Ludwigsburgerin über Revolution im Iran „Die Angst darf mich nicht zum Schweigen bringen“

Von Gabriele Szczegulski
Arezoo Shoaleh lebt seit 24 Jahren in Deutschland und arbeitet als Sozialpädagogin beim Verein Frauen für Frauen. Nun engagiert sie sich für die Protestbewegung in ihrem Heimatland Iran. Foto: /Martin Kalb

Die Ludwigsburger Deutsch-Iranerin Arezoo Shoaleh, Sozialarbeiterin beim Verein Frauen für Frauen, erhebt ihre Stimme für die Protestbewegung in ihrem Heimatland.

Iraner und Iranerinnen, ob in der Iranischen Republik oder im Exil, haben immer Angst vor dem mächtigen Arm der Mullahs“, sagt Arezoo Shoaleh, die sich selbst aber nicht als Iranerin, sondern als Perserin bezeichnet, da ihre Landsmänner und -frauen die 44-jährige Herrschaft der islamistischen Revolutionsgarden und der Mullahs faktisch ablehnen.

Morddrohungen an Aktivisten

„Die Angst darf mich aber nicht zum Schweigen bringen“, sagt die 52-Jährige. Es sei eine ganz bewusste Entscheidung gewesen, sich für die Protestbewegung, „nein, für die Revolution“ im Iran und die Frauen dort einzusetzen. Denn schließlich ginge es nicht nur um sie. „Wir Exil-Iraner und -Iranerinnen wissen genau, dass unsere Familien in Gefahr sind, wenn wir im Ausland gegen die Iranische Republik Stimmung machen“, so Shoaleh. Sie weiß von Morddrohungen an Aktivisten im Ausland und dem Verschwinden von Familienmitgliedern im Iran. Sie habe deshalb bewusst nicht mit ihrer Familie über ihr Engagement gesprochen. „Aber ich musste aufstehen und was machen.“ Shoaleh organisiert Protestkundgebungen in Ludwigsburg, ist in den sozialen Medien aktiv, hat sich mit anderen Exil-Iranern zusammengetan, besuchte die großen Kundgebungen in Berlin, Straßburg und demnächst in Paris und Brüssel. Zudem hält sie die Verbindung in den Iran, um Informationen zu bekommen.

Shoaleh war neun Jahre alt, als der Schah von Persien gestürzt wurde und die Mullahs an die Macht kamen. „Ich kenne nichts anderes als Angst, Drohungen, Druck, Unfreiheit, Unterdrückung, Erniedrigung. Unser ganzes Leben wird von den Mullahs bestimmt“, sagt sie. „Alle Iraner und Iranerinnen sind traumatisiert durch die Unterdrückung.“

Sie studierte in Teheran, musste ständig zu Anhörungen von Mitarbeitern des Regimes, weil irgendeine Handlung, der Schleier oder eine Aussage nicht den Vorgaben entsprach. Wenn sie nicht nach deren Auffassung verschleiert war, habe sie mit der Angst leben müssen, direkt von der Straße weg verschleppt zu werden. Drohungen gegen ihr Leben und das ihrer Familie wurden ausgesprochen. „Ich hatte im Iran keine Perspektive und schon gar nicht als Frau“, sagt sie. Die Perspektivlosigkeit sei es auch, die viele Iraner antreibe, nun zu protestieren. Es blieb nur noch das Studium in Deutschland. Eigentlich wollte sie Jura studieren. Doch da sie erst Deutsch lernen musste, reichten die Sprachkenntnisse für dieses Studium nicht. So wurde sie Sozialarbeiterin, kam nach Ludwigsburg, heiratete, gründete eine Familie und wurde pädagogische Leiterin des Vereins Frauen für Frauen.

Es geht im Iran um Leben oder Tod

Vor sieben Jahren hat sie ihre Familie zum letzten Mal im Iran besucht. Dann kam Corona und nun ist es zu gefährlich für sie. Shoaleh hat die deutsche und iranische Staatsangehörigkeit – ein gefundenes Fressen für das Regime, das oft Doppelstaatsbürger festhält, um international Druck auszuüben. „Mir wurde aber klar, ich muss dann hier für die Revolution eintreten“, sagt sie. „Das Mullah-Regime muss weg, Reformen ändern nichts an den brutalen Menschenrechtsverletzungen der Mullahs“, sagt sie. Es gehe im Iran um Leben oder Tod, um einfache Grundrechte, die tagtäglich verletzt würden.

