Interview mit dem Nationaltorwart Bietigheimer Bernd Leno über die Zeit im EM-Quartier

Von Andreas Eberle
Familiäre Atmosphäre im Frankenland: Thomas Müller, Timo Werner, Bernd Leno und Kevin Volland (von links) sind im deutschen EM-Quartier in Herzogenaurach für jeden Flachs zu haben. ⇥ Foto: Christof Stache/AFP

Bernd Leno bildet bei der Fußball-EM mit Manuel Neuer und Kevin Trapp das deutsche Torhütergespann. Ein Gespräch über seine Rolle im DFB-Team, den sich in der Corona-Blase entwickelnden Geist von Herzogenaurach und den Legendenstatus von Bundestrainer Joachim Löw. Von Andreas Eberle

Der Bietigheimer Bernd Leno hat sich bei der Fußball-Europameisterschaft den Platz hinter Welttorhüter Manuel Neuer gesichert. Kurz vor dem Auftaktspiel gegen Frankreich hat der Keeper von Arsenal London der BZ aus dem Basiscamp in Herzogenaurach noch ein Exklusiv-Interview gegeben.

Am freien Tag haben Sie in den sozialen Medien ein Gruppenfoto aus dem Basiscamp veröffentlicht – von Ihrem Einsatz beim Padel-Tennis mit Timo Werner, Kai Havertz und Kevin Volland. Wollen Sie die Sportart wechseln?

Bernd Leno: Nein, das haben wir nicht vor. Nach dem vielen Training hatten wir mal einen Tag frei, und da tut ein bisschen Abwechslung gut, auch für den Kopf. Ich habe Padel-Tennis noch nie gespielt, ich hatte das vorher ehrlich gesagt auch gar nicht gekannt – aber es hat richtig Bock gemacht. Um die Sportart zu wechseln, sind wir sicher nicht gut genug (lacht). Es ergibt also Sinn, beim Fußball zu bleiben.

Wie sieht in der „Bubble“ in Herzogenaurach sonst die Freizeitgestaltung aus?

Wegen der Corona-Testblase müssen wir im Teamcamp bleiben. Es ist schade, dass wir Familie oder Freunde nicht sehen können. Bei früheren Turnieren durften wir immer für ein paar Tage Besuch bekommen. Es ist aber schon krass, was hier für uns auf die Beine gestellt wurde. Wir haben alles, was man braucht für den sportlichen Erfolg und neben dem harten Training viele Freizeitmöglichkeiten – neben Padel-Tennis können wir hier zum Beispiel auch normales Tennis spielen, Beachvolleyball oder Basketball. Wir können den schönen Pool nutzen, wenn das Wetter mitspielt. Man findet also immer etwas, das man in seiner Freizeit tun kann. Besonders gerne hänge ich mit meinen Jungs ab.

 

"Die Zeiten, in
denen sich die
Konkurrenten wegen
einer Position die Köpfe einschlagen,
sind vorbei. Das will keiner haben."

 

Wer sind denn Ihre Jungs?

Das sind vor allem die Spieler, mit denen ich Padel-Tennis gespielt habe. Das ist quasi meine Bande aus Leverkusener und Stuttgarter Tagen. Wir reden nicht nur über Fußball, Fußball und Fußball, sondern auch über andere Themen.

Haben Sie ein persönliches Mitbringsel im Camp dabei?

Da gibt es nichts Außergewöhnliches. Natürlich habe ich meine Playstation dabei. Als Sportler auf diesem Niveau ist man es gewohnt, ständig unterwegs zu sein – mal eine Woche hier, dann ein paar Tage dort. Und jetzt sind wir eben fünf, sechs Wochen wegen der EM von zu Hause weg. Ich persönlich habe kein Kuscheltier, das ich ständig mitnehmen muss (lacht).

Das heißt, auf dem Nachttisch steht auch kein Foto Ihrer Frau Sophie-Christin?

Meinen Ehering habe ich die ganze Zeit am Finger, darum ist sie ohnehin immer bei mir. Außerdem habe ich Tausende Bilder von meiner Frau auf dem Handy, und wir kommunizieren jeden Tag über Facetime. Meine Frau muss sich also keine Sorgen machen, dass ich sie vergesse.

Gibt es schon einen Geist von Herzogenaurach?

Es besteht schon ein großer Unterschied zwischen dem ersten Tag im Trainingslager in Seefeld und jetzt so kurz vor unserem Auftaktspiel. Da entwickelt sich etwas. Je näher das Turnier kommt, desto größer wird die Spannung. Man merkt, dass sich alle immer besser verstehen. Als ob sich ein Freundeskreis herausbildet. Das liegt natürlich auch daran, dass wir in unserer Blase sehr viel Zeit miteinander verbringen und keine anderen Kontakte haben. Im Endeffekt ist die Mannschaft gerade unsere Familie – und der DFB hat alles getan, um eine gemütliche und familiäre Atmosphäre zu schaffen und die Gemeinschaft zu fördern. So muss es auch sein, denn wenn man sich nicht miteinander versteht und jeder außerhalb des Trainingsplatzes nur seinen eigenen Weg geht, kann es schon eine harte Zeit sein.

