Serie geplatzte Pläne Knapp am Kernkraftwerk vorbei

Von Martin Hein
Die grau schraffierte Fläche zeigt den Bereich im Gewann Gansäcker, der als Kraftwerksstandort angedacht war. Foto: BZ-Archiv Foto:  

Zwischen Sersheim und Oberriexingen war ein Atomkraftwerk geplant. Erst durch den Bau von Neckarwestheim II (GKN II) wurden die Pläne letztendlich aufgegeben.

Ende Mai 1976 wurde im Kernkraftwerk Neckarwestheim (GKN) die erste selbst erhaltende Kettenreaktion eingeleitet. Ab 1. Dezember 1976 fuhr das GKN auf Volllast und produzierte Strom. Der Bedarf an Strom war auch schon damals groß. Beinahe wäre bei Oberriexingen ein zweites Kernkraftwerk in der Region entstanden. Tatsächlich gab es im Herbst 1974 Pläne, eine solche Anlage im Raum Sersheim /Oberriexingen zu errichten. Sehr zum Unmut der potenziellen Anrainer-Kommunen, darunter auch Sachsenheim. Der Sachsenheimer Gemeinderat lehnte dieses Ansinnen im November 1974 ab und hatte sich eindeutig gegen diesen Standort ausgesprochen, was die hohe Politik wenig beeindruckte.

Kernkraftwerk mit etwa 1200 bis 1300 Megawatt Leistung vorgesehen

Mit Verordnung vom 6. Juli 1976 erging eine Verbindlichkeitserklärung der Landesregierung zum „Fachlichen Entwicklungsplan Kraftwerkstandorte“. Nach dieser Erklärung bestand die Möglichkeit, dass auf den Markungsstellen Oberriexingen/Sersheim ein Kernkraftwerk mit einer Maximalleistung von etwa 1200 bis 1300 Megawatt in naher Zukunft entstehen solle, sofern die Untersuchung des Standortes positive Ergebnisse zeige, hieß es. Sersheim, Oberriexingen und Sachsenheim wehrten sich dagegen.

Im März 1977 erneuerte der Sachsenheimer Gemeinderat seine Ablehnung. Die Begründung war, dass dieses Gebiet an der Entwicklungsachse Bietigheim-Vaihingen liege, als Siedlungsgebiet ausgewiesen sei und durch die Raketenbasis der US-Streitkräfte sowie die Mülldeponie Horrheim ohnehin stark belastet sei.

Im April 1977 lehnten die Oberriexinger und Sersheimer Gemeinderäte eindeutig und unmissverständlich das Ansinnen ab. Ein eventuelles Kernkraftwerk habe einschneidende Auswirkungen. Der mögliche Kraftwerkstandort sei undiskutabel. Das Thema AKW köchelte weiter, Sersheim betonte auch im April 1978, dass man mit einem Kernkraftwerk-Standort nicht einverstanden sei.

Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium betonte im Oktober 1978, die Aufnahme von Sersheim/Oberriexingen in den fachlichen Entwicklungsplan bedeute nicht, dass das Land dort ein Kraftwerk bauen wolle. Dies bedeute nur, dass das Gelände von anderen Nutzungen freigehalten werden solle, die den Bau eines Kernkraftwerkes vereiteln könnten. Eine Argumentation die nicht gerade dazu geeignet war, die Wogen zu glätten.

Der Standort Sersheim/Oberriexingen wurde im Energieprogramm der Landesregierung 1980 erneut erwähnt, was wiederum zu heftigen Diskussionen in Oberriexingen und Sersheim führte.

Staatsminister Gunter Huonker (SPD) stattete am 16. August 1980 dem Sersheimer Bürgermeister Peter Noak einen Besuch ab. Dabei äußerte Huonker, dass er ein Kernkraftwerk Oberriexingen für äußerst unwahrscheinlich halte, schon alleine wegen der nahegelegenen Nike-Basis der amerikanischen Streitkräfte halte er ein AKW in unmittelbarer Nähe für äußerst gefährlich. Das Thema ließ den Sersheimer Gemeinderat nicht los. Sersheim erwog, einen Prozess gegen das Land Baden-Württemberg anzustrengen.

Lothar Späth: „Standort könnte bei Bau von GKN II entfallen“

In einer Sitzung im Juli 1982 zitierte Bürgermeister Noak den Ministerpräsidenten Lothar Späth, der erklärt, dass die Vorsorgestandorte, zu denen neben Sersheim auch Lauffen gehörte, unter gewissen Voraussetzungen entfallen könnte. Hierbei wurde insbesondere auch an Neckarwestheim II (zweiter Kraftwerksblock) gedacht. Insgesamt hatte man in Sersheim, angesichts der nach wie vor herrschenden Ungewissheit, das Gefühl, von den verantwortlichen Politikern „verschaukelt“ zu werden. Man werde sich nicht unterkriegen lassen, war der einhellige Tenor der Sersheimer, die eine definitive Entscheidung forderten.

Regierungsdirektor Marquardt vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium erklärte Ende August 1982 vor dem Technischen Ausschuss des Kreistages, dass erst nach dem Bau von GKN II mit der Streichung des Kraftwerkstandortes Sersheim/Oberriexingen zu rechnen sei. Die Bürgermeister Peter Noack (Sersheim) und Willi Baur (Oberriexingen) sahen darin eine Missachtung der Souveränität der vermeintlichen Standortgemeinden und beauftragten ihre Anwälte, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Mit einem Normenkontrollverfahren beim VGH in Mannheim gegen das Land Baden-Württemberg sollte die Streichung des Standortes bei Sersheim/Oberriexingen erreicht werden.

Schließlich wurde der Beschluss gefasst, in Neckarwestheim einen zweiten Kraftwerksblock, also GKN II zu bauen, was de facto bedeutete, dass kein AKW bei Oberriexingen/Sersheim mehr notwendig war. Im April 1984 erklärte der Sersheimer Bürgermeister Peter Noak im Kreistag, dass man die Zusage des Landes habe, dass der Kernkraftwerk-Standort Sersheim/Oberriexingen gestrichen sei. Letztendlich wurden die Pläne für ein Kernkraftwerk zwischen Oberriexingen und Sersheim nicht weiterverfolgt.  

Ironie der Geschichte: Am 25. April 1986 wurde im GKN Neckarwestheim mit einem geschmückten Baum auf dem Reaktorgebäude inoffiziell das kleine Richtfest an Block II gefeiert. Am nächsten Tag ereignete sich die Reaktorkatastrophe im Kernkraftwerk Tschernobyl, bis heute der schwerste Unfall in der zivilen Nutzung der Atomenergie.

 
 
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