Die Bestattung vor fast 5000 Jahren im heutigen Gebiet „Galgenfeld“ in Vaihingen folgte ganz offensichtlich einer klaren Regie. Der Tote wurde in Hockerstellung, mit angezogenen Armen und Beinen, in sein Grab gelegt, dieses war in West-Ost-Richtung ausgerichtet. Der Kopf des Toten, den man in Vaihingen liebevoll „Enzi“ getauft hat, lag dabei im Westen, mit Blickrichtung nach Norden. Als Beigabe für seine letzte Reise wurde ihm eine Axt mit Axtkopf aus aufwendig poliertem Stein mit ins Grab gelegt. Dieses sollte die Jahrtausende unberührt überdauern, bis es bei einer Rettungsgrabung ab September 2024 im Vorfeld der Erschließung des Gewerbegebiets „Wolfsberg IV“ wieder geöffnet wurde (die BZ berichtete). Was es mit dieser Art des Begräbnisses und der kunstvollen Axt auf sich hat, darüber sprach die BZ mit Dr. Felicitas Schmitt vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart.
Vaihingen Die Axt verrät „Enzis“ Herkunft
Der im „Galgenfeld“ mit Grabbeigabe bestattete Tote und weitere Gräber werden der Kultur der Schnurkeramiker zugerechnet. Diese kamen aus Osten.
Der Verstorbene sei der Kultur der Schnurkeramik zuzuordnen, erläutert die Archäologin. Gleiches sei wohl auch für sieben weitere Gräber in Vaihingen anzunehmen, in denen allerdings keine Beigaben gefunden wurden. Die schnurkeramische Kultur (3000 bis 2200 vor Christus) fällt in die letzte Phase der Jungsteinzeit (Neolithikum), auch als Endneolithikum bezeichnet. Die namengebende Keramik, bei der mit einer Schnur umlaufende Rillenmuster in den Ton gedrückt wurden, fand sich in Vaihingen zwar nicht, die West-Ost-Ausrichtung und die Axt als Grabbeigabe sprächen jedoch für die Schnurkeramik, so Schmitt. Diese wurde früher auch als Streitaxt-Kultur bezeichnet.
Männer nach Westen, Frauen nach Osten
Es sei in dieser Kultur üblich, dass Männer bei der Bestattung mit dem Kopf nach Westen, Frauen nach Osten liegen, so Schmitt. Die Männer blickten dabei normalerweise nach Süden, dass sie wie hier nach Norden schauten, sei für die hiesige Region aber nicht ungewöhnlich.
Mit der Radiokarbonmethode (C14-Datierung) sollen die Skelette noch genau datiert werden, auch um zu sehen, ob alle aus der gleichen Epoche sind. Außerdem sei eine DNA-Untersuchung angedacht, so Schmitt. Beides gilt auch für die anderen Skelettfunde in Vaihingen (siehe Infokasten).
Solche DNA-Untersuchungen haben in jüngster Zeit neue Erkenntnisse zur Herkunft der Schnurkeramiker gebracht. So hat eine Studie von 2015, an der US-amerikanische Wissenschaftler wie auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena beteiligt waren, ergeben, dass die Ankunft der Schnurkeramiker in Europa einen regelrechten Bevölkerungsumbruch markierte. Die Forscher stellten fest, dass diese genetisch eng mit der sogenannten Jamnaja-Kultur in der südrussischen Steppe verwandt waren und nehmen an, dass sie bei ihrer Einwanderung von dort auch die indoeuropäische Sprache mitbrachten, auf der die meisten, heute in Europa gesprochenen Sprachen beruhen. Ihre Mobilität soll auf der Domestizierung des Pferdes beruhen.
Einwanderungswellen aus der Steppe
Dr. André Spatzier vom Landesamt für Denkmalpflege geht von zwei Einwanderungswellen aus dem pontischen Steppengebiet nördlich des Schwarzen Meeres aus. Eine sei ab 3000 vor Christus erfolgt, mit Ankunft im hiesigen Raum um 2900/2800 vor Christus, die zweite um 2500 vor Christus. Für eine genaue zeitliche Zuordnung der Vaihinger Funde sei aber erst noch die Datierung abzuwarten, so Spatzier, er gehe aber davon aus, dass die Verstorbenen dort ebenfalls das „Steppen-Gen“ aufweisen.
Auch zuvor seien im Kreis schon eine Reihe von Gräbern aus der Zeit der Schnurkeramik gefunden worden, so Spatzier, allerdings deutlich weniger als in anderen Kreisen, wie etwa Heilbronn. Einen regelrechten „Hotspot“ gebe es im Taubertal.
Eine „hochdynamische Periode“
Laut Felicitas Schmitt ist die Wissenschaft von der früheren Ansicht weggekommen, die Schnurkeramik-Leute seien Nomaden gewesen. Für die Vaihinger Schnurkeramiker geht sie auch nicht von einer Abstammung direkt aus der Steppe aus, sondern von einer Herkunft aus dem Gebiet Kleinpolen und dem Mittelelbe-Saale-Gebiet, wo sich die Schnurkeramiker zuvor angesiedelt hatten.
Was bei der Invasion der Axt-Leute aus der einheimischen Vorbevölkerung wurde, gibt der Wissenschaft noch Rätsel auf. Die sei mit Blick auf die Funde plötzlich einfach weg, sagt André Spatzier. Dafür sei gegen Ende der Jungsteinzeit gerade im Kreis Ludwigsburg mit der sogenannten Glockenbecherkultur noch eine weitere Kultur nachweisbar, die genetisch mit den Einwanderern aus der Steppe verbunden sei.
Insgesamt sei es eine „hochdynamische“ Periode gewesen, in der sehr viel passiert sei, sagt der Archäologe. Vieles lasse sich jetzt noch nicht beantworten, weitere Erkenntnisse soll eine Untersuchung liefern, in der er die Interaktionen und die Abgrenzung der verschiedenen kulturellen Gruppen zwischen 3000 und 1500 vor Christus mit Schwerpunkt Mittlerer Neckar erforscht. Ergebnisse würden aber erst in einigen Jahren vorliegen.
Dann weiß man vielleicht auch mehr über „Enzi“ und seine Sippe in Vaihingen.