Prof. Wolfram Pyta in Bietigheim Menschenrechte im Fußball seit WM in Chile ein Thema

Von Jonathan Lung
Prof. Dr. Wolfram Pyta referierte beim Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen. Foto: /Oliver Bürkle

Professor Wolfram Pyta beleuchtet im Enzpavillon die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften.

Die Debatte um die Fußballweltmeisterschaft in Katar bewegt die Gemüter: Darf man das Großereignis in einem Land ausrichten, in dem die Sportstätten von Arbeitern in sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen errichtet werden? Und darf man es sich ansehen? Aber warum steht der Fußball überhaupt so sehr im Fokus der Menschenrechte? Und: Seit wann ist das so?

Diesen Fragen ging am Donnerstag Wolfram Pyta in einem Vortrag beim Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen nach. Der Professor und Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart ist selbst bekennender Fußballfan und hat sich tief in die Materie eingearbeitet. In einem gut anderthalb stündigen Vortrag präsentierte er den Interessierten im Enzpavillon einen Abriss der neueren Geschichte der Fußballweltmeisterschaften – gestützt auf zum Teil unbekanntes Quellenmaterial.

Der „Take off“ der Debatte um Menschenrechte, die im Fußball zu berücksichtigen seien, so arbeitete er heraus, sei das Qualifikationsspiel in Santiago de Chile 1973 gewesen. Im dortigen Stadion gab es wenige Monate vor dem Anpfiff ein Internierungslager für politische Gefangene nach dem Militärputsch – die Gegnermannschaft der UdSSR boykottierte deswegen das Spiel. Mit Chile kam die Diskussion nach Deutschland: Am 14. Januar 1974 kam es zu spontanem Protest im WM-Stadion, Aktivisten hatten einen ganzen Block besetzt.

Foto entkräftet Mythos

1978 dann die WM in Argentinien, wo die Junta den Pokal an das eigene Team übergeben konnte. Dass dabei aber Trainer Menotti dem Kopf der Militärjunta, General Videla, den Handschlag verwehrt haben soll, konnte der Historiker mit einem Foto entkräften – der Heldenmythos ist falsch.

Anders als es damals, und auch in neuerer Zeit, dargestellt wurde, konnte der Historiker mit einem Interviewausschnitt auch nachweisen, dass sich DFB-Präsident Hermann Neuberger in Argentinien durchaus für ein politisches Engagement des Fußballs, in Zusammenarbeit mit der Botschaft, einsetzte.

Bei der WM 1982 in Spanien stand die polnische Mannschaft im Mittelpunkt des Diskurses, in deren Heimat gerade gegen die Gewerkschaft Solidarnosc wurde. Der Diskurs um Menschenrechte dauert also schon seit den 70er-Jahren an.

Vier Mal war der Professor schon als Vortragender von dem 350 Mitglieder zählenden Geschichtsverein eingeladen. Pyta sieht Geschichtsvereine als wichtige zivilgesellschaftliche Akteure: Ihnen komme eine Vermittlungsfunktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu – „Interesse wecken“ an historischen Themen. Dabei seien die hier erworbenen Kenntnisse keinesfalls weniger wertvoll als akademische Debatten.

In der anschließenden Diskussion wurde die Frage gestellt, ob man sich die Spiele in Katar anschauen könne. Er selbst werde es tun, bekannte Pyta – jedoch mit dem „doppelten Blick“ des Wissenschaftlers, etwa ob es wieder zu Protesten von Fans oder Spielern kommen wird, wie das 74 ja der Fall war.  Jonathan Lung

 
 
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