei er eher schüchtern und zurückhaltend, so beschrieb ihn auch sein Chef. Zwar habe er zwei ungefähr gleichaltrige Freunde, jedoch „keine Kontakte zu erwachsenen Frauen“, so Wagner. Sein Bruder wiederum, der als einziger aus der Familie nicht im Nahen Osten, sondern in Berlin wohnt, habe angegeben, dass sie aus einer konservativen Familie stammen.

Naim A. sei größtenteils in Männergemeinschaften aufgewachsen. Er habe beim Militär gedient, als Handwerker und Bauarbeiter in Männerdomänen gearbeitet, sei anfangs in Deutschland in einem Flüchtlingsheim untergebracht gewesen. Kontakt zu gleichaltrigen Frauen sei ihm fremd. Und doch habe er heterosexuelle Bedürfnisse, die er ersatzweise auf die jungen Mädchen projiziert habe, so der Psychologe. „Er fühlt sich den Mädchen gegenüber wohl sicherer“ – und überlegen. Wertehaltungen seien im Alter von 28 Jahren, als er nach Deutschland kam, gefestigt. Auch wenn er äußerlich eine Anpassung gezeigt habe, sei er innerlich nicht mit den hiesigen Werten einverstanden gewesen. „Das ist eine schwierige Situation für jungen Männer“, so Wagner. Wenn jedoch das Emotionale da sei, habe das Rationale keine Chance.

Gutachter schließt Affekttat aus

Dass es sich jedoch um eine Affekttat gehandelt haben soll, das schließt der Psychologe aus. Die rationalen Verhaltensmuster, die der Angeklagte an den Tag legte, etwa das Wegschaffen der Leiche und das Bedienen des Handys der Toten, sprächen dagegen. Und auch die Tat selbst, so wie sie rekonstruiert wurde. Denn die Rechtsmedizinerin geht anhand der Verletzungen an Rücken und Rumpf sowie den Quetschungen am Hals davon aus, dass der Täter das Mädchen erst durch ein Abdrücken der Hauptschlagadern bewusstlos gemacht und anschließend auf dem Brustkorb kniend mit den Händen erwürgt hat. Bis Todeseintritt habe das mindestens fünf Minuten gedauert. Zu lange für eine Affekthandlung.

Datenanalyst wertet Mobiltelefone aus
Ein 30-jähriger Datenanalyst der Kriminalpolizei Böblingen erstellte durch das Auswerten von Funkzellendaten und dem Abgleichen mit den Verbindungsdaten der Mobiltelefone von Tabitha E. und dem Angeklagten Naim A. einen Zahlenstrahl, der das Bewegungsmuster der beiden am 12. Juli 2022, dem Todestag der 17-jährigen Aspergerin, nachgezeichnet. Da das Handy des Angeklagten vorliegt, konnten GPS-Satelliten-Daten extrahiert werden. Das Handy von Tabitha E. ist nicht gefunden worden. Jedoch kann nachvollzogen werden, wann sich ihr Handy in Funkmasten eingebucht hat. Vor allem durch die verzweifelten, permanenten Versuche ihres Freundes „G“, sie zu erreichen – ob per WhatsApp-Nachricht oder Anruf – wählte sich das Handy immer wieder neu in Funkmasten ein, die mit den GPS-Daten des Angeklagten in Verbindung gebracht werden können. Dass Tabitha E. zwischen circa 17.30 und 21 Uhr beim Angeklagten war, ist für den Datenanalysten sehr wahrscheinlich. Naim A. übrigens hat ausgesagt, den Abend alleine zu Hause verbracht zu haben. Dem widersprechen die Daten eindeutig.

So geht’s weiter
Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen. Der nächste Prozesstag ist Mittwoch, 24. Mai. Dort sollen in nicht öffentlicher Sitzung die Plädoyers gehalten werden. Und auch das Urteil soll am siebten Prozesstag bereits fallen. Der angedachte achte Prozesstag entfällt somit.

 
 
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