Was passiert mit Kindern, deren Vater oder Mutter ins Gefängnis muss? Am Sonntag, 6. November, hat es zu diesem Thema eine Doppelführung im Museum Hohenasperg gegeben. Dr. Franziska Dunkel vom Haus der Geschichte erklärt die historische Sicht, die ehemalige Leiterin der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd, Sibylle von Schneider, die heutige Perspektive. Die BZ hat im Vorfeld mit beiden gesprochen.
Museum Hohenasperg Mütter und Väter in Haft
Und was geschieht dann mit den Kindern? Wie es früher auf dem Hohenasperg war und wie es heute in der Mutter-Kind-Abteilung der Strafvollzugsanstalt für Frauen in Schwäbisch-Gmünd läuft. Historikerin Dr. Franziska Klein und die ehemalige Leiterin der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd, Sibylle von Schneider, berichten.
„Es gab tatsächlich ein Kind, das auf dem Hohenasperg gelebt hat: Oskar List, der vierjährige Sohn von Friedrich List lebte 1824 für einige Zeit bei seinem Vater“, sagt Franziska Dunkel: „Heute undenkbar.“ List war als Landtagsabgeordneter wegen Beleidigung inhaftiert worden. Warum der Junge im Gefängnis lebte, ist nicht klar. In einem Brief von List hatte der Junge einige Zeilen geschrieben: „Liebs Mutterle - Bald komm ich mit dem Vater zu Dir und Deiner Lis und Deiner Mille (die Schwestern Elise und Emilie). Das hat Oskar List geschrieben“.
Gotteszell in Schwäbisch-Gmünd
Das frühere Kloster Gotteszell in Schwäbisch-Gmünd ist heute die einzige Strafvollzugsanstalt für Frauen in Baden-Württemberg. In der Mutter-Kind-Abteilung mit elf Plätzen werden nur Frauen aufgenommen, deren Kinder bis zu drei Jahre alt sind. Ältere Kinder würden deutlich wahrnehmen, wo sie sich befinden, sagt Sibylle von Schneider: „Aus pädagogischer Sicht wäre das nicht hilfreich.“ Vater-Kind-Abteilungen gibt es in deutschen Gefängnissen bisher nicht.
Die Mütter leben mit ihren Kindern in einem offenen Wohnbereich in einem eigenen Gebäude. „Bis auf die Arbeitszeit sind sie für die Betreuung ihrer Kinder selbst verantwortlich“, sagt von Schneider. Die Mütter schlafen mit ihrem Kind in einem Raum. Während der Arbeitszeit, die sie zum Beispiel in der Schneiderei, Wäscherei, Küche oder im Garten verbringen, werden die Kinder im Hort der Einrichtung betreut. „Uns ist es wichtig, dass sich die Frauen an einen konsequenten Tagesablauf gewöhnen“, sagt von Schneider.
Keine Handys erlaubt
Fernseher gibt es nur im Gruppenraum, Handys sind in der Haft verboten. Im Vordergrund stehe die Entwicklung der Erziehungs- und Teamfähigkeit der Mütter. Denn in der Haft gehe es auch darum, dass sich die Frauen, die oft wegen Beschaffungskriminalität, Diebstahls oder Drogenhandels verurteilt worden sind, sich darüber Gedanken machen, was sie in ihrem Leben künftig anders machen müssen.
Im 18. Jahrhundert kam im Gefängnis Hohenasperg mindestens ein Kind auf die Welt, wie das Beispiel von Luciana Fischer zeigt. Sie war die Geliebte des Juden Joseph Süß Oppenheimer, Finanzbeamter eines unbeliebten Herrschers. Mit rund 70 anderen Mitarbeitern wurde er nach dem Tod des Herrschers verhaftet. Die Anklage lautete auf Bestechlichkeit, Hochverrat, wobei laut Dunkel nichts davon belegbar war. So blieb die Urteilsbegründung vage: Tod durch den Strang wegen „an Herren und Land verübten verdammlichen Mißhandlungen”. Auch Süß Oppenheimers Sexualleben wurde untersucht, man warf ihm „Verbotene Gemeinschaft mit Weibspersonen” vor, besonders schlimm: mit Christinnen. Daraufhin wurde Luciana Fischer in Sippenhaft genommen. Am 14. September 1737 brachte sie ein Kind zur Welt. Der kränkliche Säugling starb jedoch kurz darauf.
