Der gute Mann war ja fast schon ein Phänomen: Landwirt, Gemeinderat, Kirchengemeinderat, Fronmeister, Eichmeister, Kelternschreiber, Walzenverwalter, Mitglied der Armendeputation sowie des Verwaltungsrats der Feuerwehr und Vater von 19 Kindern – vor allem aber Verfasser einer umfassenden Ortschronik von 1836 bis 1885. Dr. Martine Strobel stellt in der jüngsten Ausgabe der „Mörin“ des Vereins für Heimatgeschichte Sachsenheim Ludwig Simon Wolf und dessen bemerkenswertes Werk vor.
Sachsenheim Ortsgeschichte aus erster Hand
Dr. Martine Strobel stellt in der „Mörin“ den Landwirt Ludwig Simon Wolf vor.
Der waschechte Großsachsenheimer Bauernsohn, am 1. Juli 1813 geboren und mit 72 Jahren am 5. April 1885 gestorben, war nach Einschätzung des damaligen Stadtpfarrers Link ein gescheiter, belesener und tatkräftiger Mann, der mit gesundem Menschenverstand und trefflicher Darstellungsgabe gesegnet war.
Bedeutung des Zichorien-Anbaus
Letzteres bezieht sich primär auf die Ortschronik, die Wolf ab seinem 23. Lebensjahr bis hin zu seinem Tod auf 151 handgeschriebenen DIN-A4-Seiten teilweise auf plastische Weise aufs Papier brachte. Martine Strobel hat intensiv in zahlreichen Quellen recherchiert und ihr mit vielen Original-Zitaten garniertes Werk, das in der nächsten „Mörin“ komplettiert wird, in die Bereiche „Klima und Landwirtschaft“, „Ereignisse in Großsachsenheim und in der näheren Umgebung“ und „Überregionale Ereignisse“ gegliedert.
Die Aufschriebe von Ludwig Simon Wolf sind meist hoch interessant. Sie reichen von den starken Herausforderungen, mit denen die Bauern des 19. Jahrhunderts vor allem wegen der schlechten klimatischen Bedingungen schwer zu kämpfen hatten, über die Bedeutung des Zichorien-Anbaus bis hin zur Hungersnot in den Jahren 1846 und 1847.
Originaltext hierzu: „Diesen Sommer war eine Theuerung (…). Verdienst gab es keinen u. wie es in solchen Zeiten hergeht, auf Borg wurde weniges abgegeben, überhaupt die Noth war groß, für Millionen Gulden Waitzen u. Mais wurde aus Amerika bezogen, Suppenanstalten errichtet, u. allem möglichen aufgeboten, um sich bis zur Erndte durchzubringen. In mehreren Städten des Landes gab es Brodcrawall. In Ulm (1. Mai), Stuttgart (3. Mai), in Tübingen, wobey es namentlich auf Becker und Müller los gieng, am 26. Juni wurde ein allgemeiner Bußtag angeordnet (…)“.
Ausführlich schilderte der Autor die seinerzeitigen Kirchenverhältnisse, wobei vom Blitzeinschlag in den Kirchturm Mitte Oktober 1818 ebenso berichtet wird wie vom lästigen Klingelbeutel-Sammeln bei den Gottesdiensten und beispielsweise über die Wechsel bei den Gottesmännern.
Geburtstag von Martin Luther
Der geachtete Chronist vergaß in seinen Texten aber auch nicht, über das Bauwesen, die Brunnen, Wege und Straßen, die Eisenbahn, Forstwirtschaft und Jagd, die politische Situation, Feste, Unglücke sowie über Sitten und Gewohnheiten zu schreiben.
So zum Beispiel über den 10. November 1883, als man auch in Großsachsenheim den 400-jährigen Geburtstag von Dr. Martin Luther feierte. „Hier wurden durch sämtliche Schulkinder unter der Leitung des Herrn Stadtpfarrers Bauer, u. den Lehrern Schmid und Wintergerst 2 Linden gesetzt auf den Platz südlich der Kirche, u. ihnen der Name ,Lutherlinden‘ beigelegt, dann erhielt jedes Kind eine 5 Pfennigbretzel, u. ein Lutherbüchlein“, schrieb Ludwig Simon Wolf.
Was die Eisenbahn anbelangt, heißt es in dem Geschichtsbericht ums Jahr 1851 „… als daß die Eisenbahn abgesteckt u. angefangen wurde, auch zu dem großartigen Enzviadukt bey Bietigheim wurde im April der Grund gelegt, vollendet im Okt. 1853. 1853: Dem 20. September fuhr die erste Locomotive auf der frischgebauten Linie Bietigheim – Bruchsal, u. wurde dieselbe am 27. d. M. dem öffentlichen Verkehr übergeben.“
Walter Christ