Staatsarchiv Ludwigsburg Pilotprojekt Wiedergutmachung abgeschlossen

Von Claudia Mocek
Ein Archivmitarbeiter bei der Digitalisierung. Foto: /Landesarchiv Baden-Württemberg.

Im Staatsarchiv Ludwigsburg ist ein Projekt zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts abgeschlossen worden. Bis 2030 soll eine flächendeckende Recherche im Netz möglich sein.

Familienforscher, Historiker und Geschichtsinteressierte müssen Archive oft noch persönlich aufsuchen, um alte Quellen anzuschauen. Manche kommen von weit her, um zum Beispiel die Akten der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Staatsarchiv Ludwigsburg auszuwerten. Ende Februar ist dort ein dreijähriges Pilotprojekt abgeschlossen worden, das diese Quellen zentral über ein Onlineportal für ein internationales Publikum verfügbar machen will. Die BZ hat Historikerin und Archivarin Nastasja Pilz nach dem Stand befragt.

„Das Staatsarchiv Ludwigsburg ist bei den Beständen zur Entnazifizierung führend für die NS-Forschung“, sagt Pilz. Mehr als 50 Prozent der Entschädigungsakten in Baden-Württemberg sind hier untergebracht – eine gute Ausgangslage für das Projekt. Seit vergangenen Juni gibt es erstmals online und unter einem Dach zunächst eine Übersicht über die rund 500 Bestände aus staatlichen Archiven mit Millionen Archivalien und Dokumenten. Auch Informationen zum historischen Hintergrund der Wiedergutmachungspolitik sind bereits in dem Portal zu finden.

Suche von Zuhause im Netz

Künftig soll darüber hinaus ein einheitlicher digitaler Zugang zu allen Akten der Wiedergutmachung geschaffen werden. Eine Mammutaufgabe der nächsten Jahre und Jahrzehnte, denn dafür müssen nicht nur zahlreiche Datensätze digitalisiert und in das Portal eingespeist werden. Diese sollen außerdem für die Nutzer zum Beispiel über Personen und Sachthemen erschlossen werden. Dann können etwa Nachkommen von Verfolgten über die Suche nach einem Namen und einem Geburtsdatum von zu Hause aus im Online-Portal Hinweisen zur eigenen Familiengeschichte nachgehen, erläutert Pilz. „Es wäre ein Gewinn, wenn diese Informationen digital vorliegen“, sagt sie. Zum Vergleich: Würden sämtliche Wiedergutmachungsakten in Ludwigsburg händisch vor Ort und ohne technische Unterstützung ausgewertet, würde dies geschätzt rund 18 000 Arbeitsstunden dauern – mindestens zehn Jahre.

Für die Erschließung und Einordnung des Archivguts in sachliche Zusammenhänge wurde im Pilotprojekt vorgearbeitet: Technisch stellt dies eine große Herausforderung dar, denn in den einzelnen Quellen gibt es oft unterschiedliche Schriften und Schriftarten – mit Maschine oder per Hand geschrieben sowie Stempel oder beschädigte Seiten. Diese müssen zunächst erkannt, zugeordnet und entschlüsselt werden, um dann eine Texterkennung vornehmen zu können.

Künstliche Intelligenz eingesetzt

Zusammen mit dem FIZ Karlsruhe, dem Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur, wurden automatische Verfahren zur Text- und Mustererkennung getestet und die Möglichkeiten einer auf künstliche Intelligenz gestützten Anreicherung von Erschließungs-daten ausgeleuchtet. Die Verbesserungen beim Erkennen von Maschinenschrift lagen bei rund 24 Prozent, bei Handschriften bei rund zehn bis 20 Prozent. Ziel sei es, 90 Prozent der Texte zu erkennen. Dafür wird die Texterkennung weiter optimiert.

Eine weitere Voraussetzung dafür, dass Nutzer künftig zum Beispiel nach Namen oder Berufen recherchieren können, ist, dass die Quellen über Referenzen in einen Kontext eingeordnet werden. Sucht ein Nutzer zum Beispiel nach „Peter Müller“ und einem Geburtsdatum, kann darüber sichergestellt werden, dass es sich bei allen Quellen, die im Portal gefunden werden, um ein und dieselbe Person handelt. Hinter den Bemühungen des Projekts steht das Ziel, dass Archivdaten „auffindbar, zugänglich, verknüpfbar und wiederverwendbar“ zur Verfügung gestellt werden, erläutert Pilz.

In den Archiven lautet das Credo noch: Erst Quellen erschließen, dann Digitalisieren. Nastasja Pilz ist jedoch davon überzeugt, dass sich dies bald umkehren wird – dann wird erst digitalisiert und später erschlossen. Seit 2000 werden viele Unterlagen bereits digital erstellt, erläutert sie. Hinzu kommt, dass sich die Erwartungshaltung der Nutzer geändert hat. „Ich glaube aber nicht, dass die Lesesäle in den Archiven aussterben werden“, sagt die Historikerin, „sie sind und bleiben Orte der Begegnung – mit Ausstellungen und Vorträgen.“

Und wie lange wird es dauern, bis alle Quellen zur Wiedergutmachung vollständig digital erschlossen sind? Die Wissenschaftlerin hofft, dass die zentrale Recherche für den Bereich Wiedergutmachung bis 2030 flächendeckend möglich sein wird, „punktuell schon früher“.

Podcast „Sprechende Akten“

In das Pilotprojekt ist vom Bundesfinanzministerium, das für die Wiedergutmachung zuständig ist, rund eine halbe Million Euro für die technische Erschließung geflossen. Der weitere Ausbau des Portal wird „eines der finanzstärksten Projekte des Finanzministeriums“, sagt Pilz. Dies sei ein Ausdruck dessen, dass die ideelle Wiedergutmachung von der Politik als Folgeaufgabe anerkannt worden ist – indem Schicksale sichtbar gemacht werden.

Der Bildungsaspekt nimmt im Projekt einen breiten Raum ein: Es werden historische Hintergründe beleuchtet und Recherchehilfen an die Hand gegeben. Für den Podcast „Sprechende Akten: NS-Opfer und ihr Ringen um Entschädigung“ wurden einige Entschädigungsakten vertont, die die Geschichten hinter den bürokratischen Verfahren zeigen und wie chaotisch die Regelungen teilweise waren.

 
 
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