Ganz schön viel Pomp bringt Regisseur Ulrich Wiggers zum Saisonauftakt auf die Bühne. Völlig zurecht, denn gespielt wird „Gefährliche Liebschaften“, jenes illustre wie grausame Drama von Christopher Hampton um Amouren, Rache und Machtspielchen des gehobenen Adels Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich. Das Stück nach dem Briefroman von Pierre-Ambroise François Choderlos de Laclos ist nun zu sehen im Alten Schauspielhaus Stuttgart.
Stuttgart Reich an Prunk, arm an Moral
Das Theaterstück „Gefährliche Liebschaften“ feiert im Alten Schauspielhaus Premiere.
Kurz vor der Französischen Revolution flackert sie noch einmal auf in vollem Glanze, die höfische Welt. Protzt und prunkt mit Lüstern, marmornen Freitreppen und vor allem edlen Gewändern, hier kongenial ausgestattet von Leif-Erik Heine. Bis zu 16 Meter Seidenstoff stecken in den zehn Damenroben. Und viel Arbeit für die Schneiderei im Alten Schauspielhaus unter der Leitung von Petra Kupfernagel. Enge Mieder, brokat-verziert und kunstvoll gerüscht, wallende, seitlich ausladende Schöße, das Dekolleté so weit wie tief. Die Männer von Stand ebenso geleckt, vom hohen Stiefelabsatz bis zur gepuderten Perücke. Inmitten all der Dekadenz treiben schon länger zwei maliziöse Figuren ihre Spielchen mit unschuldigen Zeitgenossen: die Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmont. Nun aber schmieden sie Seit an Seit ihre Intrigen, um hier Rache zu üben und da eine scheinbar unerreichbare Trophäe zu ergattern. Kaltherzigkeit im Quadrat.
Wahre Liebe im täuschenden Spiel
Die Merteuil, überzeugend skrupellos gespielt von Lisa Wildmann, möchte sich an einem abtrünnigen Liebhaber rächen, indem sie dessen Verlobte Cécile von De Valmont verführen lässt. Sven Mattke gibt den männlichen Part des teuflischen Komplottes, und bei seinem Debüt in Stuttgart scheint das ein zu leichtes Spiel – „Sowas liegt doch schon auf dem Rücken, bevor man die ersten Blumen ausgewickelt hat“ –, weshalb er obendrein die für ihre Prüderie wie Tugendhaftigkeit bekannte Madame de Tourvel (Natalie O‘Hara) entweihen möchte. Kurz: beides gelingt. Und es verlieren doch alle. Womit keiner gerechnet hatte: Dass wahre Liebe sich ins täuschende Spiel mischt.
Eine runde Produktion, mitreißend durchtrieben und grausam auch, ein adäquates Ensemble, das sich auf Perfidie wie Sittenhaftigkeit der Vorlagen versteht. Ähnlich wie Stephen Frears Film von 1988 mit Glenn Close und John Malkovich in den Hauptrollen trotz aufwendiger Ausstattung kein reiner Kostümfilm war, ist auch diese Inszenierung kein „Kostümtheater“, sondern ein fein gesponnenes Sittengemälde mit Lust an der Opulenz, durchaus psychologischem Tiefgang und dramatischem Ende, herausragend gespielt vom süffisant kommentierenden Gideon Rapp als Azolan über Annette Mayers misstrauische und doch vertrauensseelige Darstellung der Mutter bis hin zu Eva Gerngroß, die deren naive Tochter Cécile gibt.
Geschlechterkampf auf der großen Bühne
Zentral jedoch thront hier neben Mattkes Verführer De Valmont Lisa Wildmanns Madame de Merteuil über allem erhaben, grausam bis zur Selbstzerstörung, im Grunde jedoch eine von den Machtverhältnissen enttäuschte Seele, die früh erkannt hat, dass Frauen viel fähiger sein müssen als Männer und darum nur „Krieg!“ kennt, die einer Dame dafür zugängigen Methoden rasch erlernt und nur ein Ziel hat, „Dein Geschlecht zu beherrschen und das meine zu rächen“. Kollateralschäden auf Seiten der Damen nimmt sie dafür in Kauf. Orthese und Gehstock sind einem Unfall kurz vor der Premiere geschuldet, rauben Wildmanns Madame de Merteuil jedoch zu keiner Sekunde Macht oder Ansehen. Patricia Fleischmann