Mit Blick auf Ihre Geburt haben Sie kürzlich in einem Interview mit Sport 1 gesagt, dass Ihre Eltern in der falschen Zeit Gas gegeben hätten. Wären Sie in einer anderen Zeit, also ohne Über-Torwart Manuel Neuer, die deutsche Nummer eins?

Das war lustig und ironisch gemeint, meine Eltern haben schon alles richtig gemacht. Aber im Ernst: Wenn ich ein oder zwei Generationen jünger wäre, würde es auf Nationalmannschafts-Ebene für mich persönlich vielleicht etwas anders aussehen. Wäre ich heute 20 oder 21 Jahre alt, könnte man vielleicht sagen, dass es in naher oder mittlerer Zukunft möglich wäre, diesen Platz zu holen. Momentan ist es einfach sehr, sehr schwer, das muss ich ehrlicherweise zugeben. Denn Manu war und ist aktuell der beste Torwart der Welt. Das muss ich akzeptieren. Aber jeder weiß, wie schnell es im Fußball gehen kann. Deswegen muss man immer da sein, wenn die Chance kommt – und wenn sie nicht kommt, bricht für mich auch keine Welt zusammen. Ich werde trotzdem glücklich bleiben und mache mir nicht den ganz großen Stress.

Wissen Sie, ob Sie als zweiter oder als dritter Torhüter ins Turnier gehen?

Vielleicht wird es gar keine Nummer zwei geben, und Kevin Trapp und ich wechseln uns ab. Lassen wir uns doch überraschen. So hält das Trainerteam die Spannung hoch, das ist bei den Feldspielern genauso. Da muss jeder bereit sein, egal was kommt. Das beste Beispiel, was bei so einem Turnier passieren kann, ist Christoph Kramer bei der WM 2014. Er hatte bis zum Finale keine Sekunde gespielt – und stand dann plötzlich im Endspiel in der Startelf.

Ist Ihnen eine Festlegung auf eine Nummer zwei wichtig?

Natürlich wäre es mir lieber, wenn ich die klare Nummer zwei wäre. Falls der Worst Case eintreten sollte, weißt du dann einfach, dass du der Nachrücker bist. Aber letztlich nehme ich es, wie es kommt, und bin ganz entspannt. Wenn die Entscheidung auf mich fällt, freue ich mich, wenn nicht, werde ich genauso weiter Vollgas geben.

Welchen Vorteil sehen Sie gegenüber Ihrem Rivalen Trapp um den Platz hinter Neuer?

Ich spiele in der besten Liga der Welt und habe dort mit Arsenal eine gute Saison absolviert. Wir haben in der Premier League im Schnitt nur ein Gegentor pro Spiel bekommen und hatten damit die drittbeste Defensive in England. Außerdem waren wir im Halbfinale der Europa League. Was die Leistung angeht, brauche ich mich also nicht zu verstecken. Das müssen letztlich aber andere beurteilen. Ich will mich auch gar nicht groß mit Kevin Trapp vergleichen, denn das gehört sich nicht – schon gar nicht öffentlich. Ich habe zu ihm und zu Manu ein sehr gutes Verhältnis. Wir Torhüter verstehen uns gut, auch neben dem Platz, und pushen uns alle gegenseitig. Die Zeiten, in denen sich die Konkurrenten wegen einer Position die Köpfe einschlagen, sind vorbei. Das will keiner haben.

Auf was freuen Sie sich bei so einem großen Turnier am meisten?

Ganz klar auf die Atmosphäre bei den Partien. Die wird bei dieser EM extrem sein, nach den vielen Geisterspielen, die wir alle in der vergangenen Saison bestreiten mussten. In England habe ich das in den letzten beiden Punktspielen am eigenen Leib erfahren. Da durften 10 000 Zuschauer ins Stadion – und die haben sich angefühlt wie 80 000. Die Fans sind sogar durchgedreht, als sie die Gästemannschaft gesehen haben, weil sie einfach nur froh waren, ein Spiel wieder live erleben zu dürfen. Jetzt in München wird ebenfalls eine besondere Stimmung herrschen, auch wenn die Arena immer noch etwas leer sein wird. Nach langer Zeit gibt es endlich wieder einen Heimvorteil. Der wird uns sicherlich helfen. Wir haben Glück, dass wir unsere Gruppenspiele zu Hause bestreiten können.

