Frühlingsmüdigkeit im Kreis Keine Krankheit und doch leiden viele daran

Von Heidi Vogelhuber
Derzeit oft müde und schlapp? Das könnte die berühmte Frühjahrsmüdigkeit sein. Foto: /Martin Kalb

Mit den ersten Sonnenstrahlen ereilt sie viele: die Frühlingsmüdigkeit. Die BZ hat mit Dr. Daniel Kopf vom RKH-Klinikum Bietigheim-Vaihingen darüber gesprochen.

Man fühlt sich antriebslos, schafft es morgens kaum aus dem Bett, der Kreislauf spielt verrückt. Wer derzeit diese Symptome empfindet, könnte an Frühjahrsmüdigkeit leiden. Was es damit auf sich hat, was man dagegen tun kann und ob es so etwas wie Frühlingsmüdigkeit wirklich gibt, darüber hat die BZ mit Privatdozent Dr. Daniel Kopf vom RKH-Klinikum Bietigheim-Vaihingen gesprochen. Der Ärztliche Direktor der Geriatrie ist Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie sowie Psychiatrie und Psychotherapie.

Gibt es so etwas wie Frühjahrsmüdigkeit überhaupt?

„Die wissenschaftliche Basis ist dünn“, sagt Kopf. Frühjahrsmüdigkeit sei eher ein subjektives Gefühl. Eine Krankheit sei sie auf jeden Fall nicht. Eher stöhne man über die Müdigkeit wie über das Wetter. Und doch sagt er: „Bestimmte Hormone sind beteiligt.“

Was sind die Symptome einer Frühlingsmüdigkeit?

Leidet man einer Frühjahrsmüdigkeit, ist man trotz ausreichend Schlaf nie ausgeruht. Man fühlt sich nicht leistungsfähig, hat Kopfschmerzen, vielleicht auch Kreislaufprobleme und ist gereizt. Man hat wenig Lust, etwas zu unternehmen.

Woran liegt das?

„Der Mensch ist gut an den 24-Stunden-Rhythmus angepasst“, sagt Kopf. Das nennt man Chronobiologie. Auch die Organe haben sich an den Tagesablauf angepasst. Als Beispiel nennt der Arzt das Bedürfnis, auf die Toilette zu gehen. Während man tagsüber alle Paar Stunden Wasser lassen muss, können die meisten nachts problemlos durchschlafen, ohne auf die Toilette zu müssen. Das liege daran, dass der Harndrang nachts hormonell heruntergefahren wird. Das wird auch als circadiane Rhythmik bezeichnet, also einem biologischen Rhythmus mit einer Dauer von etwa 24 Stunden. Mit zunehmendem Alter verliere dieser Rhythmus an Amplitude, was erklärt, warum ältere Menschen häufiger nachts aufs Klo müssen und oft weniger gut durchschlafen können.

„Es sind viele Prozesse im Tag-Nacht-Rhythmus reguliert, was auch viel mit dem Energielevel zu tun hat.“ Deshalb brauche der Körper auch kurz, wenn er unplanmäßig nachts geweckt wird und funktionieren soll. Denn die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin sind tagsüber mehr in Bereitschaft als nachts.

Ist der Rhythmus beeinflussbar?

Ja, sagt Kopf und erklärt: „Die vielen inneren Uhren müssen synchronisiert werden, zum Beispiel durch den Faktor Licht.“ Bis sich der Körper an den neuen Rhythmus gewöhnt hat, kann es zwei, drei Tage dauern. Beispielsweise für Schichtarbeiter oder bei einem Jetlag nach einem Transatlantik-Flug, verursacht durch die Zeitverschiebung.

Es gibt für manches auch eine gewisse Veranlagung, sagt der Arzt: „Und doch können Nachteulen auch früh aufstehen – sie müssen sich aber mehr anstrengen.“ Diese Elastizität nehme im Alter ab, wodurch es ältere Menschen härter treffe – auch bei hormonellen Schwankungen durch den Wechsel der Jahreszeiten.

Warum ist das besonders beim Wechsel der Jahreszeiten zu spüren?

