Uschi Traub ist zuständige Medizinerin für die HIV-Beratung des Gesundheitsdezernats des Landratsamtes. Anlässlich des Welt-Aids-Tags am 1. Dezember hat die BZ mit ihr über Behandlungsmöglichkeiten, Beratungsangebote und fehlende gesellschaftliche Aufklärung gesprochen.
Welt-Aids-Tag Aids: Gesellschaftlicher Umgang hinkt
Rund 1900 Neuinfektionen und 3000 Neudiagnosen in Deutschland mit HIV hat das Robert-Koch-Institut 2022 vermeldet. Ob auch im Landkreis ein Trend festzustellen ist und wie HIV heutzutage behandelt wird, darüber hat die BZ mit Uschi Traub, zuständige Medizinerin für die HIV-Beratung beim Landratsamt, gesprochen.
Frau Traub, wie präsent ist das Thema Aids heutzutage noch?
Dr. Uschi Traub: Es ist so, dass in manchen Kreisen eigentlich überhaupt nicht mehr groß darüber geredet wird und die Präsenz insgesamt ist auch reduziert. Allerdings wird mehr Fokus auf sexuell übertragbare Infektionen gelegt, die häufiger vorkommen und auch ernste Folgen haben können. Andererseits ist es so, dass wir immer wieder Anfragen haben, von Bürgerinnen und Bürgern oder aber auch Schulen, die Informationen haben wollen. Aber es ist noch zu wenig insgesamt. Das zeigt sich dann daran, dass sich in Deutschland immer mehr Leute anstecken, aber auch daran, dass 2021 33 Prozent der HIV-Infektionen erst in einem fortgeschrittenen Stadium des Immundefekts festgestellt wurden und 18 Prozent erst mit dem Vollbild Aids. Und das sollte nicht sein, weil umso später die Diagnose, umso schlechter ist die Prognose. In der Zwischenzeit haben die Leute dann auch die Infektion verbreiten können.
Weltweit wird mit der antiretroviralen Therapie angefangen, sobald die HIV-Diagnose feststeht. Früher hat man gewartet, weil man mit den damaligen Medikamenten auch sehr viele Nebenwirkungen hatte. Wenn man das früh behandelt, entwickelt ein HIV-Positiver kein Aids.
Haben Sie Zahlen zu den Erkrankten im Landkreis?
Nein. Die werden wir auch nie haben, weil wir einen anonymen Testpunkt haben. Da kann jeder kommen und da kommen dann auch manchmal Leute aus näherer Umgebung. Manche kommen auch von weiter her, das muss noch nicht mal aus Deutschland sein.
Können Sie trotzdem einen Trend feststellen?
Lokal ist das sehr schwer, weil wir ganz geringe Zahlen haben. Wir hatten zum Beispiel 2022 einen einzigen positiven Fall bei 438 HIV-Tests. Wir haben dieses Jahr bis letzten Donnerstag 545 Tests gemacht und hatten überhaupt keinen positiven, nur einen falsch-positiven Test, der sich dann aber als negativ erwiesen hat. Selbst wenn wir dieses Jahr noch zwei hätten, könnte man schlecht von einer Verdopplung sprechen.
Wie hat sich die Behandlung von HIV über die Jahre verändert?
Also das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Früher war es so, dass es ohne Behandlung im Schnitt zehn bis elf Jahre dauerte, bis die Krankheit ausgebrochen ist und dann waren es zwei Jahre bis zum Tod. Wir kennen Betroffene, die erzählt haben, dass sie über 40 Tabletten zu sechs verschiedenen Zeitpunkten, zum Teil ganz exakt, einnehmen mussten. Und jetzt hat man eine ganz normale Lebenserwartung, wenn man rechtzeitig mit der Behandlung beginnt und bekommt auch kein Aids.
An welchem Punkt ist man heute?
Mittlerweile haben wir über 40 Substanzen, die zur Verfügung stehen. Man muss an verschiedenen Stellen des Vermehrungszyklus der Viren ansetzen. Es gibt aber heutzutage Präparate, wo nur eine einzige Tablette alle Wirkstoffe beinhaltet. Diese Leute müssen dann nur diese eine Tablette einnehmen. Die Nebenwirkungen sind auch geringer geworden. Neuerdings gibt es auch Präparate, die nur alle paar Monate gespritzt werden müssen. Es gibt ein anderes Präparat, dass man 14 Tage lang als Tablette einnimmt und danach nur alle sechs Monate gespritzt werden muss. Was bis jetzt noch nicht erfolgreich war ist die Entwicklung des Impfstoffs. Da hatten viele Hoffnung während der Entwicklung des Corona-Impfstoffs, aber bisher haben wir da nichts. Zuerst wurde eine PEP entwickelt, eine Postexpositionsprophylaxe, wenn wir Ärzte oder Krankenschwestern uns gestochen haben an einer Nadel von einem Infizierten oder jemand geschützten Kontakt mit einem Infizierten hatte und das Kondom ist geplatzt.
