Prozessauftakt am Landgericht Stuttgart Wurde Tabitha E. aus Eifersucht ermordet?

Von Heidi Vogelhuber
Der Fall der 17-jährigen Tabitha E. wird am Landgericht Stuttgart verhandelt. Foto: IMAGO/Dirk Sattler

 Am Landgericht Stuttgart hat am Montag der Prozess um die 17-jährige Tabitha E. aus Asperg begonnen. Sechs Zeugen sagen aus, der Angeklagte schweigt.

Ich bin gekommen, um sein Gesicht zu sehen“, dieser Satz ist immer wieder aus dem Publikum des Saals am Landgericht Stuttgart zu hören gewesen. Viele Freunde und Bekannte waren gekommen, um dem Angeklagten in die Augen zu schauen. In seinem Gesicht jedoch war während der gesamten Verhandlung keine Regung zu erkennen. Außer kurzer Zustimmung zu persönlichen Angaben blieb der Angeklagte stumm. „Er verteidigt sich schweigend“, kündigte seine Verteidigerin, Rechtsanwältin Sibylle Walch-Herrmann, an.

Prozessauftakt am Montag

Am Montag begann der Prozess um die 17-jährige Tabitha E. aus Asperg, die im Juli vergangenen Jahres tot am Ufer der Enz in Unterriexingen aufgefunden wurde. Verhandelt wird der Fall vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Stuttgart.

Die Anklage lautet Mord, verlas der Staatsanwalt. Beschuldigt wird der mittlerweile 36-jährige Naim A., der zur Tatzeit 35 Jahre alt war. Der gebürtige Syrer ist seit 2015 in Deutschland und soll die minderjährige Aspergerin „heimtückisch und aus niederen Beweggründen“ am 12. Juli vergangenen Jahres ermordet haben. Um unerwiderte Liebe und Misstrauen sei es gegangen, fasst der Staatsanwalt zusammen. Da Tabitha E. den Kontakt zum Angeklagten abbrechen wollte, sollte sie auch keine Partnerschaft zu jemand anderem haben. Sie habe „das Recht auf Leben verwirkt.“

Naim A. kniete sich an besagtem Abend auf Tabithas Oberkörper, so die Anklage, und erwürgte sie in der Strombergstraße im Ludwigsburger Stadtteil Eglosheim, ehe er sie im Kofferraum seines Autos nach Unterriexingen schaffte und dort eine Böschung hinunterstieß, wo ihre Leiche fünf Tage später gefunden wurde, verlas der Staatsanwalt weiter. Schnell fiel der Verdacht auf den damals 35-Jährigen. Naim A. wurde festgenommen und sitzt seit dem 17. Juli in Untersuchungshaft. Erst in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart, seit August in der JVA Karlsruhe.

Bruder ist Zeuge und Nebenkläger

Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen ließ sich viel Zeit, die am Montag geladenen Zeugen anzuhören. „Reden Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist“, sagte er und bat die Zeugen, ihm alles zu berichten.

Als erster Zeuge und zeitgleich Nebenkläger sagte der 22-jährige Benjamin E., der Bruder des Opfers, aus. Der Rettungshelfer brachte das Ermittlungsverfahren erst zum Laufen. Am Tatabend kam er nach Hause und erfuhr von der Mutter, dass seine Schwester noch unterwegs sei, angeblich mit einer Freundin in Ludwigsburg. „Meine Schwester kam immer pünktlich nach Hause, sie war zuverlässig“, erklärte er vor Gericht. Nachdem Tabitha nach 22 Uhr noch immer nicht kam und er von der erwähnten Freundin erfahren hatte, dass diese gar nicht mit Tabitha unterwegs war, machte sich der Bruder Sorgen, fuhr durch Ludwigsburg, in der Hoffnung, sie anzutreffen. Von besagter Freundin hatte Benjamin den letzten Standort des Mädchens erfahren: sie war laut ihres Profils beim Instant-Messaging-Dienst „Snapchat“ an der Ecke Strombergstraße/Teinacher Straße gewesen. Wie sich im weiteren Verlauf der Verhandlung herauskristallisierte, traf sie sich dort mit Naim A., um sich mit ihm auszusprechen und ihm klar zu machen, dass sie den Kontakt abbrechen möchte.