Biologisch seien sich Mensch und Bär gar nicht so unähnlich, sagt Kopf und schmunzelt. Der Bär habe einen deutlich erkennbaren jahreszeitlichen Rhythmus in seinem Aktivitätsniveau. Im Sommer aktiv, im Winter hält er Winterschlaf und fährt seine Körperfunktionen herunter. Das mache der Mensch auch, wenn auch nicht so plakativ. Er zieht sich in der dunklen Zeit zurück, es wird weniger unternommen, man igelt sich ein – und spart Energie. Bis der Körper dann wieder auf Sommermodus umstellt, kann es ein bisschen dauern. Im Normalfall zwei bis vier Wochen.

Was kann man gegen die Symptome der Frühlingsmüdigkeit tun?

Das Einpegeln sei nicht immer leicht, sagt Kopf. Entscheidend sind dabei Stresshormone sowie das Hormon Serotonin. Serotonin nämlich ist unter anderem beteiligt an der Stimmung und der Affektregulation. Ist zu wenig Serotonin vorhanden, kommt einem das Glas immer halb leer vor. Was das mit den Jahreszeiten zu tun hat? Die Serotoninbildung wird durch Licht begünstigt. So sind auch saisonale Depressionen zu erklären.

Und was ist mit dem Schub, den manche im Frühjahr empfinden?

Das sei das Pendant zur Frühjahrsmüdigkeit, erklärt Kopf. Die Pflanzen beginnen zu blühen, alles wird grün. „Das Naturerwachen weckt auch im Menschen den Wunsch nach Aktivität. Das Bunte und die Vielfalt stimulieren uns“, sagt er und ergänzt: „Aber das braucht eben auch mehr Energie als sich im Winter einzukuscheln.“

Man wacht regelrecht aus dem Winterschlaf auf, beginnt mit dem Frühjahrsputz, nimmt wieder vermehrt Kontakt zu anderen Menschen auf. Manchmal jedoch kommt der Körper nicht so schnell mit und es kommt zu Symptomen der Frühjahrsmüdigkeit. „Solche Stoffwechselprozesse werden vom Körper reguliert. Die Regulation ist sinnvoll eingerichtet, um den Körper zu schonen“, sagt Kopf.

Kann man das beschleunigen?

„Man kommt schneller in Gang, wenn man aktiv wird und den Rhythmus trainiert“, sagt Kopf und erinnert daran, dass man ja auch nach einem Wechsel der Zeitzonen nicht dem Drang nachgeben soll, sich nachmittags schlafen zu legen, weil sich dadurch der Jetlag nur noch länger zieht. Der Profi rät, sich nicht in die Frühjahrsmüdigkeit hineinfallen zu lassen, sondern aktiv zu werden. Eine Überforderung des Körpers sei jedoch auch nichts. Am besten soll man dem Impuls folgen, im Garten zu werkeln, das Rad auf Vordermann zu bringen und in den ersten Sonnenstrahlen spazieren zu gehen. Das erleichtere dem Körper die Umstellung, überfordere ihn aber auch nicht.

Ist es sinnvoll mit Kapseln, Tabletten und Präparaten nachzuhelfen?

„Ich bin da eher skeptisch“, sagt Kopf. Es gebe Studien, die dem ein oder anderen Mittelchen Effekte nachweisen. Aber: „Wenn man in den Körper eingreift, weiß man nicht, was passiert“, so der Fachmann, der zu einer gesunden Lebensweise und einer Ernährung mit viel Obst und Gemüse rät. Das nämlich sei nicht das selbe, wie einzelne Inhaltsstoffe zu sich zu nehmen. „Der gesunde Körper kann’s immer noch am besten.“ Außerdem rät er dazu, so viel zu schlafen, wie es der Körper braucht und auf dessen Bedürfnisse zu hören. „Medikamente sind für Kranke da, nicht um eine ungesunde Lebensweise auszugleichen“, so Kopfs Fazit.

Und wenn die Müdigkeit anhält?

Hält die Müdigkeit länger als ein paar Wochen an, sollte ärztlich abgeklärt werden, ob doch etwas anderes vorliegt. Eine Nierenfunktionsstörung, Eisenmangel, eine Schilddrüsenunterfunktion oder eine geschädigte Verdauung, durch die Vitamine nicht mehr normal aufgenommen werden können, äußern sich auch durch Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Oft gleichen Medikamente dann wiederum gut die Störung aus.

 
 
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