Theater unter der Dauseck in Sachsenheim Wider das Schubladendenken

Von Sandra Bildmann
Im neuen Stück des Theaters unter der Dauseck "Auge um Auge" treffen sehr unterschiedliche Charaktere aufeinander.⇥ Foto: Sandra Bildmann

Das Theater unter der Dauseck zeigt die Neuproduktion „Auge um Auge“ im Möbelhaus „Schmid’s Domino“.

Es sind drei Phasen, durch die eine Gruppe zufälliger Mitglieder in kurzer Zeit geht. Sie durchleben die Dynamik, die aus „zusammen halt“ erst „Zusammenhalt“ werden lässt und in „Zusammen, halt!“ mündet. Die Figuren – und vor allem die Zuschauer – erkennen, dass hinter allem mehr steckt, als es auf den ersten Blick scheint; dass sich das vermeintlich Gute als arroganter, rechthaberischer Anwalt des Bösen aufspielt und damit neu positioniert werden muss. Das neue Theaterstück „Auge um Auge“ des Oberriexinger Theater wurde am Samstagabend im Möbelhaus „Schmid’s Domino“ in Sachsenheim aufgeführt.

Das Stück trägt den Untertitel „gefährlicher Hüttenzauber“ und legt damit das Setting fest: Aufgrund eines Unwetters suchen fünf Menschen in einer Hütte im Wald trockenen Unterschlupf. Ohne Handynetz und Kommunikationsmöglichkeit nach außen sind sie fortan dem Umstand ausgesetzt, sich miteinander zu beschäftigen. Aufeinander treffen ein schwäbelnder Hobbyornithologe, ein mehrfach geschiedener Sozialpädagoge, eine Joggerin mit Migrationshintergrund sowie eine Lehrerin, die sich mit ihrem Sohn – Polizist von Beruf – auf Versöhnungswanderung befindet.

Hier prallen Vertreter unterschiedlicher Welten aufeinander, die ausgelöst durch ein verbindendes Schicksal zunächst konfliktlos versuchen, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich füreinander interessieren. Diese Idee ist als Theatergrundlage nicht neu, funktioniert aber immer wieder, weil sie die Möglichkeit bietet, viel Inhalt in kurzer Erzählzeit auf den Tisch zu bringen. So stolpern die fünf Charaktere von einem brisanten wie aktuellen Thema ins nächste: von Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe über randalierende Jugendliche, gendergerechte Sprache und berufliche Coronakonflikte bis zum Recht auf Freiheit.

Stärken und Schwächen

Menschen handeln aus der Situation und Emotion heraus, ihren Impulsen und eigenen Interessen folgend; sie „sind“ nicht grundsätzlich „so“ wie sie „sind“. Dem Schubladendenken Einhalt gebieten, ist eines der Hauptziele der Neuproduktion. Der Gute, der Böse – von diesen Schablonen und Klischees distanziert sich das Stück. Es zeigt, dass jede Figur ihre Stärken und Schwächen hat; dass niemand, neutral betrachtet, alles richtig macht. Auch wer sich selbst für tolerant und korrekt hält, wird sich ertappen.

Theater funktioniert meist, indem sich der Zuschauer mit einer Figur identifiziert oder zumindest solidarisiert. Das geschieht bei „Auge um Auge“ auch – aber der Betrachter wird sich mahnen lassen müssen, denn Verlauf und Ende sind während des Einakters nicht absehbar. Die Geschichte bleibt stets spannend – aus dramaturgischer Sicht eine der größten Stärken des Stücks.

Eine andere sind die argumentativ geführten Diskussionen gesellschaftsbewegender Kontroversen. In den Dialogen wird darauf geachtet (Buch und Regie: Walter Menzlaw), verschiedene Perspektiven zu Wort kommen zu lassen. Der Zuschauer muss erkennen, dass es zumeist kein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt, dass eine Meinung stets das zu respektierende Produkt aus individuellen Kenntnissen, Umständen und Blickwinkeln ist. Was es mit dem Titel „Auge um Auge“ auf sich hat, klärt sich am Schluss. Er ist in doppeltem Sinn clever gewählt.

 
 
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