Sachsenheim Schütteltrauma mit schlimmen Folgen

Von Albert Arning
Im August 2020 hat ein Vater seinen Sohn geschüttelt, weil er geschrien hat. Das Kleinkind erlitt dabei lebensgefährliche Verletzungen. Der Fall wurde nun vor dem Vaihinger Schöffengericht verhandelt. Foto: Symbolfoto/Martin Kalb

Ein Vater hat seinen Sohn lebensgefährlich verletzt. Das Kleinkind erleidet Einblutungen in den Kopf. Der Vater erhält eine Bewährungsstrafe.

Der kleine Junge, gerade mal sechs Wochen alt, schreit und schreit. Will nicht mehr aufhören. Sein Vater verliert die Beherrschung. Er schüttelt das Baby, das er zuvor gewickelt hat, mindestens 20-mal, schleudert es gegen seinen Körper. Der Ausraster des betrunkenen Mannes hat schlimme Folgen. Das Kleinkind erleidet Einblutungen im Kopf, Gefäße reißen, an allen Gliedmaßen gibt es Absprengungen der Knochen. Die linke Hirnhälfte stirbt ab, auch Teile der rechten. Ein Auge ist nicht mehr sehfähig. Muskeln der rechten Körperhälfte sind dauerhaft verkrampft. Der Junge bekommt epileptische Anfälle. Wie wird ein Mann bestraft, der seinem Kind dieses Leid zugefügt hat? Ein Fall, den das Schöffengericht Vaihingen in dieser Woche zu behandeln hatte.

Sturz vom Sofa vorgetäuscht

Der Vorfall ereignet sich am 31. August 2020 in Sachsenheim. Erst als der kleine Junge einen Krampfanfall bekommt und sich die Pupillen verändern, wird am 3. September der Rettungsdienst gerufen. Zuvor hatte der Kinderarzt Bauchschmerzen als Ursache für das Schreien angenommen. Die Eltern täuschten einen Sturz des Kindes vom Sofa vor. Während der Fahrt ins Krankenhaus erkennt der Notarzt den Ernst der Lage, alarmiert das Krankenhaus. Es folgen zwei Notoperationen.

„Wir können davon ausgehen, dass akute Lebensgefahr geherrscht hat“, sagt Dr. Melanie Hohner, Fachärztin für Rechtsmedizin an der Uni Tübingen, die ein Gutachten erstellt hat, bei der Verhandlung. Sie hat an dem Kind insgesamt 20 Verletzungen festgestellt. Für sie handelt es sich eindeutig um ein Schütteltrauma. So bezeichnet man eine Hirnverletzung, die durch heftiges, gewaltsames Schütteln von Babys und Kleinkindern verursacht wird. Blutgefäße und Nervenbahnen können reißen, der Atem aussetzen, es kann zu einem Sauerstoffmangel kommen.

„Es wird besser, aber nicht gut“

Zur weiteren Entwicklung des Kindes will die Fachärztin keine Prognose wagen: „Man weiß nicht, wohin die Reise gehen wird. Es kann grundsätzlich etwas besser werden, aber insgesamt wird es nicht gut.“

Da die Diagnose der Ludwigsburger Klinik nicht zu den Angaben der Eltern passt, wird die Polizei eingeschaltet. Ein Oberkommissar schildert die Ereignisse vor Gericht. Der Vater gibt zu, seinen Sohn geschüttelt zu haben.

Nach dem Krankenhausaufenthalt wird der Junge in der Kinderklinik Schömberg weiter behandelt. Inzwischen ist der Bub wieder bei den Eltern (der Vater durfte ihn zunächst nur unter Aufsicht sehen) und hat einen Kindergartenplatz bei der Nikolauspflege in Stuttgart. Doch es ist klar: Er wird immer auf Hilfe angewiesen sein.

Der Angeklagte (39), der keine Einträge im Zentralregister hat und bei einem Stuttgarter Autokonzern beschäftigt ist, bringt vor Gericht keinerlei Ausreden für sein Verhalten vor. Über die Tragweite seines Ausrasters ist er sich voll bewusst. Er hat sich wegen seines Alkoholkonsums (fünf, sechs Bier, zwei Viertel am Abend) behandeln lassen, war auf Entzug in Weinsberg, in Reha und ist bei Selbsthilfegruppen.

Eine Sozialpädagogin, die die Familie betreut, schildert ihn als sehr liebevollen Menschen. Zu Hause kuschle der Vater viel mit seinem Jungen und der sechsjährigen Tochter. Und die Familie wachse nach dem Vorfall langsam wieder zusammen.

„Angeklagter beschönigt nichts“

Amtsanwalt Marius Schwemlein rechnet dem Angeklagten hoch an, „dass er nichts beschönigt“. Er stehe für die Tat und ihre Folgen. Der Strafantrag ist eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie eine Geldauflage von 5000 Euro. Manchmal würden Sekunden über ein Schicksal entscheiden, findet er. „Hier mit dramatischen Folgen, mit denen Kind und Eltern ein Leben lang leben müssen.“

Richter Thomas Bossert und seine Schöffen stufen den Fall als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung ein. Ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung (zwei Jahre) sind der Kompromiss. Auf eine Geldauflage wird verzichtet, „denn die Kosten für Anwalt, Sachverständige und Gericht dürften ähnlich hoch sein wie im Antrag der Staatsanwaltschaft“. Ein Vorwurf muss aber noch sein: „Man hätte Schlimmeres verhindern können, wenn man gleich die Wahrheit eingeräumt hätte.“

Auf weitere Rechtsmittel wird noch in der Sitzung von allen Seiten verzichtet. „Ich hoffe, dass es nie mehr eine solche Situation geben wird. Kommen Sie nicht mehr“, verabschiedet der Richter den Angeklagten.

 
 
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