„Zum Glück gibt es den gepflegten Umgang“, ist man sich am Beginn des Stücks noch einig, als die Sonne bei abends immer noch 30 Grad über dem Sommertheater steht. Eine Prügelei auf der Bärenwiese gab es unter den Kindern der zwei Elternpaare – aber das ist kein Problem, denn in einer zivilisierten Gesellschaft klärt man so etwas ja im ruhigen Gespräch.
Theatersommer Ludwigsburg Zivilisationsbruch unter dem Sommerhimmel
Der Ludwigsburger Theatersommer brachte die Komödie „Der Gott des Gemetzels“ ins Schwäbische.
So beginnt die Komödie „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza, die dieses Jahr die erste Premiere des Sommertheaters war. Ausverkauft war die frisch restaurierte Experimentierbühne, wo bisher das Kindertheater war.
Terrasse statt Pariser Wohnung
„Bäume, Pflanzen, Wasser, nichts ist ‚als ob‘, das ist hier so toll“, ist Regisseur Peter Kleinert von der Bühne begeistert. Das Stück, im Original in einer Pariser Wohnung, wurde von ihm auf die Terrasse des schicken Hauses der Gastgeber verlegt: Der Hausherr erläutert auch großspurig seine weiteren botanischen Pläne. „Theater ist immer eine Gemeinschaftsleistung, das ist das Schöne daran“, sagt der Regisseur, der sich bei der Einpassung des Stücks in den schwäbischen Rahmen von den Schauspielern beraten ließ, die zum Teil aus der Region kommen: Es wird geschwäbelt, die Gartenutensilien kaufte man bei hiesigen Händlern und die Auseinandersetzung fand auf der Bärenwiese statt. Die kenne sie doch eigentlich als „ein Hort der Sicherheit“, wundert sich Diana Gantner in der Rolle der einen Mutter.
Zusammen wollen die zwei Elternpaare also die Regeln einer zivilisierten Gesellschaft zur Konfliktbeilegung befolgen. Aussprache, Entschuldigung, Versöhnung. Doch das gelingt nicht. Vielleicht, weil eigentlich niemand wirklich Lust auf dieses Treffen hat. Vielleicht, weil man sich gegenseitig beeindrucken will. „Wir leben in einer Rechthabergesellschaft“, sagt der Regisseur, dafür seien die Charaktere des Stücks die besten Beispiele. „Für mich ist der Reiz daran, wie sich aus einem eigentlich ganz freundlichen Zusammensein, wo man denkt, man geht da mal zehn Minuten hin, also aus einem kleinen Konflikt, ein Großkonflikt entwickelt“, sagt Kleinert: „Wie im Kleinen, so im Großen“. Er sieht die großen Fragen verdichtet: „Kriege entstehen auch so.“
Und so schaukelte es sich weiter hoch: Nach dem „Präludium“ im ersten Teil „entwickelt sich das in die Katastrophe“, sagt Kleinert schon in der Pause im Voraus: „Unter der Folie eines bürgerlichen Kaffeenachmittags entsteht ein Weltkrieg – die Mechanismen sind die gleichen.“ Risse in der bürgerlichen Fassade hatte es schon am Ende der ersten Hälfte gegeben, als „Mutter“ Diana Gantner feststellte: „Anstand ist ein Unsinn, der schwächt und wehrlos macht.“ Mit diesen Zweifeln am eigenen Wertekodex ging es weiter: Der eine Vater, der den Familienhamster zum sicheren Tod auf die Straße setzte, weil er ihn störte, der andere, der als Anwalt hilft, einen Pharmaskandal zu vertuschen – nach und nach kommen die Abgründe ans Licht. „Diese Menschen sind Ungeheuer“, ist nur eine der Anfeindungen, die gemacht werden.
Der Gott des Gemetzels regiert
Und es herrscht: der Gott des Gemetzels, der einzige, der seit dem Beginn der Zeit regiert, wie Felician Hohnloser in der Rolle des skrupellosen Anwalts und Vaters feststellt. So fällt man übereinander her, verbal wie handgreiflich, trinkt, schreit, verliert die Kontrolle. Der sorgsam gepflegte Garten wird zerrupft und am Ende verfallen alle in eine apathische Starre. Die Schlacht ist ohne Sieger geschlagen und man fragt sich nach dem Sinn des Ganzen.
Viel Stoff also für die Diskussionen mit Regisseur und Schauspielern an der Bar vor dem Saal und unter dem inzwischen schwarz gewordenen Himmel. Doch davor klatschte das Publikum die Schauspieler wieder und wieder auf die Bühne. Jonathan Lung