 

"Wir dürfen uns nicht
kleiner machen als wir sind
und brauchen
uns vor niemandem zu verstecken."

 

Nach der verkorksten WM 2018 hagelte es Kritik an der DFB-Auswahl. Sieht sich das Team in der Pflicht, sich zu rehabilitieren?

Die WM 2018 war für alle sehr enttäuschend. Wir haben etwas gutzumachen. Die Fans und wir selbst haben ganz andere Erwartungen. Natürlich haben wir den Druck, es besser machen zu müssen. Aber wir denken nicht daran, dass wir wieder in der Vorrunde ausscheiden könnten, auch wenn unsere Gruppe natürlich besonders schwer ist. Solche Gedanken würden nur blockieren.

Spielt es für die Mannschaft eine Rolle, dass es für Joachim Löw das letzte Turnier als Bundestrainer ist?

Jogi Löw ist eine Legende in Deutschland und hat Großes für den deutschen Fußball geleistet. Viele Spieler haben Riesenerfolge mit ihm gefeiert. Darum will jeder von uns, dass er einen tollen Abschied bekommt. Den hat er auch verdient. Nicht nur, weil er fachlich überragend ist, sondern vor allem auch menschlich. Jogi ist ein cooler Typ und weiß genau, wie er mit uns Spielern umzugehen hat. Wir haben ihm viel zu verdanken. Er hat sich stets vor die Mannschaft gestellt und sich positiv über uns geäußert, auch wenn es mal nicht so rund lief. Wenn er als Europameister abtreten würde, wäre es der schönste Abschied, den man sich für ihn vorstellen kann.

Ist Deutschland stark genug, um den Titel zu holen?

Wir sind vielleicht nicht der Topfavorit, aber auf jeden Fall ein Geheimfavorit. Mannschaften wie Frankreich und dieses Jahr auch England sind schon sehr, sehr stark. Ich finde aber, wir dürfen uns nicht kleiner machen als wir sind und brauchen uns vor niemandem zu verstecken. Natürlich waren die Ergebnisse in den letzten Monaten nicht immer optimal. Wichtig wird sein, dass wir in einen Flow und in eine Turnier-Stimmung reinkommen – und dann kann es ruckzuck gehen. Wenn ich mich mit Leuten bei Arsenal oder in England unterhalte, höre ich immer einen großen Respekt vor dem deutschen Team heraus. Bei uns wissen viele gar nicht, wie groß dieser Respekt aus dem Ausland ist.

Sie haben viele Fans in Bietigheim, auch bei Ihrem Jugendverein SV Germania. Bekommen Sie davon in London etwas mit?

Es ist immer schön, wenn man etwas aus der Heimat hört. Ich habe nach wie vor viele Freunde aus meiner Schulzeit, mit denen ich früher in Bissingen oder bei Germania auf dem Sportplatz gekickt habe. Der Kontakt ist nie abgebrochen. Eine lustige Story ist zum Beispiel im Frühjahr 2019 passiert. Da waren ein paar Jungs aus Bietigheim bei einem Arsenal-Spiel in London. Bei den Tausenden Menschen im Stadion habe ich plötzlich ihre Rufe auf Deutsch gehört. Dass sie aus dem Buch sind und dass sie gern mein Trikot zur Erinnerung haben würden – und natürlich habe ich meinen lokalen Freunden das Trikot dann gern gegeben.

Das klingt so, als ob Sie noch sehr an Ihrer Heimat hängen.

Das stimmt, ich bin ein sehr heimatverbundener Mensch und komme immer wieder gerne zurück – auch wenn ich wegen Corona in den vergangenen Monaten nicht mehr nach Hause fliegen konnte. Meine Eltern, mein Bruder und meine Freunde leben noch alle in Bietigheim und halten mich darüber auf dem Laufenden, was es Neues in der Stadt gibt.

 

Vom SV Germania zu Arsenal London in die Premier League

Bernd Leno (29) fing mit sechs Jahren beim SV Germania Bietigheim mit dem Kicken an. 2003 holte der VfB Stuttgart das damalige Torwart-Talent zu sich in die Nachwuchsabteilung. Über den VfB II wechselte er im August 2011 zu Bayer 04 Leverkusen. Für den Werksverein bestritt Leno bis zur Saison 2017/18 insgesamt 233 Bundesliga-Spiele. Seit 1. Juli 2018 steht der gebürtige Bietigheimer beim Premier-League-Klub FC Arsenal London unter Vertrag. Seinen aktuellen Marktwert taxiert das Fußball-Portal transfermarkt.de auf 22 Millionen Euro. Der 1,90 Meter große Schlussmann hat bisher acht A-Länderspiele bestritten. Schon bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich stand er im deutschen Aufgebot, kam da allerdings nicht zum Einsatz. ae

 
 
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