Ingersheimer Patrick Cramer im Interview „Politik braucht die Wissenschaft“

Von Jörg Palitzsch
Der Ingersheimer Patrick Cramer leitet als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft 84 Institute mit insgesamt 24 000 Beschäftigten. Foto: /Max-Planck-Gesellschaft

Der Ingersheimer Professor Patrick Cramer ist Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Er spricht über die Konkurrenz zu China, die Freiheit der Wissenschaft – und Rockmusik.

Patrick Cramer (54) ist seit Juni 2023 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft mit Sitz am Münchner Hofgarten. Er studierte Chemie an den Universitäten Stuttgart und Heidelberg mit Forschungsaufenthalten in Bristol und Cambridge. Seine Promotionsarbeit führte er am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Grenoble durch. „Die Zukunft entsteht in den Köpfen von Menschen“, sagt er im BZ-Interview.

Sie sind seit einem halben Jahr an der Spitze der Max-Planck-Gesellschaft mit 84 Instituten und 24 000 Beschäftigten. Bleibt für Sie da noch Raum für eine eigene Forschungstätigkeit?

Professor Patrick Cramer: Es war eine bewusste Entscheidung, meine eigenen Forschungsaktivitäten zurückzustellen und mich noch mehr der Wissenschaftspolitik, der Öffentlichkeitsarbeit und der Förderung der nächsten Generation zu widmen. Allerdings: Nach drei Jahrzehnten aktiver Forschung war das emotional keine einfache Entscheidung. Noch habe ich ein Team in Göttingen, das die Regulation unserer Gene weiter erforscht. Und über 20 ehemalige Mitglieder unserer Arbeitsgruppe haben inzwischen eigene Labors in Europa, USA und Asien und führen unser Forschungsfeld in die Zukunft.

Sie stammen aus Ingersheim. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Heimatort?

Ich habe Kindheit und Schulzeit in den 1970er- und 1980er-Jahren in Ingersheim verbracht und gute Erinnerungen daran. In unserer Nachbarschaft wohnten viele Kinder. Ich erinnere mich auch an viele arbeitsame und lehrreiche Tage bei Weinlese, Obsternte und Hausbau. Meine Eltern hatten ein offenes Haus und so traf ich Menschen aus den USA und Afrika, die zu Besuch waren. Der Kalte Krieg war irgendwie weit weg. In den 1990er-Jahren forschte ich in England, Frankreich und Kalifornien, aber trotzdem heirateten meine Frau und ich im Ingersheimer Rathaus. Es gibt noch immer einen Bezug zu Schwaben. Noch heute bestelle ich Brotwasser vom Herzog von Württemberg.

In Ihrer Schulzeit im Ellental-Gymnasium in Bietigheim-Bissingen spielten Sie in der Big-Band. Welche Rolle spielt die Musik heute für Sie?

Damals war die Ellental-Big-Band unter Leitung des wunderbaren Lehrers Alfred Gloger. Als Autodidakt spielte ich meine Ibanez-Gitarre höchstens mittelmäßig, aber es hat Freude bereitet. Ich verstand nie, dass man E- und U-Musik unterschied – als hätte Mozart seine Hörer nicht unterhalten wollen. Mich hat aber ohnehin Rockmusik begeistert. Als ich Student in Heidelberg war, kam der Grunge auf, was aufregend war. Jahrzehnte später besuchte ich Seattle, von wo diese neue Musik kam – ein komisches Gefühl. Heute gefällt mir völlig unterschiedliche Musik, von Arvo Pärt bis Zedd.

Wie konkurrenzfähig ist Deutschland in der Forschung gegenüber den USA und China?

Das kommt auf das Forschungsgebiet an. Aber allgemein gilt: Deutschland ist ein attraktiver Forschungsstandort. Allein in den letzten vier Jahren hat die Max-Planck-Gesellschaft sechs Nobelpreise erhalten, insgesamt sogar mehr als die Harvard-Universität. Das liegt zum einen an der stabilen Finanzierung durch Steuergelder. Ebenso wichtig ist die vom Grundgesetz garantierte Wissenschaftsfreiheit, die die Kreativität fördert.

Ein dritter Grund ist unsere offene Gesellschaft. Bei uns arbeiten Menschen aus 127 Ländern, darunter über 1400 aus China. Wenn sich diese Talente in Deutschland nicht mehr willkommen fühlen, werden wir abgehängt. Aber um mit den USA und China mitzuhalten, brauchen wir den Europäischen Forschungsraum. Aus all diesen Gründen stelle ich mich gegen nationalistische Kräfte, die die Zukunft bedrohen.

Nimmt die Politik Einfluss auf Ihre Arbeit?

Nein, vielmehr braucht Politik die Wissenschaft. Unsere Forschungsergebnisse ermöglichen evidenzbasierte Entscheidungen und eröffnen neue Handlungsoptionen. Mit Bundespräsident Steinmeier bin ich im Austausch zu Themen wie Künstliche Intelligenz und Demokratie. Wir haben ja die Experten, denn unser Forschungsspektrum reicht von Astrophysik bis Kunstgeschichte. Vor Weihnachten war Bundesministerin Stark-Watzinger auf unserem Jahresempfang, im Bundestag habe ich den Ausschuss für Forschung besucht und in einigen Wochen treffe ich die Ministerpräsidenten Kretschmann und Söder. Als Wissenschaftler spreche ich mich bei allen Parteien für Zukunftsoffenheit und gegen Populismus aus.

Was sind die größten Herausforderungen für die Max-Planck-Gesellschaft in der Zukunft?

Vor meinem Amtsantritt habe ich alle 84 Max-Planck-Institute besucht und drei Handlungsfelder identifiziert: Menschen gewinnen und fördern, Strategien und Prozesse erneuern, gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. In allen drei Bereichen gibt es viele Herausforderungen. Einige Beispiele: Wir wollen durch Karriereförderung die Besten der Welt gewinnen und bei uns halten. Wir bauen jetzt 31 PV-Anlagen. Wir treten in einen kritisch-konstruktiven Dialog mit China ein – eben hat mich der Präsident der chinesischen Akademie in München besucht. Nach den Terrorangriffen der Hamas besuchte ich mit kleiner Delegation Kollegen in Israel, um unsere Anteilnahme auszusprechen und Hilfe anzubieten. Mein Kerngeschäft bleibt die Berufung herausragender Forscherpersönlichkeiten. Eben konnten wir eine Südkoreanerin als Direktorin am Institut für Cyber-Sicherheit gewinnen. Es ist ganz einfach: Die Zukunft entsteht in den Köpfen von Menschen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 
 
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