Tag der Organspende Bietigheim-Bissingen Hoffnung trotz Schockdiagnose

Von Helena Hadzic
In der Theorie finden viele Bürger die Organspende gut – an der Praxis, sich einen Ausweis zu holen, scheitere es meistens, findet der Lebertransplantierte Josef Theiss. Foto: /imago/Michael Bihlmayer

Josef Theiss hat im Alter von 54 Jahren eine neue Leber erhalten – wie die Transplantion für ihn war, erzählt er im Gespräch mit der BZ. 

Alles hat nach einer einwöchigen Reise in Schweden begonnen: Josef Theiss fühlt sich schlapp und müde – und das die ganze Zeit. Er schäft viel, erholt sich aber nicht. Erst hält er es für eine Grippe – nur bleiben die klassischen Symptome aus. Daher entschließt er sich, zum Arzt zu gehen und seine Laborwerte abzufragen. Die folgende Diagnose wird sein Leben für immer verändern: Theiss hat Hepatitis B, seine Leber ist krank. „Ich dachte nur: Ist das der Anfang vom Ende?“, sagt der heute 83-Jährige. Schnell wird klar, dass er eine Lebertransplantation benötigt.

Das ist nun 35 Jahre her – in Deutschland gibt es heute rund 8500 Menschen, die sich auf der Warteliste für ein Spenderorgan befinden, allen voran Nieren, Leber und Herzen. Die Anzahl derer, für die ein passender Spender gefunden wird, ist ernüchternd: Im vergangenen Jahre gerade einmal 2800 Betroffene. „Wenn man das also runterrechnet, wird man statistisch gesehen eher Empfänger als Spender“, meint Josef Theiss.

Ein Unglück kommt selten allein

Der Bietigheimer erinnert sich noch gut daran, was für ein Schock die Diagnose im Jahr 1988 war. „Ich hatte ja keine Schmerzen oder Ähnliches. Aber wie sagt man so schön – die Müdigkeit ist der Schmerz der Leber“, erzählt Theiss. Die Krankheit führte dazu, dass sein Körper die Nahrung nicht mehr richtig aufnehmen konnte, und so verlor er immer mehr an Gewicht. Der nächste Schock ließ allerdings nicht lange auf sich warten.

Sein Arzt überwies ihn an das RKH Klinikum Ludwigsburg, wo er die nächste schlechte Nachricht erhielt: Ein Tumor hatte sich in seiner Leber eingenistet. Von Ludwigsburg ging es dann im November in die Uniklinik Heidelberg, wo ihm drei Monate später ein Drittel seiner Leber mit dem Tumor entfernt wurde. Danach war der gelernte Industriekaufmann immer mal wieder für kleine Episoden arbeitsfähig – und dann wieder nicht. „Es war ein Auf und Ab“, merkt er an. Doch ganze vier weitere Jahre sollten vergehen, bis ihn die dritte Hiobsbotschaft erreichte sollte. 1993 stellte sich heraus, dass der Krebs zurück war und sich Metastasen gebildet hatten. „Die Ärzte haben mir dann auch gesagt, dass es keine Alternative zu einer Lebertransplantion gibt – und ich mich nun entscheiden muss.“

Entscheidung über Leben und Tod

Trotz der Tatsache, dass ihm eigentlich keine Wahl blieb, fiel ihm die Entscheidung schwer. Verschiedene Gedanken kreisten ihm im Kopf herum. Gedanken wie: „Und wenn ich nun warte und es kommt keine Leber?“, oder, „Was sagen die Angehörigen dazu?“. Eine Entscheidung, die buchstäblich über Leben und Tod entscheidet.

Die Ironie an der Geschichte: Wovor sich Theiss damals als möglicher Empfänger fürchtete, hatte er bereits Jahre zuvor als möglicher Spender bestätigt. Denn: Er und seine Frau Hedi haben bereits seit den 70er-Jahren beide einen Organspende-Ausweis. Nach einer Informationsveranstaltung beschlossen sie kurzerhand, sich bereit zu erklären, als Organspender in Frage zu kommen. „Wir haben nicht lange nachgedacht – das Leben ist ein Geben und Nehmen.“

Seine Familie samt seiner drei Kinder standen hinter der Entscheidung, und so ließ sich Theiss auf die Warteliste setzen. Und schon im Januar 1994 war es soweit – der ersehnte Anruf der Klinik Heidelberg: Es gibt eine passende Spenderleber. Was für Betroffene ein Grund zur Freude ist, entpuppte sich allerdings für Theiss als erneuter Rückschlag. Bereits in der Klinik angekommen – wartend auf das lebensentscheidende Organ – erhält er die Nachricht, dass er die Leber nicht bekommen würde. Der Grund: Sie hätte aus Holland mit dem Flugzeug eingeflogen werden müssen; aufgrund eines Schneesturms konnte die Maschine nicht starten, und die Operation scheiterte noch vor Beginn.

Doch damit nicht genug: Eine Laborkontrolle acht Tage danach förderte zutage, wie schlimm sein Zustand wirklich war, denn seine Uhr tickte um einiges schneller als erwartet.

Die Werte ergaben, dass Theiss nur noch wenige Tage zu leben hatte. Nach der geplatzten Chance wurde er nun auf „high urgent“ (sehr dringend) eingestuft, also auf die höchste Alarmstufe. Auf das Hoffen des damals 54-Jährigen folgte dann bald darauf die erhoffte Rettung – die nächste passende Leber wurde gefunden, und die circa zwölfstündige Operation konnte nun endlich durchgeführt werden.

Doch wie fühlt man sich, wenn man das Organ eines fremden Menschen in sich trägt? Anders, meint Theiss, denn: „Mein allererster Gedanke nach meiner Transplantation war: Josef – du lebst“. Dieses Gefühl werde er niemals vergessen. Ganze drei Wochen verbrachte er zur Nachsorge in der Klinik und ging anschließend für einige Wochen in die Reha, wo er durch Spaziergänge nach und nach fitter wurde. Zwar muss er für den Rest seines Lebens Tabletten gegen eine Abstoßung einnehmen, aber er hat mit der Spenderleber Lebensjahre geschenkt bekommen – bis heute 29 an der Zahl.

Aufklärung statt Bequemlichkeit

Dieses Geschenk wollte Theiss mit anderen teilen und Betroffene auf ihrem Weg beraten und unterstützen. Aufgrund seiner Rente ab dem 54. Lebensjahr, konnte er seine Zeit in den Selbsthilfe-Verein Lebertransplantierte Deutschland stecken. Bereits im Jahr 1994 startete er in Bietigheim-Bissingen seine eigene Kontaktgruppe für den Kreis. Für den Bundesverband war er bis vor zwei Jahren im Vorstand tätig und ist heute immer noch als Ansprechpartner für die Kontaktgruppe im Kreis aktiv. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt sorgt er für Aufklärung, beispielsweise auch an Schulen.

Und was Theiss von der Widerspruchslösung hält? „Ich war lange Zeit dagegen, weil die Leute sich eigenständig und bewusst entscheiden sollen“, erklärt er. Aufgrund des Rückgang an Spendern sieht er mittlerweile keine andere Lösung. Seine Hoffnung bleibt aber, dass durch Aufklärung ein gesellschaftliches Bewusstsein geschaffen wird – etwas, was „die Politik versäumt hat“, sagt Josef Theiss.

 
 
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