Ein selbstbestimmtes Leben sei nicht möglich in der Islamischen Republik. „Es geht nicht nur ums Kopftuchtragen, das war ein Auslöser für den Aufstand“, sagt sie. Die jungen Menschen hätten keine Zukunft, keine Perspektive. „Sie sehen in den sozialen , an die sie trotz Abschalten und Verbot dennoch irgendwie herankommen, wie es in der Welt zugeht, sie wollen keine Islamische Republik mehr“, so Shoaleh. Sie bringt Beispiele von Texten von iranischen Rappern, die davon handeln, frei zu sein, zu leben, wie andere junge Menschen in der Welt auch. „Diesen Menschen ist ihr Leben im Iran nichts mehr wert, sie gehen auf die Straße, wohlwissend, dass dies das letzte Mal sein kann, dass sie ihre Familie sehen, ihnen ist der Tod mittlerweile gleich“, sagt sie. Die Nachrichten aus ihrem Heimatland, die über die verschiedensten Wege – „ein Bekannter hat 28 VPN-Adressen gekauft, um irgendwie Nachrichten nach außen zu bringen“ – zu ihr dringen, „schmerzen mich“, sagt sie.

Ärgern würde sie sich über Aussagen, dass es keine Proteste mehr gebe, dass alles nicht so schlimm sei. Es gebe aber keine Ruhe, jede Nacht, in jeder Stadt, werde protestiert, werden Parolen aus Häusern gerufen, Wände bemalt, Gefängnisse belagert. Im Islam werde, so Shoaleh, immer der siebte und 40. Todestag eines Menschen gefeiert und dann werden diese Gedenkfeiern an den Gräbern zu Protestkundgebungen. 20 000 Inhaftierte haben diese Proteste gekostet, viele sind zum Tode verurteilt.

„Ich schlafe nicht mehr gut, weil Hinrichtungen immer so gegen 2 Uhr unserer Zeit passieren.“ Vor allem dann, wenn es neue Sanktionen gebe oder „irgendwas, was den Mullahs nicht passt“. Die letzte Hinrichtung war am Tag nach den Gedenkfeierlichkeiten zum Jahrestag des Abschusses des Ukraine-International-Airlines-Flug 752 durch die Revolutionsgarden. Das Flugzeug wurde auf dem Weg von Teheran nach Kiew am 8. Januar 2020 kurz nach dem Start durch zwei iranische Flugabwehrraketen abgeschossen. Es gab keine Überlebenden.

Ausweisung der Botschafter

Wie fast alle Exil-Iraner und -Iranerinnen fordert auch Shoaleh, dass die iranischen Botschafter in den Ländern ausgewiesen werden müssen, dass die Revolutionsgarden auf die Terrorliste der Europäischen Union müssen. „Die gewalttätigen Mullahs müssen merken, dass ihre Gewalttaten auf der internationalen Ebene Konsequenzen haben, und die Menschen im Iran müssen sehen, die Welt steht hinter ihnen“, sagt sie. Die Mullahs hätten mittlerweile auf vielen Gebieten auch außerhalb des Landes so viel Macht, sagt Shoaleh. 44 Jahre lang habe sich das Regime alles erlaubt, „alle haben nur zugeschaut bei Anschlägen und Attentaten“. Jeder könne mithelfen, Druck auf die Politik auszuüben, Öffentlichkeit für das, was im Iran passiere, herzustellen und sich an den Protesten beteiligen.

Öffentliche Aktionen gegen die Menschenrechtsverletzungen im Iran

Am 8. März,
17.30 Uhr, dem Internationalen Frauentag, organisiert Arezoo Shoaleh auf dem Ludwigsburger Marktplatz eine Mahnwache, eine Performance und Protestkundgebungen. Die Aktionen sollen aufmerksam machen auf das Leid der Frauen, vor allem diejenigen, die festgenommen wurden, vergewaltigt und gefoltert worden sind.

Auf dem Rathausplatz
in Ludwigsburg will Shoaleh demnächst eine provokative Installation aufstellen lassen, die auf die öffentlichen Hinrichtungen im Iran verweist und die Grausamkeit der öffentlichen Zurschaustellung. Derzeit ist sie in den Vorbereitungen, das genaue Datum wird noch veröffentlicht.

Arezoo Shoaleh empfiehlt Menschen, die aktiv werden wollen, nicht nur die Teilnahme an solchen Aktionen, sondern auch Aktivität in den sozialen Medien wie Twitter oder Instagram. „Jeder Retweet, jeder Klick kann vielleicht ein Leben retten“, sagt sie.

 
 
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