Sersheim Gegen den Hass im Netz

Von John Patrick Mikisch
Bei der Meldestelle „REspect!“ können Internetnutzer Hass-Postings melden. Seit der Zertifizierung als „Trusted Flagger“ durch die Bundesnetzagentur Anfang Oktober ist die Meldestelle selbst Ziel von Online-Hetze. Foto: IMAGO /­ Hanno Bode

Die Online-Meldestelle „REspect!“ ist als Hinweisgeber gegen Hass im Internet zertifiziert. Rechte Kritiker werfen ihr deswegen Zensur vor.

Das Reich des Bösen liegt für Fans des Fantasy-Epos „Der Herr der Ringe“ in Mordor. Für andere liegt es seit Kurzem in Sersheim. Dort befindet sich der Sitz der Jugendstiftung Baden-Württemberg und ihrer Online-Meldestelle gegen Hetze im Netz. „REspect!“ heißt die und ist seit 1. Oktober von der Bundesnetzagentur als sogenannter „Trusted Flagger“, also Hinweisgeber, zertifiziert.

Seitdem hagelt es vor allem aus der rechten Ecke Kritik. Der Vorwurf: staatliche gelenkte Zensur. Auf dem Online-Portal „Nius“ wird der Leiter der Sersheimer Meldestelle, Ahmed Gaafar, in die Nähe von Islamisten gerückt. Der 29-jährige Politik- und Religionswissenschaftler stammt aus Ägypten und studierte unter anderem an der Kairoer Azhar-Universität Islamwissenschaften. Auch Antisemitismus wird ihm unterstellt. Dabei führt Gaafar neben „REspect!“ auch die Meldestelle gegen Antisemitismus. Beide haben gut zu tun. Nicht erst seit gestern. „Die Meldestelle ‚REspect!’ gibt es bereits seit 2017“, sagt Petra Densborn, Vorstandsvorsitzende der Jugendstiftung Baden-Württemberg. Vom Gründungsjahr mit 666 Meldungen stieg die Zahl auf 23.431 im laufenden Jahr. Derzeit überschwemmen Trittbrettfahrer die Stiftung nach eigenen Angaben mit Meldungen, um ihre Arbeit und Kapazität zu testen. Das sei bedauerlich, da die Meldestelle gerade denen helfen wolle, die akut unter Hass und Hetze leiden.

Es geht um Beistand

Um Beistand geht es seit der Gründung von „REspect!“ 2017. Damals seien junge Menschen auf die Stiftung zugekommen, die im Internet mit politischen Hasskommentaren konfrontiert wurden. „Wir wollten sie damit nicht allein lassen“, sagt Densborn. „REspect!“ solle ihnen vermitteln, dass sie sich wehren können.

Zwar kann jede Privatperson selbst bei der Polizei Anzeige erstatten. Doch neben der Hemmschwelle schrecken auch die möglichen Folgen wie persönliche Angriffe im digitalen wie realen Leben. „Die Meldestelle übernimmt daher diesen Part“, sagt Densborn.

Und so funktioniert die Meldestelle: In einer Online-Maske können User den Fall schildern. Ein Expertenteam nimmt ihn dann unter die Lupe. Im Schnitt stuft das Team mehr als ein Drittel der Meldungen als strafrechtlich relevant ein.

Dabei gehe es um Inhalte, die auch im nicht-digitalen Raum strafbar seien, erklärt Densborn. Wie etwa Hakenkreuzschmierereien oder antisemitische Parolen an Hauswänden, rassistische Beleidigungen und Ähnliches.

Die strafrechtlich relevanten Meldungen werden an das Bundeskriminalamt weitergegeben. In 90 Prozent der Fälle leiten Staatsanwaltschaften anschließend Ermittlungsverfahren ein. Erst wenn eine Staatsanwaltschaft die Strafbarkeit einer Internetbotschaft bestätige, wende sich „REspect!“ an die jeweilige Plattform, um die Löschung zu beantragen. Die Meldestelle durchsuche weder das Netz noch entscheide sie über Löschungen, betont Petra Densborn. „Das liegt bei den Plattformen.“

Das Vorgehen bleibt gleich

Das bleibe auch nach der Zertifizierung als „Trusted Flagger“ gleich. Die geht auf den Digital Service Act (DSA) der EU zurück. Diese will damit mehr Transparenz und Rechtssicherheit für User digitaler Dienste schaffen. Dazu gehört die Zertifizierung von „Trusted Flaggern“.

Die gab es schon vor dem DSA, wie die Bundesnetzagentur auf BZ-Anfrage betont. Bislang seien diese aber freiwillig von den Plattformen selbst eingesetzt worden. Mit dem Inkrafttreten des DSA ist in Deutschland die Bundesnetzagentur dafür zuständig.

Pflicht statt Kür

Zugelassen werden können demnach Organisationen, die besondere Sachkenntnis und Kompetenz in Bezug auf die Erkennung, Feststellung und Meldung rechtswidriger Inhalte verfügen, unabhängig von den Plattform-Anbietern sind sowie sorgfältig, genau und objektiv handeln.

Die Bundesnetzagentur überwacht, ob die „Trusted Flagger“ diese Bedingungen erfüllen und kann den Status auch aberkennen. Die zertifizierten Hinweisgeber müssen zudem jedes Jahr einen ausführlichen Jahresbericht vorlegen. Neben „REspect!“ haben sich zehn weitere Organisationen um eine Zertifizierung bemüht.

Der wichtigste Unterschied zu vorher, so Petra Densborn, sei, dass Plattformen jetzt verpflichtet sind, Meldungen vorrangig zu bearbeiten. „Vorher mussten die nicht darauf reagieren.“

 
 
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