Ihre Worte machten betroffen und waren zugleich eine Mahnung. Als Wendelgard von Staden beim Zeitzeugengespräch im Foyer des Evangelischen Lichtenstern Gymnasiums von ihrer Jugend in der Zeit des Nationalsozialismus erzählte, herrschte bei den zahlreichen Besuchern andächtige Stille. Die rüstige 99-Jährige, die heute in Enzweihingen lebt, war gerne der Einladung der Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen gefolgt und stellte sich bereitwillig deren Fragen
Sachsenheim Jugend unterm Hakenkreuz
Von Kleinglattbach in die große Welt und zurück: Zeitzeugin Wendelgard von Staden erzählt im Lichtenstern-Gymnasium aus ihrem bewegten Leben.
Mitglied im Bund Deutscher Mädel
Nathalie Erkenbrecher wollte beispielsweise wissen, welche Erinnerung von Staden an ihre Jugend im Nationalsozialismus habe. „Ich habe fast meine ganze Jugend im Bund Deutscher Mädel (BDM) verbracht“, erinnert sie sich. „ In unseren Dörfern war alles von der Hitlerjugend organisiert, und dies gab der Jugend in den ländlichen Regionen etwas Aufschwung, denn sonst war damals nichts geboten außer der Mithilfe bei den Eltern auf dem Feld“, erinnerte sich von Staden.
Sie ist auf dem Hof ihrer Eltern in Kleinglattbach aufgewachsen und war wie viele andere stolz, die Uniform der Hitlerjugend zu tragen, mit anderen am Lagerfeuer zu sitzen und alte Landsknechtlieder zu singen, die sie heute noch auswendig kann, und das große Gemeinschaftsgefühl untereinander zu genießen. „Erst als die ersten Männer an die Front fuhren, wurde uns langsam klar, dass wir in Deutschland auf einem Weg waren, der uns in den Tod führen würde“, bemerkte von Staden und gestand ein, dass die Zeit in der Hitlerjugend den Menschen damals auch viele Möglichkeiten eröffnet habe, die es sonst nicht gegeben hätte.
Auf die Frage, ob von Staden die ideologische Programmschrift von Adolf Hitler „Mein Kampf“ gelesen habe, erläutert die Seniorin den Starkult, der Hitler damals umgab. „Die Zeitschriften waren voll mit ihm. Ich habe ihn auch in Stuttgart erlebt. Viele Menschen waren total fasziniert, und die Führerverehrung hat im Volk große Wurzeln geschlagen“, so von Staden.
Es sei schwer gewesen, der allgegenwärtigen Propaganda in der damaligen Zeit zu entgehen, aber bei den täglichen Mahlzeiten hätten ihre Eltern ihre wahre Meinung kundgetan. „Meine Mutter Irmgard von Neurath war Mitglied in der SPD und hat vorausgesagt, dass wenn Hitler an die Macht kommt, er alle einwickeln würde und es Krieg gebe“, betonte von Staden.
KZ neben dem elterlichen Gut
Ein Teil des elterlichen Besitzes in Kleinglattbach wurde schließlich enteignet und auf ihm entstand das KZ „Wiesengrund“. „Was haben Außenstehende vom KZ wirklich mitbekommen?“, wollte Schülerin Leonie Engler wissen. Von Staden erläuterte, dass das gesamte Gebiet weiträumig abgesperrt worden sei und nur ihr Vater die Erlaubnis erhalten habe, einen Durchfahrtsweg zu nutzen, um zu seinem angrenzenden Waldstück zu gelangen. „Dort bin ich manchmal auf einen Baum geklettert und habe in das Lager geschaut. Aber keiner wusste genau, was dort passierte“, berichtete von Staden. Die ersten Häftlinge seien aus Polen gekommen und im KZ Auschwitz als arbeitsfähig ausgewählt worden, um die geplante Flugzeugfabrik bei Vaihingen zu bauen.
„Wir haben von unserem Hofgut Stroh und Bohnen zur Verpflegung des Lagers geliefert, und als die Häftlinge zum Abholen kamen, haben wir gesehen, wie schwach diese waren“, erläuterte von Staden.
Wachen flohen heimlich
Ihre Mutter habe den Häftlingen geholfen. Sie wurde nach Kriegsende verhaftet und ins Gefängnis auf den Hohenasperg gebracht. Später sagte von Neurath als Zeugin vor dem französischen Militärtribunal in Rastatt aus. Die Enzweihingerin erläuterte, dass sie im Krieg vor allem vor den Angriffen der französischen Flugzeuge, „Rotschwänzchen“ genannt, in die Gräben bei den Feldern flüchten musste.
Die Grausamkeiten hätten jedoch mit dem Kriegsende nicht aufgehört, denn die Fremdenlegionen sei hart und brutal vorgegangen. Die Wachen des KZ-Lagers seien dagegen von einem auf den anderen Tag verschwunden. Ihre Uniformen hätten sie achtlos auf den Wegen liegen gelassen.
„Dass nahezu alle Menschen in Deutschland den Nationalsozialismus geduldet haben, verstand man damals im Ausland nicht. Wir wurden im Ausland immer wieder mit der allgemeinen Schuld der Deutschen konfrontiert“, sagte von Staden.
Begegnungen mit Carter und Nixon
Sie studierte als eine der ersten Stipendiatinnen in Paris und später in Amerika, arbeitete für das Auswärtige Amt und verbrachte lange Zeit in den USA mit ihrem Mann Berndt von Staden, dem Deutschen Botschafter in den Staaten. Aus dieser Zeit schilderte sie so manche Anekdote bei ihren Begegnungen mit den US-Präsidenten Richard Nixon, Gerald Ford, Jimmy Carter und Ronald Reagan im Weißen Haus.
Beeindruckend waren auch die Schlussworte von Stadens: „Die aktuellen Entwicklungen überall erschrecken mich sehr. Dass Israel sich im Libanon ganz nah an den Grenzen des Iran bewegt, wo man kurz davor ist, eine Atombombe herzustellen, kann einen großen Krieg provozieren. Wir müssen deshalb Deutschland militärisch zumindest wieder so stark machen, dass wir uns bei einem Angriff verteidigen können.“