Schwerpunkt Wirtshauskultur Das Dorf ernährt den Wirt nicht mehr

Von Frank Ruppert
Daniel Ohl ist Sprecher von Dehoga in Stuttgart. ⇥ Foto: Dehoga

Gerade in ländlichen Regionen machen immer mehr Gaststätten dicht. Die Gründe dafür reichen laut dem Verband Dehoga von Steuernachteilen bis zum Strukturwandel in Dörfern.

Die Wirtshauskultur hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Es gibt auch auf dem Land immer weniger Wirtshäuser, in denen sich Stammtischrunden treffen. Die BZ geht in einem Schwerpunkt der Problematik auf die Spur und zeigt auf den folgenden Seiten historische und aktuelle Beispiele für Wirtshäuser im Wandel.

Unbestritten ist, dass die typischen Dorfgaststätten immer seltener werden. Landesweit verzeichnet das Statistische Landesamt zwischen 2008 und 2017 einen Rückgang von Gaststätten um 7,24 Prozent. Im Landkreis Ludwigsburg beträgt der Rückgang 7,81 Prozent (in totalen Zahlen: von 1101 auf 1015 Betriebe). Schlimmer hat es aber die ländlicheren Regionen wie Schwäbisch Hall (minus 15,25 Prozent) oder den Main-Tauber-Kreis (minus 24,41 Prozent) getroffen. „In ländlich strukturierten Kreisen ist der Rückgang höher als in Kreisen mit einem hohen urbanen Anteil“, fasst Daniel Ohl, Pressesprecher des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Baden-Württemberg, zusammen.

In der Gesamtbetrachtung haben sich laut Ohl die Voraussetzungen für Dorfgasthäuser und -gasthöfe in den vergangenen etwa 30 Jahren grundlegend geändert. „Salopp formuliert kann man zusammenfassen: Das Dorf allein ernährt den Wirt nicht mehr“, so Ohl. Wer nur „am Weg liegt, verliert“. Wer hingegen zum Ziel werde (für Wanderer, Ausflügler, Reisende), habe durchaus Perspektiven. Dorfgasthäuser brauchen nach Einschätzung der Dehoga heute einen deutlich größeren „Einzugsbereich“ also früher. Das eigene Angebot muss also so originell und attraktiv sein, dass sich auch ein weiterer Anreiseweg lohnt.

Was sind die Ursachen für diesen Wandel? Ohl nennt vier Gründe: Einer davon sei der Strukturwandel im ländlichen Raum. Dörfer, die früher Lebensmittelpunkt und Arbeitsort für ihre Bevölkerung waren, hätten zunehmend den Charakter von „Schlafdörfern“. Die Bewohner pendeln zum Arbeiten in die Stadt und verbringen dort auch vielfach ihre Freizeit.

Damit einher gehe etwa auch der Rückgang der Stammtischkultur, auch weil es heute viele andere konkurrierende Möglichkeiten der Freizeitgestaltung gibt. „Dieser Wandel ist im Wesentlichen unumkehrbar. Es hat keinen Sinn, über ihn klagen. Wir müssen mit diesem Wandel umgehen“, sagt Ohl.

Zu wenig Mitarbeiter

Ein weiterer Grund sei die Mitarbeiterknappheit. Diese sei durch die rechtlichen Einschränkungen beim Mitarbeitereinsatz (Zehn-Stunden-Grenze im Arbeitszeitgesetz) verschärft worden. Der Dehoga-Sprecher sieht auch eine steuerliche Benachteiligung als Ursache für den Rückgang der Dorfgastronomie. Im Mittagsgeschäft müssen Gaststätten im Gegensatz zu steuerbegünstigten „Take-Away“-Betrieben oder dem Einzelhandel 19 Prozent Mehrwertsteuer zahlen.

Als vierten Grund nennt Ohl eine große Anzahl an Para-Gastronomie, wie er es nennt. Damit bezieht er sich auf die gastronomische Aktivität der Vereine im Land. „Nach unserer Einschätzung gehen immer mehr Vereine im Land dazu über, auch Räumlichkeiten für Feiern und Veranstaltungen zu vermieten. Diese Vermietungsaktivitäten treffen die Gastronomie im ländlichen Raum hart, denn Familienfeiern, Hochzeitsfeste et cetera sind eine Ertragssäule, die für viele Betriebe unverzichtbar ist.“

Ein weiteres Problem, das nicht nur Gaststätten auf dem Land betrifft, spricht Ohl auch an: die Nachfolge. Die Dehoga geht davon aus, dass landesweit etwa 4000 inhabergeführte gastgewerbliche Betriebe in Baden-Württemberg in den nächsten fünf Jahren eine Nachfolgeregelung brauchen. Insgesamt gebe es in Baden-Württemberg rund 30 000 gastgewerbliche Betriebe. Es geht also um einen beachtlichen Anteil.

Die Nachfolgeregelung sei eine Sollbruchstelle, an der viele Traditionsbetriebe scheiterten. Mögliche Nachfolger sehen sich häufig einem hohen Investitionsbedarf gegenüber, denn die Ertragsschwäche vieler Betriebe hat Investitionsstau zur Folge, so Ohl. In Familienbetrieben erlebe die junge Generation die oft sehr hohe Arbeitsbelastung, die mit der Führung eines gastgewerblichen Betriebes verbunden ist.  Bürokratie und Dokumentationspflichten belasteten.

Info Weitere Berichte zum Schwerpunkt Wirtshauskultur gibt es auf den Seiten 10, 11, 13, 14 und 15.

 
 
- Anzeige -