Als am Samstag um die Mittagszeit Peitschenknall und Glockenklang durch die Straßen und Gassen Großsachsenheims hallte, hatte Hubert Mrass aus Ludwigsburg Tränen in den Augen. Der Rentner stammt aus Hermannstadt in Siebenbürgen und kennt den traditionellen Urzelnlauf noch aus seiner Heimat, wo seine Ursprünge in der Stadt Agnetheln bis in das Mittelalter zurückreichen.
Urzelntag Sachsenheim Traditioneller Urzelnlauf mit 500 Hästrägern
Mit Glockenklang und Peitschenklang zieht die Zunft durch alle Stadtteile, wo zahlreiche Besucher auf sie warteten.
Damals zogen die Zünfte der Schuster, Schneider, Kürschner und Fassbinder mit ihren Zunftladen durch die Stadt, um diese an die neuen Zunftmeister zu übergeben. Die zotteligen Urzeln in ihrem Häs mit den schwarzen Fransen begleiteten diesen Zug. „Meine zwei Nichten sind heute auch im Zug dabei. Wir kommen immer wieder nach Sachsenheim und schwelgen in Erinnerungen an die alte Heimat“, erzählte Mrass sichtlich gerührt.
In Ochsenbach war die Stimmung besonders emotional
Rund 500 Urzeln beteiligten sich am diesjährigen Urzelnlauf in Sachsenheim. „Die weiteste Anreise hatten Besucher aus der Schweiz. Die Stimmung in allen Stadtteilen war heute wirklich ganz toll. Besonders emotional war der Empfang in Ochsenbach von Ortsvorsteher Dieter Baum und dem Musikverein“, lobte Zunftmeister Thomas Lutsch von den Sachsenheimer Urzeln.
Auch Familie Brenner aus Kirchheim war bereits seit 6.30 Uhr am Morgen auf den Beinen und hatte in diesem Jahr erstmals die kleine Lara mit von der Partie. „Das Wetter heute passt, und die Atmosphäre in den Stadtteilen war bisher sehr schön. Ein echtes Miteinander zwischen Urzeln und Bevölkerung“, schwärmte Holger Brenner. Lara wiederum, die erstmals ihren Häs übergezogen hatte, war sich sicher, dass sie im nächsten Jahr wieder beim Urzelnlauf mitwirken wird.
Reifenschwingerinnen sind Teil des Brauchtums
Schon weitaus länger bei den Urzeln dabei ist Maja Bitto-Fielk, die in der Gruppe der Brauchtumsfiguren als eine von drei Reifenschwingerinnen agiert. Seit 25 Jahren lässt Bitto-Fielk aus Flein sechs mit Wein gefüllte Gläser in den Reifen an einem Arm schwingen, wobei auf diesen eine große Belastung einwirkt, denn die Zentrifugalkraft drückt die Gläser nach außen. „Geübt habe ich in diesem Jahr nicht viel, denn wer probt, hat Angst. Es kommt vor allem auf eine ruhige Hand und keine ruckartigen, sondern gleichmäßige Bewegungen an“, erläuterte die erfahrene Reifenschwingerin, die in diesem Jahr auch ein neues Gesicht an ihrer Seite hatte, denn Anne Stirner aus Marbach trat erstmals in den Reihen der Reifenschwingerinnen auf. „Anne hat wirklich Talent und hatte schnell den Bogen raus. Zuerst haben wir mit Plastikbechern geübt und konnten schon bald zu den Gläsern übergehen“, so Bitto-Fielk.
Auch Sachsenheims Bürgermeister Holger Albrich, der selbst siebenbürgische Wurzeln hat, war wieder mitten im Urzelnlauf dabei und begrüßte seine Kameradinnen und Kameraden vor der Kulisse des Wasserschlosses. „Gemeinschaft und Lebensfreude zeichnet den Urzelnlauf aus. Dieser Werte können wir in der heutigen Zeit mehr denn je brauchen. Bei den Urzeln kann jeder seine Heimat finden, denn wir brauchen in diesen Zeiten den Zusammenhalt“, so Albrich, der neben seinen Amtsvorgängern und „Ehrenurzeln“ Andreas Stein und Horst Fiedler auch seinen Kollegen Jürgen Scholz aus Sersheim mit seinen Enkelkindern und seiner Frau Margit begrüßte.
Brauchtumsfiguren stehen für die Zünfte
Höhepunkt beim Urzelnlauf waren die Darbietungen der Brauchtumsfiguren, welche für die unterschiedlichen Zünfte stehen. Angeführt vom Paradehauptmann alias Hans-Walter Thellmann und seinen beiden Engelchen Lotti Gärtner und Rafael Haible ließ Treiber Alfred Hütter (Junior) den Bären alias Daniel Schröpfer tanzen. Das Schneiderrösschen und sein Mummerl, die Geschwister Sabine und Thomas Lang, hatten ebenfalls ihren großen Auftritt, und Dieter Bitto-Fielk trug die prächtige Kürschnerkrone mit den vier Füchsen, die einen Marder im Maul trugen, zur Schau.