Jugendförderung in Bietigheim-Bissingen „Noch nie so viele Schutzsuchende“

Von Heidi Vogelhuber
Harald Finkbeiner-Loreth, Maria Limoli und Frank Schneider (von rechts) von der Bietigheim-Bissinger Jugendförderung „Das Netz“ vor dem Jugendhaus „4D“. Foto: /Martin Kalb

Harald Finkbeiner-Loreth und Frank Schneider präsentierten den Jahresbericht 2022/23 der Jugendförderung.

„Die Jugendlichen haben sich maßgeblich verändert“, sagte Harald Finkbeiner-Loreth in der jüngsten Sitzung des Jugendsozialausschusses. Der Leiter der Jugendförderung Bietigheim-Bissingen „Das Netz“ erinnere sich an seine Anfangszeit im Jugendhaus, „Ende der 80er waren die Kids noch sehr kreativ“, sagte er. Davon habe eine florierende Breakdance- Veranstaltungs- und Schrauberszene gezeugt. Aktuell stehe etwas ganz anderes im Fokus: „Es waren noch nie so viele schutzsuchende Jugendliche im Jugendhaus.“ Die jungen Menschen könnten offensichtlich nirgends sonst ihr Herz ausschütten. Ob das eine Spätfolge von Corona sei, könne Finkbeiner-Loreth nicht mit Sicherheit sagen. Die Studienlage sei dazu noch dünn.

Rund 150 Stammbesucher konnte das Jugendhaus Bietigheim-Bissingen im vergangenen Jahr vermerken, berichtete Finkbeiner-Loreth den Gemeinderäten in seinem Jahresbericht 2022/23 der Jugendförderung „Das Netz“. Diese jungen Menschen seien täglich oder mehrmals die Woche vor Ort. Viele seien über die neue Pumptrack-Anlage ins Haus gekommen. Von Dienstag bis Samstag würden täglich Projekte angeboten, die wiederum von unterschiedlichen Zielgruppen rege genutzt würden. Durch verschiedene Aktionen kämen zusätzlich rund 250 bis 300 Teilnehmer zum offenen Treff. Das Verhältnis von Mädchen und Jungen sei ausgeglichen, auch gebe es geschlechtsspezifische Angebote, etwa das Mädchentheater, das nach coronabedingter Pause nun wieder aufgenommen wurde, oder auch Angebote, die der Identitätsfindung dienen. Auch das Gesundheits- und Sportangebot sei beliebt – beispielsweise der Box-Kurs, den 30 Teilnehmer nutzen.

Jugendarbeit wird angenommen

Für seinen Vortrag über die Arbeit der Jugendförderung erntete der „Das Netz“-Leiter viel Zuspruch aus dem Gremium. Erster Bürgermeister Michael Hanus meinte: „Die Zahlen zeigen, dass die Jugendarbeit gut angenommen wird.“ Stadtrat Claus Stöckle (CDU) lobte, „dass die Strukturen die Kinder betreuen und auffangen.“ Fraktionskollegin Eva Jahnke hob positiv hervor, dass das Nachhaltigkeitsangebot den jungen Menschen einen Sinn für Umwelt mit auf den Weg gebe.

Der zweite Teil der Sitzung des Jugendausschusses widmete sich der Schulsozialarbeit. Der Fachbereichsleiter der Schulsozialarbeit in Bietigheim-Bissingen, Frank Schneider, nahm die Stadträte und -rätinnen mit auf eine „Reise in die Problemwelt“, wie er sagte. Er führte aus, dass es eine große Anfrage nach therapeutischer Unterstützung an den Schulen im Stadtgebiet gebe, „wir haben aber zu wenig Angebote, die das abdecken könnten.“

Große Nachfrage nach Therapien

Die Beratungsstellen seien überlaufen, „die psychosoziale Beratung konnte wenigstens einen Teilbereich abfedern“, das sei jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Dabei sprach der Fachbereichsleiter ein großes Lob für sein Schulsozialarbeitsteam aus, von dem auch ein großer Teil an der Sitzung im Ratssaal des Rathauses Bietigheim teilnahm. „Es ist viel therapeutisches Know-how da, das ist nicht selbstverständlich“, so Schneider.

Besorgniserregend sei, dass mehr und mehr Verhaltensauffälligkeiten an Schulen zu beobachten seien. Intoleranz wachse, der „Rückzug in ideologische Bubbles“ sei zu beobachten, vor allem an weiterführenden Schulen. Schneider gab anschließend einen Überblick über die schulspezifischen Hauptthemen. An Grundschulen stehe beispielsweise die Schlichtung und das Lenken der Wut im Vordergrund, an der Förderschule die Selbstwahrnehmung. An Real- und Gemeinschaftsschulen seien Angstthemen im Fokus. Schulangst, Phobien, Existenzangst, aber auch Orientierungslosigkeit und psychische Probleme seien deutlich öfter zu bemerken als noch vor der Pandemie. „Schüler mit therapeutischer Indikation sollten angebunden werden“, so Schneider. Jedoch gebe es Wartezeiten von über einem Jahr für einen Therapieplatz.

Am Gymnasium sei es das altbekannte Problem: Eltern möchten ihre Kinder unbedingt auf dem Gymnasium sehen, diese Schulform überfordere jedoch viele Kinder. Auffällig sei am Gymnasium, dass „viele Themen untereinander ausgemacht werden“, so Schneider. Gerade in Bezug auf Streit und Mobbing, aber auch Verhaltensauffälligkeiten wie Essstörungen, Depressionen, Suizidgedanken.

Was neben den zahlreichen Präventionsangeboten künftig noch eine größere Rolle spielen soll, ist Medienkompetenz. Denn aus der Nutzung der Sozialen Medien würden sich zahlreiche Probleme entwickeln, so Schneider. Jedoch stecke dieses wichtige Thema „noch in den Kinderschuhen.“ Zudem würden gesetzliche Schranken fehlen, ergänzte Finkbeiner-Loreth.  Heidi Vogelhuber

 
 
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