Eigentlich war der Vortrag ganz anders geplant, gab Pfarrerin Marilia Camargo zu: Im Frühjahr einigte man sich auf das Thema, es sollte um das 75-jährige Bestehen Israels seit 1948 gehen – dass es „auf tragische Weise so sehr an Aktualität gewonnen“ habe, sei damals nicht absehbar gewesen.
Vortrag in Bietigheim-Bissingen „Der Neckar ist unser Jordan“
Dieter Petri referierte in Metterzimmern zum 75. Jubiläum der israelischen Staatsgründung – mit tragischer Aktualität wurde es ein Vortrag zum Verständnis eines jahrzehntealten Konflikts.
Dieter Petri, Pfarrer im Ruhestand, ehemaliger Lehrer für Religion am Ellentalgymnasium, ab 1990 Schuldekan, beschloss jedoch, seinen Vortrag am vergangenen Dienstagabend im evangelischen Gemeindehaus Metterzimmern trotz der Brisanz des Themas zu halten – ein Thema, bei dem er Experte ist: auf zahlreichen Reisen, unter anderem beim Schüleraustausch, nach Israel und Palästina lernte er das Land kennen und gewann viele Freunde – „israelische wie auch palästinensische“, stellte er klar.
Einigung für Frieden nötig
„Für mich ist der Staat Israel die legitime Heimat der Juden – aber ich bin nicht mit allem einverstanden, was die Regierung macht“, beschrieb er seine Haltung. Und: „Solange sich Israel und Palästina nicht bei der Westbank einigen, wird es keinen Frieden geben.“ Für das Verständnis des Konflikts war es nötig, weit in die Vergangenheit zu blicken: Israel, was so viel wie „der mit Gott kämpft“, bedeutet, wurde auch lange als Palästina bezeichnet, was auf die Bezeichnung „Philisterland“ zurückgeht, wie die Römer während ihrer Besatzung die aufständischen Juden nannten.
Nach dem Babylonischen Exil, als weite Teile der jüdischen Bevölkerung aus der Heimat vertrieben wurden, die sie nach dem Auszug aus Ägypten gefunden hatten, wurde das Volk erstmals zu einem „Diasporavolk“, das über die Welt verstreut lebte, so Petri. 537 v. Chr. konnten viele zurückkehren – bis 70 n. Chr. Plünderung und Brand bei der Belagerung durch die Römer den Tempel in Jerusalem zerstörten. Heute steht der Felsendom am Ort des alten Tempels, die al-Aqsa-Moschee befindet sich auch auf dem Areal, wo noch eine der alten Mauern des Tempelhofs steht: die Klagemauer.
Im 19. Jahrhundert stieg das Selbstbewusstsein der international lebenden Juden, man wollte sich integrieren: „Stuttgart ist unser Jerusalem – der Neckar unser Jordan“, hieß es etwa 1861 bei der Einweihung der Neuen Synagoge in Stuttgart, berichtete Petri. Mit der dann aber fehlgeschlagenen Integration und dem wachsenden Antisemitismus um die Jahrhundertwende als „Geburtshelfer“ entwickelte sich in dieser Zeit der Zionismus als politische Bewegung. Zion ist der Berg, auf dem Jerusalem erbaut ist – dorthin wollte man zurück, ein Staat sollte gegründet werden. Aber: das Land war nicht leer.
Nach dem Ersten Weltkrieg formulierte 1917 der damalige britische Außenminister Arthur Balfour ein vages Doppelziel: Israel solle „Nationale Heimstätte der Juden“ werden, allerdings solle nichts geschehen, „was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern in Frage stellen könnte.“ Ein Doppelauftrag, der scheiterte. Noch heute bestehe bei vielen Palästinensern der Eindruck, dass es sich bei dem Staat Israel um „europäische Kolonisierung im jüdischen Gewand“ handele, so Petri.
Grundlegend für die Identität der Juden heute sei die Schoah, erklärte er weiter: das Bewusstsein des Versuchs, sie in Europa auszulöschen: Es musste einen eigenen jüdischen Staat geben, der es ihnen ermöglichte, sich selbst zu verteidigen, um nie wieder einem Genozid ausgeliefert zu sein.
Teilung nicht akzeptiert
1948 endete das britische Mandatsgebiet und die UNO schuf den Staat Israel. Vorgesehen war eine Teilung des früheren britischen Mandatsgebiet, die die jüdische Gemeinschaft zähneknirschend, die arabischen Staaten jedoch nicht akzeptierten. Noch in der Nacht der Staatsgründung, am 14. Mai 1948, erklärten Ägypten, Irak, Jordanien, Libanon, Saudi-Arabien und Syrien dem jungen Land den Krieg – den Israel überraschend gewann und noch Territorien hinzugewann. Diese sollten sie bis zum Sechstagekrieg 1967 behalten.
Mit Moshe Zimmermann ließ Petri noch einen Kritiker des aktuellen Vorgehens zu Wort kommen: Die Regierung Israels sei gescheitert, die bedingungslose Unterstützung der Verbündeten sei riskant, sagt der israelische Historiker in einem TV-Interview. Eine militärische Lösung sei keine Lösung, stimmte ihm Petri zu. Eine Meinung, der sich einige Teilnehmer in der Diskussion anschlossen: Man müsse den Palästinensern die „Souveränität zurückgeben“, forderte ein Zuhörer. Deutschland und Frankreich seien der Beweis, dass eine Aussöhnung möglich sei, auch nach Jahrzehnten der Feindschaft, meinte ein anderer. Ein hartes Vorgehen gegen die Palästinenser im Westjordanland lehnten die meisten ab. Die Lage dort sei so komplex, dass man sich informieren und „vor raschem Urteil hüten“ müsse, warnte Dieter Petri. Jonathan Lung