Vaihingen 1100 Funde erhellen die Geschichte der Stadt

Von bz
In solchen Langhäusern könnten die Menschen aus der mittleren Jungsteinzeit (5000 vor Christus) am heutigen Galgenfeld gesiedelt haben. Auch in Ensingen wurden solche Grundrisse aus der gleichen Zeit gesichert. Foto: /Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

Rettungsgrabungen am Vaihinger „Galgenfeld“ fördern bis zu 7000 Jahre alte Relikte zutage, darunter „Enzi“, den Mann aus der Steinzeit.

Die Ausgrabungen im Vorfeld der Erschließung des neuen Gewerbegebietes Galgenfeld in Vaihingen haben Spektakuläres zutage gefördert, teilt die Stadt mit. Die mehr als 1100 Funde tragen dazu bei, die Geschichte der Stadt weiter zu entschlüsseln und das kulturelle Erbe der Region zu bewahren. Denn so viel ist sicher: Vaihingen feiert zwar 2029 seine erste Erwähnung vor 1250 Jahren. Allerdings gab in diesem Bereich der Enz nachweislich schon vor mindestens 7000 Jahren erste Siedlungen.

Neun Gräber gefunden

Dr. Felicitas Schmitt vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und Grabungsleiter Manuel Birker von der Archeo Connect GmbH präsentierten Ergebnisse der Grabung in der Stadtteilausschusssitzung. Gefunden wurden insgesamt neun Gräber, eine Gargrube, einige Standorte von Langhäusern, Keramik, Werkzeug und Schmuck aus insgesamt fünf Jahrtausenden. Einige Funde sind bis zu 7000 Jahre alt und damit viel älter als beispielsweise das Grab des Hochdorfer Keltenfürsten. Er wurde etwa um 530/520 v. Chr. bestattet.

In gut vernetzter Zusammenarbeit von Stadt, Denkmalpflege und Grabungsfirma liefen von September 2024 bis April 2025 auf dem knapp vier Hektar großen Areal zwischen der B 10 Richtung Pforzheim und der Stuttgarter Straße im Gewann „Galgenfeld“ archäologische Rettungsgrabungen. Diese wurden im Vorfeld der Erschließung des geplanten Gewerbegebietes „Wolfsberg IV“ vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart angeordnet. Denn das Gebiet liegt im Bereich eines Kulturdenkmals „Neolithische Siedlung“. Immer wieder waren seit 1987 bei Erschließungsarbeiten und Baumaßnahmen in direkter Nachbarschaft so genannte bandkeramische Siedlungsspuren und Gräber der Jungsteinzeit (zirka 5000 v. Chr.) entdeckt worden. Die Linearbandkeramiker sind die ersten Ackerbauern und Viehzüchter in Baden-Württemberg.

Erst die Rettungsgrabung und die damit verbundene Bergung der Siedlungsnachweise hat laut Planungsamtsleiter Norbert Geissel den Weg für eine Bebauung des Bereichs geebnet. Das Feld ist nun freigegeben. Laut Dr. Felicitas Schmitt gilt: Entweder, das Kulturerbe verbleibt an Ort und Stelle oder muss geborgen und gesichert werden, bevor ein Gelände bebaut werden darf. Insgesamt sind für die Grabungen 128 Arbeitstage und rund 578.000 Euro angefallen – rund 46.000 Euro (7,5 Prozent) weniger als kalkuliert, wie Stephan Sure vom Stadtplanungsamt sagte.

Vaihingen hat seinen „Enzi“

Der erste Fund, auf den Birkers Team stieß, waren ein Skelett und eine danebenliegende Axt. Auf den ersten Blick könnte sie aus dem Baumarkt auf der anderen Straßenseite stammen. Aber: Der Schlagkopf besteht nicht aus Metall, sondern aus aufwendig poliertem Stein.

„Das männliche Individuum in Hockerbestattung mit polierter Steinaxt lässt sich zeitlich in das Endneolithikum (Ende der Jungsteinzeit) einordnen“, erklärten die beiden Experten. Das bedeutet: Der Fund stammt aus dem 3. Jahrtausend vor Christi (2800 bis 2500 v. Chr.) und ist damit fast 5000 Jahre alt. Damit hätte Vaihingen also seinen „Enzi“. Der Verstorbene ist ziemlich sicher nicht gewaltvoll oder unter Fremdeinwirkung ums Leben gekommen, sondern – wie seinerzeit üblich – bestattet worden, mit der Axt als Grabbeigabe.

Ganz im Gegenteil zu einer Frau und einem Mädchen aus der Frühlatènezeit (etwa 400 v. Chr.), deren Skelette ebenfalls am Galgenfeld entdeckt wurden. „Hier sprechen wir nicht von einer Bestattung. Die beiden wurden eher verlocht statt würdevoll gebettet“, sagte Schmitt.

Das Kind liegt über dem Bein der Frau, die Glieder ausgestreckt. Was genau den beiden zugestoßen sein könnte, darüber können auch die beiden Experten nur spekulieren. „Vielleicht sind sie aufgrund von Gärgasen erstickt, die sich bei der Zersetzung der in der Grube befindlichen Vorräte entwickelt hatten“, lautet eine Theorie von Felicitas Schmitt.

Das Besondere: Beide trugen Schmuck der Keltenzeit. Das Mädchen zwei Bronze-Armringe, die Frau eine Kette mit blauen Glasperlen, die auf Eisendraht gefädelt waren. Diese Perlen ließen sich auch schon viele Jahrtausende früher leicht herstellen – sofern man über das nötige Wissen verfügte. Nämlich aus einer Mischung aus Silizium, Quarz und Alkali, Natriumkarbonat oder Pottasche und Kalk, die miteinander verschmolzen wird. Neben den insgesamt neun Gräbern wurden aber auch mehrere bis zu 20 Meter lange „Langhäuser“ aus der mittleren Jungsteinzeit aufgedeckt. Besonders interessant für die Forscher ist die Gargrube aus Lehm und Steinen, vermutlich aus der frühen Eisenzeit (800 bis 450 v. Chr.).

Alle Funde wurden mittlerweile gesichert und kommen nach Abgabe der Grabungsdokumentation in die archäologische Schatzkammer des Landes, das Fundarchiv in Rastatt. „Die Funddichte am Galgenfeld ist mit 1100 Funden hoch“, sagte Birker.

Menschen aus der Jungsteinzeit

Und alle geborgenen Schätze beweisen: An der Enz in der heutigen Gemarkung Vaihingen haben schon in der Jungsteinzeit vor 7000 Jahren Menschen gelebt. Einige der ausgegrabenen Beweise dafür würde nicht nur Stadtarchivarin Andrea Majer gerne als Requisite zur Gestaltung einer Ausstellung sehen – vielleicht sogar im Zuge der Gartenschau 2029.

Nun muss das archäologischem Kulturgut aber erst einmal fachgerecht untersucht werden. Aus den Knochen lässt sich beispielsweise mittels Radiokarbondatierung das ungefähre Jahr des Todes ermitteln. Wuchsmerkmale sowie spezifische Ausprägungen am Skelett, geben Aufschluss über das Alter und Geschlecht der Verstorbenen.

Für das Galgenfeld wird laut Stadt die Geschichte indes weitergeschrieben: Das Bebauungsplanverfahren für das Gewerbegebiet Wolfsberg IV ist bereits eingeleitet. Da aber im Randbereich der B 10-Umfahrung weitere Abstimmungen mit den Trägern öffentlicher Belange notwendig sind, steht noch nicht fest, wann der Planentwurf in die Gremien kommt. bz

 
 
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