Zeitgeschichte Hochzeit mit Hindernissen

Von Martin Hein
Das Geläut für die Hochzeit des Franzosen mit einer Einheimischen wurde sabotiert.⇥ Foto: Helmut Pangerl

Vor einhundert Jahren wollte eine Unterriexingerin ihren Liebsten heiraten, dieser war ehemaliger Kriegsgefangener, was im Dorf gar nicht gut ankam.

Eigentlich sollte die Hochzeit einer der schönsten und unvergesslichsten Tage im Leben eines Paares sein. Unvergesslich war garantiert eine Hochzeit vor knapp 100 Jahren im beschaulichen Unterriexingen. Dort wollte die Müllerstochter Selma Bertha Klink mit ihrem Allerliebsten am 26. Juni 1920 den Bund fürs Leben eingehen.

Der Haken an der Sache war nur, dass der künftige Gatte, Fernand Marie Joseph Raget, ein ehemaliger französischer Kriegsgefangener und zugleich auch noch der leibliche Vater des gemeinsamen, inzwischen knapp vierjährigen Kindes war. Ein ehemaliger französischer Kriegsgefangener, der eine hübsche Tochter des Dorfes schwängerte und dann auch noch heiraten wollte? Das kam bei einigen Einheimischen knapp anderhalb Jahre nach Kriegsende überhaupt nicht gut an.

Ehrenmal zu geschmückt

Mit größtem Argwohn wurden bereits die Hochzeitsvorbereitungen beäugt. Die vorherrschende Meinung über dieses „skandalöse“ Ereignis war damals: „Die Braut, die, während unsere Söhne und Brüder draußen vor dem Feinde standen, mit dem Bräutigam während seiner Gefangenschaft auf dem Asperg intimen Verkehr gepflogen hatte, dem ein französisches Sprößlein entsprang, das ihr eine Bestrafung von einem Tag Gefängnis einbrachte, pfeift auf die Verachtung, die ihr die Bürgerschaft entgegenbringt“.

Dass dann auch noch beim Schmücken der Kirche scheinbar zufällig die Ehrentafel für die Gefallenen des Krieges regelrecht zu geschmückt wurde, brachte das Fass vollends zum Überlaufen.

Wie der Enz- und Metter-Bote in der Ausgabe vom 2. Juli 1920 berichtete, reizte das die ehemaligen Kriegsteilnehmer des Ortes, wie überhaupt das ganze Auftreten der Braut, dermaßen,  dass die Kriegsteilnehmer die sofortige Entfernung des Kirchenschmucks verlangten. Die Braut, die sich anscheinend anfänglich entschieden weigerte, musste schließlich nachgeben.

Ab da wurde die Hochzeit des Paares vollends, so gut es ging, sabotiert. Als der Hochzeitszug den Kirchgang antreten wollte, verstummte auf Einwirken eines Kriegsteilnehmers das Geläut. Als die Hochzeitsgesellschaft sich am Abend zum Festschmaus in einem Gasthaus eingefunden hatte, gingen plötzlich die Lichter aus. Auch dies war natürlich eine sozusagen militärisch geplante Aktion ehemaliger Soldaten, die im Transformatorenhaus kurzerhand den Strom abstellten.

Eine Beschwerde bei der Stuttgarter Entente-Kommission, die den noch jungen Frieden zwischen Frankreich und Deutschland überwachen sollte, ergab die Anweisung aus Stuttgart, dass die Gemeinde Unterriexingen für, wie es hieß, „möglichste Ruhe“ sorgen sollte. Das Polizeikommando schickte zur großen Freude der Saboteure keinen Polizisten. Ein Polizeibeamter, der zufällig durch den Ort kam, wurde scheinbar von der Feiergesellschaft zum Festschmaus eingeladen, lehnte jedoch dankend ab, wie unsere Zeitung vermeldete.

Liebschaften kein Einzelfall

Tatsächlich wurde die Unterriexinger Müllerstochter wegen des Umgangs mit dem damaligen Kriegsgefangenen Ende 1915 von der Ludwigsburger Strafkammer zu einem Tag Gefängnis verurteilt. Warum die Strafe mit einem Tag Gefängnis relativ milde ausfiel, ist leider unbekannt. In der Regel wurden bei solchen Vergehen schärfere Strafen verhängt.

Wenige Wochen nach der Unterriexinger Müllerstochter stand die 17-jährige Frida Bauer aus Oberriexingen Anfang 1916 ebenfalls vor dem Ludwigsburger Schöffengericht und wurde wegen Vergehens gegen das Belagerungsgesetz mit einem Monat und 15 Tagen Gefängnis bestraft. Auch sie hatte mit einem französischen Kriegsgefangenen, wie es hieß, „intim verkehrt“.

Für einen regelrechten gesellschaftlichen Skandal sorgte im August 1917 ein ähnlicher Fall vor dem Heilbronner Landgericht. Damals wurde die ledige, 25-jährige Freiin von Gaisberg-Helfenberg, nachdem sie im Juni 1917 ein Kind zur Welt brachte, wegen „unerlaubten Verkehrs mit einem Kriegsgefangenen“ zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt.

Der Franzose war von 1914 bis 1917 als Kriegsgefangener auf dem Schlossgut mit Feld- und Gartenbestellungen beschäftigt. Nach einer ersten Aussage der Baroness sei der Franzose immer traurig gewesen und sie habe ihn zu trösten versucht.

In der Gerichtsverhandlung hingegen versuchte die 25-Jährige scheinbar, den Vater ihres Kindes der Vergewaltigung zu beschuldigen. Das Gericht nahm der jungen Mutter diese Anschuldigung nicht ab, zumal der frischgebackene Vater nach dem Eintritt der Schwangerschaft noch gut sechs Monate auf dem Schlossgut beschäftigt war. Wegen Fluchtverdachts verfügte das Landgericht am 7. August 1917 die sofortige Verhaftung der Baroness und verhängte eine Kaution in Höhe von 15 000 Mark.

 
 
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