Wenn Schwangere in Haft kommen
Auch heute kommen Schwangere in Haft, sagt von Schneider. Zur Geburt werden die Frauen jedoch in eine neutrale Klinik verlegt. Die medizinische Versorgung in der Vollzugsanstalt Gotteszell sei sehr gut.
1777 wurde der Journalist, Dichter und Musiker Christian Friedrich Daniel Schubart „wegen seiner sehr bösen und so gar Gottslästerlichen Schreibart” verhaftet. Zehn Jahre blieb er auf dem Hohenasperg inhaftiert – ohne Prozess, ohne Urteil. Zu seiner Familie hatte er jahrelang Kontaktverbot. Der erste erhaltene Brief seiner Frau stammt aus dem Jahr 1783, also mehr als sechs Jahre nach seiner Verhaftung. Besuchen durfte die Familie ihn erst zwei Jahre später. Sein Sohn Ludwig Albrecht war bei Schubarts Verhaftung elf Jahre, Tochter Juliane neun Jahre alt. Der Vater versuchte, aus der Ferne mit zu erziehen, gab Ratschläge zu Lektüre und Verhaltensregeln.
Keine Kontaktverbote
„Kontaktverbote gibt es in Gotteszell nicht“, sagt von Schneider, die 38 Jahre lang im Vollzug tätig war, davon 36 in Schwäbisch Gmünd. Dennoch komme es vor, dass einzelne Besucher davon ausgeschlossen werden – zum Beispiel, weil sie versucht hätten, Drogen einzuschmuggeln.
Als der Arzt Theobald Kerner, 1848 zur Unterstützung der Revolution aufrief, wurde er zu zehn Monaten Haft verurteilt. Zwei Wochen nach der Geburt des Sohnes Georg trat er die Strafe an. Wie sehr Kerner seine Familie vermisste, zeigen die vielen Briefe und Zeichnungen, die er schickte. Als Sohn und Frau erkrankten, erhielt er Hafturlaub, um sie als Arzt zu behandeln.
Der „Hausfrauenfreigang“
Mit dem Begriff „Hausfrauenfreigang“ beschreibt Sibylle von Schneider inhaftierte Frauen in Gotteszell, die nur die Nächte in der Zelle verbringen. Tagsüber versorgen sie zu Hause ihre Kinder. Eine Haftform, für die jedoch einige Bedingungen erfüllt sein müssen: Das Zuhause muss gut erreichbar sein, das Pendeln finanzierbar, die Versorgung der Kinder in der Nacht und am Wochenende muss gewährleistet sein.
Streitbarer Volkstribun
Der Obstbauer und Händler Helmut Palmer empfand sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als „streitbarer“ Volkstribun. Oft legte er den Finger in die Wunde, wenn er Amtsträger als „Nazis“ beschimpfte. 1963 kam er erstmals auf den Hohenasperg, nach einer Gewalteskalation im Gerichtsgefängnis von Esslingen. Insgesamt wurde Helmut Palmer zu 741 Tagen Freiheitsstrafe, teils auf Bewährung, verurteilt. Seine Söhne Boris und Patrick besuchten ihn später auch im Gefängnis.
Helmut Palmer beschwerte sich mehrfach über die Haftbedingungen. Besonders erregte ihn die Behandlung seiner Familie bei einem Besuch in der Vollzugsanstalt Stammheim. Seine Frau Erika und seine beiden Kinder seien „unverschämt gefilzt“ worden. Man habe sich nur hinter einer Glasscheibe sehen können, ohne direkten Kontakt. Auch Boris Palmer erinnerte sich später in einem Interview an die Demütigung, als er als Siebenjähriger, sein fünfjähriger Bruder und seine Mutter sich bis auf die Unterwäsche hätten ausziehen müssen, um per Mikrofon mit dem Vater – durch eine Panzerglasscheibe getrennt – reden zu können.
Vielleicht waren die Sicherheitsvorgaben strenger, weil RAF-Mitglieder in Stammheim einsaßen, vermutet von Schneider. Heute werden Besucher von inhaftierten Frauen in Gotteszell wie beim Sicherheitscheck auf dem Flughafen untersucht, sagt sie. Gibt es konkrete Hinweise zum Beispiel auf das Schmuggeln von Drogen, muss sich der Verdächtige auch ausziehen – „aber dann werden die Kontrollen von Polizeibeamten durchgeführt“. Auch Trennscheiben-Besuche gibt es noch, wenn befürchtet wird, dass der Besucher illegal etwas in die Justizvollzugsanstalt einbringen will.