Tafelladen Bietigheim-Bissingen zieht Notbremse Aufnahmestopp für Neukunden

Von Heidi Vogelhuber
Gisela Nägele, Ingrid Brandl und Margret Rieker (von links) arbeiten neben vielen anderen Helfern ehrenamtlich im Tafelladen. Das Bereichernde an der Arbeit seien vor allem die Gespräche und der persönliche Kontakt mit den Menschen. Foto: /Martin Kalb

Der Bietigheimer Tafelladen zieht die Reißleine: Die Massen an Menschen können nicht mehr bedient werden. Es gehe vor allem darum, die Mitarbeiterinnen vor Überlastung zu schützen.

Der Vorstand der Bietigheim-Bissinger Tafel hat beschlossen, im Tafelladen ab sofort keine neuen Kunden und Kundinnen mehr anzunehmen. Diese Nachricht mag hart klingen, man habe innerhalb des sechsköpfigen Vorstands auch mit sich gerungen, die Entscheidung sei wirklich nicht leicht gefallen. Letztendlich wurde es aber einstimmig so bestimmt. Johannes Schockenhoff, der Vorsitzende der Bietigheim-Bissinger Tafel e.V., erklärt im Gespräch mit der BZ, dass die Massen an Menschen überhand genommen hätten in den letzten Wochen. „Um 15 Uhr hatten wir schon keine Ware mehr. 150 Kunden können wir gut bedienen, was die Waren, aber auch, was das Personal anbelangt. 200 oder gar 220 sind aber einfach zu viele.“

Andere Tafeln haben schon länger die Notbremse gezogen

Es kämen viel mehr Neukunden, oftmals Geflüchtete aus der Ukraine. „Die Tafel in Ludwigsburg etwa hat den Neukunden-Stopp bereits mit den Corona-Beschränkungen eingeführt“, berichtet Schockenhoff. Die eigentlich deutlich größere Filiale der Barockstadt bediene 120 Kunden am Tag – 60 Prozent der Menschen, die in die Bietigheimer Tafel kämen. Auch Bedürftige aus dem Umland kämen nach Bietigheim, eben „weil wir das Angebot bislang aufrecht erhalten haben“, sagt der Vorsitzende und weiter: „Solange die Situation so angespannt bleibt, müssen wir vorrangig die Kunden und Kundinnen mit unserer Kundenkarte bedienen. Kunden anderer Tafeln müssen bei ihrer Tafel einkaufen und können nicht mehr zusätzlich zu uns kommen.“

Schutz der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen

Der Vorstand werde die weitere Entwicklung genau verfolgen und bei Bedarf weitere Maßnahmen einleiten, beispielsweise die Zuordnung der Kunden nach Alphabet oder Wohnort auf bestimmte Öffnungstage. „Wir müssen auch unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schützen“, mahnt Schockenhoff an. Am Tag seien gut 30 Personen in der Tafel in Bietigheim-Bissingen beschäftigt. Oftmals in Teilzeit seien gut 20 Personen täglich im Laden, dazu kommen noch die Fahrer. Man müsse immer bedenken, dass die Beschäftigten der Tafel Ehrenamtliche seien. Es gehe den Mitarbeiterinnen ja nicht darum, hinter der Kasse zu sitzen. „Man darf den Einkauf bei uns nicht mit einem normalen Einkauf in einem Discounter vergleichen. Der Einkauf bei uns ist wie eine Sozialtherapie. Oftmals sind unsere Mitarbeiter die einzigen sozialen Kontakte, die unsere Kundschaft hat“, sagt er. Es bestehe oftmals ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeitern und Kunden. „Das ist auch ein Teil der Motivation hier zu arbeiten. Unsere Mitarbeiter machen das, was sie hier tun, richtig gerne. Sie erfahren hier Wertschätzung“, erklärt Schockenhoff. Das sei eine bereichernde Erfahrung und eine sinnstiftende Arbeit.

Gerade deshalb könne und wolle er nicht riskieren, die Menschen zu überfordern. „Wir mussten die Notbremse ziehen, bevor die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausfallen.“ Denn selbst wenn mehr Ware und mehr Mitarbeiter zu organisieren seien, könne die Tafel nicht unendlich wachsen.

Neue Mitarbeiter brauchen eine Einarbeitungszeit

Ganz davon abgesehen, dass neue Mitarbeiter erst eine Einarbeitungszeit brauchen und nicht sofort so viel leisten können, wie eine langjährige Mitarbeiterin, sei es gar nicht gewünscht, zu wachsen. „Wir als Tafel wollen die Notlösung sein. Wir wollen uns nicht etablieren, sondern überflüssig werden“, sagt Schockenhoff und richtet sich an die Politik: „Die Tafel ist fast schon eine Grundversorgung. Das ist aber falsch, der Staat muss für die Bedürftigen vorsorgen.“

Schockenhoff begrüße zwar die aktuellen Diskussionen und Entwicklungen rund um die Erhöhung der Sozialhilfesätzen, das reiche aber nicht aus. Das zusätzliche Geld decke vielleicht die Inflationsmehrkosten, das grundsätzliche Problem sei dadurch jedoch nicht gelöst.

Der Warenkorb, auf dem die Berechnung der Sätze stattfinde, müsse angeschaut und aktualisiert werden. „Die staatlichen Hilfen müssen zielgenauer die Bedürftigen erreichen“, fordert Schockenhoff, der die Hoffnung auf eine politische Lösung nicht aufgibt. Der Bund könne diese Aufgabe nicht einfach auf die Kommunen oder Tafelläden abwälzen.

Info

Wer den Tafelladen durch ehrenamtliche Mitarbeit unterstützen möchte, kann sich vor Ort im Laden melden oder unter Telefon (07142) 7 78 58 95 (Montag, Mittwoch und Freitag).

 

 
 
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