Benjamin E. traf auf dem Weg dorthin auf eine Polizeistreife, der er sogleich von der vermissten Schwester berichtete. Es wurde Anzeige erstattet, doch Benjamin E. suchte weiter, aktivierte am nächsten Tag zwei Freunde, die ihn unterstützten. Ein Tipp einer Freundin führte die Drei vor die Tür der Wohnung des Angeklagten in Markgröningen. Dieser habe auf die Frage, „was will ein 35-jähriger Mann von einer 17-Jährigen?“ geantwortet, dass er Tabitha liebe, sie schön finde. Da der Bruder sich an die Konversation, die nach eigenen Angaben 20 Minuten dauerte, nicht mehr genau erinnern konnte, ernannte Richter Holzhausen spontan die beiden anwesenden Freunde, die ihn begleitet hatten, auch zu Zeugen, die seine Aussage ergänzten.

Sehr sicher in seinen Angaben wiederum wirkte der nächste Zeuge, der 31-Jährige Nico S., der an Tabitha und dem Angeklagten vorbeigejoggt sei, als diese sich am Tatort neben dem Auto des Angeklagten unterhielten. Beim Vorbeilaufen habe er aufgeschnappt, dass das Mädchen sagte, nicht mitfahren zu wollen. Die Stimmung habe auf ihn aber ruhig gewirkt. Auf dem Rückweg seiner 15-minutigen Laufrunde habe er den Angeklagten im Auto sitzen sehen, wie er ein Handy – vermutlich jenes des Opfers – bediente. Das Kennzeichen des Autos sei ihm bekannt vorgekommen, als er die Vermisstenanzeige des Mädchens mit einem Foto des BMWs des Angeklagten im Internet sah, daraufhin habe er sich bei der Polizei gemeldet.

Zwei weitere Zeugen

Die Aussagen des 20-jährigen Zeugen mit dem Spitznamen „G“ sowie der besten Freundin Jasmin K. gaben eine Vorstellung von der Beziehung zwischen der Ermordeten und dem Angeklagten. Naim A. habe Tabitha E. und auch die 19-jährige beste Freundin oft in seinem BMW herumgefahren, habe sich freundschaftlich verhalten, sagte Jasmin K. aus. Gerüchte um eine sexuelle Beziehung zwischen Tabitha E. und Naim A. habe es gegeben, daran sei jedoch nichts dran gewesen, jedenfalls soweit sie wisse. Nachdem Tabitha jedoch den Kontakt zum Angeklagten abgebrochen und ihn in allen Sozialen Medien blockiert habe, sei er aufdringlicher geworden, habe versucht, über die Freundin an sie heranzukommen.

„G“ beschrieb in seiner Aussage eindrücklich eine Szene in Asperg. Tabitha E. war mit ihm unterwegs, Naim A. habe den beiden vor der Wohnung des Mädchens im Auto aufgelauert, habe sich eine Verfolgungsjagd durch die Straßen Aspergs mit ihnen geboten. Um ihn loszuwerden „drehten wir noch eine Runde“, er wartete später bis sie im Haus war, während sie telefonischen Kontakt hielten.

Der Zeuge und Tabitha kannten sich erst kurz, begannen jedoch, eine Beziehung zueinander aufzubauen. Er habe Tabitha davor gewarnt, sich für eine Aussprache alleine mit Naim A. zu treffen. Am Todestag schrieben sie sich viel auf dem Instant-Messaging-Dienst „WhatsApp“. Irgendwann antwortete sie ihm nicht mehr, „ich habe mir Sorgen gemacht“, so „G“. Zurecht, wie sich herausstellen sollte. Zwei kurze Anrufe von ihr, in einem war nur Weinen zu hören, im anderen sagte sie „Lass mich in Ruhe, tu mir das nicht an“ folgten.

In Kleinstarbeit arbeitete sich das Gericht durch die unzähligen Kurznachrichten zwischen den beiden. Auch „G“ fuhr mit dem Auto herum, um Tabitha zu finden, auch er war Nahe des „Snapchat“-Standortes, meint sogar, den BMW des Angeklagten gesehen zu haben, konnte ihm aber nicht schnell genug folgen. In seinen Nachrichten an das Handy des Mädchens meinte er festgestellt zu haben, dass nicht mehr sie, sondern Naim A. antworte.

Jasmin K. sagte aus, spät abends noch mit dem Angeklagten geschrieben zu haben, ihn gefragt zu haben, ob er etwas wisse. Der damals 35-Jährige habe geschworen, dass er nicht wisse, wo das verschwundene Mädchen sei.

Info

Prozess
Weitere sieben Verhandlungstage sind angesetzt, der nächste ist am 5. Mai. Das Urteil wird voraussichtlich am 25. Mai gesprochen.

 
 
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