Urteil im Mordprozess Angeklagter zu lebenslanger Haft verurteilt

Von Heidi Vogelhuber
Am Mittwoch ist das Urteil gefallen im Mordprozess um Tabitha E. aus Asperg, die am 12. Juli 2022 erwürgt und fünf Tage später am Enzufer bei Unterriexingen gefunden wurde. Das Gericht hat den angeklagten 36-Jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt. Foto: /dpa/Christoph Schmidt

Der Prozess um die 17-jährige Tabitha E. aus Asperg ist beendet. Naim A. ist anhand von zahlreichen Indizien schuldig gesprochen worden und muss nun hinter Gitter.

Die Taschentuch-Packung lag auf dem Tisch. Das oberste Tuch war schon zur Hälfte herausgezogen, falls die Tränen plötzlich kommen sollten. Verwendet wurde es jedoch nicht. Die Familie von Tabitha E. blieb stark, überstand nun auch diesen letzten Prozesstag. Auch rund 70 Freunde, Bekannte und sogar einige der involvierten Polizeibeamten waren gekommen.

Am Mittwoch wurde das Urteil im Fall um die am 12. Juli 2022 getötete 17-Jährige aus Asperg gesprochen. Der Angeklagte 36-jährige Naim A. aus Markgröningen muss wegen Mordes an dem Mädchen eine lebenslange Haftstrafe absitzen. Ebenfalls muss er die Verfahrenskosten sowie die Kosten der Nebenkläger übernehmen. Damit ist die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart der Anklage des Staatsanwalts gefolgt. Die Verteidigerin forderte Freispruch. Die Nebenkläger (als solche traten die Geschwister von Tabitha E. auf) forderten Lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld, das jedoch stellte das Gericht nicht fest.

Revision ist möglich

Wenn die Verteidigerin des Angeklagten nicht innerhalb einer Woche Revision einlegt, bleibt der verurteilte Mörder von Tabitha E. für mindestens 15 Jahre im Gefängnis. Danach kann die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden.

Läge der Fall der besonderen Schwere vor, würde er nach den 15 Jahren in Sicherheitsverwahrung bleiben.

Zur Begründung des Urteils fasste der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen die Erkenntnisse aus dem Prozess zusammen, der sich über sechs Verhandlungstage und die Urteilsverkündung erstreckte. Das Gericht habe festgestellt, dass der gebürtige Syrer, der 2015 nach Deutschland gekommen war, sich zwar beruflich gelungen integriert habe. Sein Ziel sei jedoch gewesen, eine Frau zu finden, was ihm offenbar nicht möglich war, weshalb er sich auf 15- bis 17-jährige Mädchen fokussierte. Gezielt habe er Minderjährige angesprochen, sie in seinem BMW umherchauffiert, in seine Wohnung eingeladen und zielgerichtet ihr Vertrauen erschlichen, führte der Richter aus.

Vier junge Frauen zwischen 17 und 20 Jahre beschrieben eindrücklich sexuelle Übergriffe unterschiedlicher Intensität, die sie als 14- bis 17-Jährige mit dem Angeklagten erlebt hatten. Bei einem Mädchen ging der Übergriff „bis in den Verbrechensbereich“, so der Richter. Deshalb wurden die Plädoyers am Mittwochmorgen auch nichtöffentlich gehalten, denn das Mädchen ist noch heute minderjährig. Jene Mädchen schafften es zwar freizukommen, jedoch suchte sich Naim A. ein „Ersatz-Lieblingsmädchen“, das mit dem Leben bezahlen musste: Tabitha E.

Das Opfer und der Angeklagte „hatten wirklich gar nichts gemeinsam“, beschreibt Holzhausen den Altersunterschied, aber auch die Lebenserfahrung – er sei aus Syrien geflogen, habe im Militär gedient, sei gewaltbereit und hochgradig manipulativ.

„Man darf mit 17 naiv sein“

Sie sei offen, vertrauensselig, freundlich gewesen, legte viel Wert auf Vertrauen. „Man mag ein solches Verhalten als naiv bezeichnen. Aber man darf mit 17 naiv sein – ohne dass man von Erwachsenen ausgenutzt wird“, sagte der Richter. Der Angeklagte habe den Beschluss gefasst, „zusammenzuzwingen, was nicht zusammen gehört.“

Das Mädchen habe sich beim Angeklagten gehört gefühlt, habe bei ihm Freiraum gefunden. Der Angeklagte habe jedoch eine Beziehung von ihr erwartet, was sie ihm weder geben wollte, noch konnte. Als sie anfing, zarte Bande zu einem Gleichaltrigen zu knüpfen, sei eine „völlig deplatzierte Überreaktion des Angeklagten“ erfolgt. Er habe dem Paar aufgelauert, es verfolgt. Als Tabitha E. sich mit dem damals 35-Jährigen aussprechen wollte, kam es zur Tat. „Der Angeklagte ist der Mensch, der Tabitha umgebracht hat. Davon ist die Strafkammer überzeugt“, sagte Holzhausen.

Durch die Auswertung von Chatverläufen, Handydaten und Aufnahmen von Überwachungskameras sowie der Zeugenaussage eines Joggers könne die Tat minutengenau eingegrenzt werden. Am 12. Juli 2022 hat Naim A. das Mädchen zwischen 18.27 und 18.32 Uhr „mit direktem Vorsatz und mit Absicht getötet“. Das Erwürgen, das die Gerichtsmedizinerin festgestellt hat, erfordert einen erheblichen Kraft- und Zeitaufwand. Fünf Minuten muss der auf dem Bau arbeitende Angeklagte den Teenager gewürgt haben.

Durch den fortgeschrittenen Verwesungsprozess konnte die Sachverständige bei der Obduktion zwar keine verwendbaren DNA-Spuren finden, „jedoch sprechen die Indizien eine eindeutige Sprache, ebenso seine Verhaltensänderung – er schien nicht groß am Verschwinden des Mädchens interessiert zu sein, was ein „krasser Gegensatz zu dem Nachstellverhalten ist“, so Holzhausen.

Niedere Beweggründe liegen vor

Der psychologische Gutachter hält den Angeklagten für voll schuldfähig, schließt eine Affekttat aus, vor allem wegen seines geordneten Verhaltens nach der Tat: Er legte den Leichnam am Enzufer bei Unterriexingen ab, wo er fünf Tage später gefunden wurde.

Das Gericht stellte Mordmerkmale fest. Es liege ein Motivbündel aus niederen Beweggründen vor. So sei er grundlos eifersüchtig gewesen, denn eine Beziehung zwischen den beiden habe nie existiert. Außerdem sei es ein Mord aus Machtstreben gewesen, der Täter habe sich mit Tabitha E. schmücken wollen und übersteigerte Besitzansprüche an sie gehabt.

Mordmerkmale
Mordmerkmale liegen vor. Niedere Beweggründe konnte das Gericht nachweisen. Ob Heimtücke vorliegt ist schwer zu sagen. Der Angeklagte nutzte das Mädchen aus, das aus Arglosigkeit abgeleitet wehrlos gewesen sei. Denn gefürchtet habe sich das Mädchen nicht vor ihm, ganz im Gegenteil, es habe ihm vertraut. Wann das jedoch kippte, also ob sie sich hätte Hilfe holen können – beispielsweise beim vorbeilaufenden Jogger in der Strombergstraße – ist nicht rekonstruierbar.

 
 
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