Am sechsten Tag im Prozess gegen eine ehemalige Auszubildende zur Notfallsanitäterin, die versucht haben soll, Kollegen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten zu vergiften, hat ein neutraler Zeuge nochmals die dramatischen Folgen der Vergiftung eines Rettungssanitäters geschildert. Der 30-Jährige, der bei der Freiwilligen Feuerwehr in Freudental Dienst tut und am 4. Oktober 2023 als Ersthelfer zu einem Einsatz nach Sachsenheim-Hohenhaslach gefahren war, berichtete, der betroffene Sanitäter habe schon beim Aussteigen aus dem Rettungswagen „komisch gewirkt“. Sein Kollege habe zu ihm gesagt, dem Mann ginge es gar nicht gut.
Vaihingen Zeuge schildert dramatische Folgen
Im Prozess um versuchten Mord auf der Rettungswache sind am Landgericht Heilbronn weitere Details ans Licht gekommen.
„Er wirkte irgendwie apathisch“
Da der eigentliche Patient, zu dem die Rettungswagen nach Hohenhaslach gefahren waren, stabil war, habe er sich um den Sanitäter kümmern können. „Er wirkte irgendwie apathisch und gar nicht anwesend, und sein Zustand hat sich zunehmend verschlechtert“, erklärte der 30-Jährige den Richtern am Heilbronner Landgericht. Er habe zunächst gedacht, der Mann sei unterzuckert, was er aber nach einem Blutzuckertest ausgeschlossen habe. Da er zudem verwaschen gesprochen und immer wieder eine Trinkflasche zum Mund angesetzt, jedoch nie getrunken habe, sei ihm der Verdacht auf eine neurologische Störung wie einen Schlaganfall gekommen. „Er war kalkweiß, hat gezittert und konnte sich nicht mehr artikulieren. Wir haben dann noch einen Rettungswagen nachbestellt“, führte der Zeuge weiter aus.
Als bei einer EKG-Messung zudem noch eine hohe Herzfrequenz festgestellt worden sei, habe er auch noch einen Notarzt alarmiert. „Er hat geguckt wie ein Patient, der merkt, dass er in akuter Lebensgefahr ist. Seine Augen waren leer“, erklärte der Ersthelfer, der den Sanitäter persönlich gut kannte, da er bei ihm ein Praktikum gemacht hatte. Es habe sich ihm dann noch der Verdacht einer Drogenvergiftung aufgedrängt. Der Sanitäter sei dann mit dem Notarzt in ein Krankenhaus eingeliefert worden.
Lebensgefährlichen Dosis Atropin
Laut Anklage hat die knapp 25-jährige Angeklagte dem Kollegen aus Wut über Kritik an ihrem Ausbildungsstand an dem Tag Atropin in einer lebensgefährlichen Dosis in seine Trinkflasche gegeben. Der Geschädigte musste vier Tage im Krankenhaus bleiben und war anschließend bis April 2024 krankgeschrieben gewesen. Durch den kurzfristigen Ausfall des Kollegen während des Einsatzes habe die Angeklagte auch bewusst in Kauf genommen, dass noch weitere Menschen in Gefahr gerieten, heißt es in der Anklage weiter.
Insgesamt soll die ehemalige Auszubildende zur Rettungssanitäterin zwischen Oktober 2023 und April 2024 drei ihrer Kollegen heimlich Notfallmedikamente in Getränke gemischt haben. Insgesamt sind in dem Prozess wegen versuchten Mordes fünf Taten angeklagt, in einem Fall sei bei einem der Opfer akute Lebensgefahr eingetreten. Der Rettungssanitäter habe mehrtägig stationär behandelt werden müssen. Zwei Kollegen hätten Einsätze abbrechen müssen. Die Anklage sieht die Mordmotive der Heimtücke und des Handelns aus niedrigen Beweggründen als erfüllt an. Die junge Frau habe aus eigensüchtigen Motiven und Ärger über den Verlauf ihrer Ausbildung gehandelt.
Angeklagte teilweise geständig
Beim letzten Verhandlungstag hatte die Angeklagte ein teilweises Geständnis abgelegt. Mit einem Fall habe sie nichts zu tun gehabt, in einem anderen habe es sich um eine Verwechslung bei der Trinkflasche gehandelt, sodass es einen Kollegen getroffen habe, mit dem sie eigentlich gut ausgekommen sei. Sie hatte eingeräumt, Atropin in die Trinkflasche gegeben zu haben – ein Mittel, das unter anderem dazu eingesetzt wird, zu langsamen Herzschlag zu beschleunigen, bei gesunden Menschen jedoch gefährliche Auswirkungen hat. Diesen sowie drei weitere Fälle hatte die junge Frau eingeräumt.
Die 24-Jährige hatte zudem beteuert, dass sie nicht die Absicht gehabt habe, den Kollegen schweren Schaden zuzufügen oder gar deren Tod in Kauf zu nehmen. Das sei mit ihrem christlichen Glauben nicht vereinbar. Sie habe lediglich gewollt, dass sich ihr Ausbilder „mal richtig schlecht fühlt“, da sie Angst vor weiteren Beleidigungen und Diskriminierungen gehabt habe und zudem Angst um ihre kranke Mutter gehabt habe.
Am sechsten Prozesstag wurde zudem ein weiterer Kollege der Rettungswache in Vaihingen vernommen, der einräumte, mit der Angeklagten eine sexuelle Beziehung gehabt zu haben. Er behauptete, sehr zum Unwillen des Vorsitzenden Richters Martin Liebisch, von allen Vorgängen nur am Rande mitbekommen zu haben. Einmal habe er erlebt, dass die Angeklagte ein Flashback gehabt habe: Sie sei apathisch gewesen, habe unkontrolliert gezuckt und sich später nicht mehr an den Moment erinnert.
Möglicher weiterer Prozesstag
Besprochen wurde unter den Prozessbeteiligten zudem, dass das Verfahren möglicherweise um einen weiteren Prozesstag verlängert werden muss und das Urteil nicht wie geplant am 29. Oktober verkündet wird. Rechtsanwalt Jan Smollich, der Verteidiger der Angeklagten, erklärte, er habe erst jetzt diverse Schweigepflichtentbindungen erhalten und wolle noch einige Unterlagen und Zeugen zur medizinischen und psychologischen Vita der Angeklagten einführen. Seit 2013 hätten sich einige Psychologen intensiv mit ihr beschäftigt.