Gibt es Medikamente, die präventiv schützen?
Was sich jetzt in den letzten Jahren entwickelt hat, sind Medikamente, die im Vorfeld einzunehmen sind, sogenannte Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Am Anfang mussten die Leute das selbst bezahlen, aber seit 2019 übernehmen die Kassen das, wenn der Arzt das verschreibt. Besonders in der Gruppe von Männern, die Sex mit Männern haben, die etwa 98 Prozent der PrEP-User ausmachen, ist das verbreitet. Dafür ist das gut, aber sehr viele, die PrEP verwenden, haben dann Sex ohne Kondom und das führt dazu, dass viele andere Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Chlamydien oder Tripper übertragen werden. Das Kondom ist daher immer noch eine ganz wichtige Maßnahme.
Inwiefern beeinflusst eine HIV-Infektion heutzutage noch das alltägliche Leben?
Ein gutes Leben ist bei uns medizinisch möglich, aber der gesellschaftliche Umgang hinkt wirklich hinterher. Es gab Befragungen von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung: 90 Prozent der Menschen in Deutschland sagen, sie leben gut mit ihrer HIV-Infektion, dank der guten Therapiemöglichkeiten fühlen sich drei Viertel gesundheitlich nicht oder nur wenig eingeschränkt. 95 Prozent berichten jedoch von mindestens einer diskriminierenden Erfahrung in den letzten zwölf Monaten aufgrund von HIV. 52 Prozent geben an, dass sie wegen dieser Vorurteile in ihrem Leben beeinträchtigt sind. Interessant ist auch, wie häufig diese Diskriminierung im Gesundheitswesen vorkommt, obwohl man ja davon ausgehen sollte, dass das medizinische Personal sehr wohl wissen müsste, was zu einer Übertragung führt.
Ich kann mich noch erinnern, vor langer, langer Zeit, als ich zuerst mit der HIV-Sprechstunde begonnen hatte, haben meine Eltern gesagt: „Um Gottes Willen, guck, dass du da nicht die Hand gibst und dass du dich ansteckst.“ Dabei komme ich aus der Allgemeinchirurgie, da wären tausendmal mehr Chancen gewesen, sich bei einer OP zu verletzen. Mit diesen Medikamenten ist es schließlich so, dass die Viruslast unter die Nachweisgrenze geht, das heißt diese Menschen sind nicht mehr infektiös.
Wie äußert sich diese Diskriminierung im Gesundheitswesen?
16 Prozent berichten etwa, ihnen wurde eine zahnärztliche Versorgung verweigert und bei acht Prozent passierte das bei allgemeinen Gesundheitsleistungen. Die Konsequenz ist, dass viele dann nicht ihren HIV-Status offenlegen. 70 Prozent sagen, sie finden es schwer, über die HIV-Infektion zu erzählen. Drei Viertel verheimlichen sie in vielen Lebensbereichen, zum Beispiel im Sportverein oder im Arbeitsleben. 44 Prozent sagen, dass sie im Arbeitsleben nie offen darüber reden.
Was raten Sie den Menschen, die zu Ihnen in die Sprechstunde kommen?
Wir können professionelle Hilfe vermitteln zur Behandlung. Wir empfehlen, dass die Leute sich an eine HIV-Schwerpunktpraxis wenden, wo die Ärzte dann auch sehr regelmäßig auf Fortbildungen gehen. Aber wir vermitteln auch andere Angebote, wie die Telefonhotline der Aids-Hilfe, wo Positive Positive beraten, oder Kurse für die Angehörigen. Ich hatte einen Fall, da hatte ein gut aussehender, heterosexueller Mann acht Jahre lang seine HIV-Infektion verdrängt und auch andere infiziert. Erst dann kam er mit seinem Gewissen nicht mehr klar. Bis dahin hatte er noch keine Behandlung. Meistens kommen aber Menschen, die noch gar nicht erkrankt sind. Häufig kommen etwa Leute in einer Partnerschaft, die sagen, sie wollen das Kondom weglassen. Dann würde ich immer empfehlen, sich vorher auf HIV und andere Geschlechtskrankheiten testen zu lassen. Wir haben auch Leute, die eine Aids-Phobie haben, dann sollten sie letztendlich zum Psychologen gehen, aber die Erstgespräche führen wir auch. Jeder kann in seinem Umfeld als Multiplikator agieren und Freunde und Familie auf Testangebote aufmerksam machen.