Mysterium im Wald Verlassen, überwuchert, vergessen

Von Franziska Kleiner
Der Eingang mutet heute eher an wie jener zu einer Zauberwelt. Foto: /Foto: Simon Granville

In einem verwunschenen Tal zwischen Gerlingen und Leonberg liegt ein – heute – zauberhafter Ort. 5000 Besucher suchten dort einst an guten Wochenenden Erfrischung. Jetzt schwimmen nur noch die Koi-Karpfen im grünen Wasser – Zugang strengstens verboten.

Hochsommer. Der kilometerlange Fußweg hinunter ins verborgene Tal ist zwar schattig, aber zieht sich, Kurve um Kurve. Das Auto – wer denn eines hat – ist keine Alternative: Parkplätze sind rar am Freibad, und auch die Stellplätze entlang der Straße sind schnell belegt. Wohl dem, der sich auf dem Fahrrad den Fahrtwind um die Nase wehen lassen kann. Aber umso schweißtreibender würde der Weg zurück bergauf werden. Dann doch lieber gleich ins Freibad laufen. Die, die dort ihre Sommer verbrachten, eint bis heute vor allem diese eine besondere Erinnerung: Das Wasser im Freibad im Gerlinger Krummbachtal war kalt!

Längst verlassen Foto: Simon Granville

Tatsächlich wurde das 50 auf 18 Meter große Becken einst zunächst von Quellwasser gespeist – ehe später Bodenseewasser beigefügt wurde. „Das Bodenseewasser war kälter“, sagt Peter Hanle von den Naturfreunden Stuttgart-Weilimdorf. Einst eigenständig, gehören die Weilimdorfer heute zu den Stuttgarter Naturfreunden. Diese haben das Bad übernommen, außerdem das dazugehörige Naturfreundehaus. Es ist eines von sechs, das sie nach eigenen Angaben im Raum Stuttgart betreiben.

Das Bad wurde im Jahr 1929 erbaut, 1967 renoviert – und im Jahr 1991 aufgegeben. An guten Sommerwochenenden seien dort 5000 Besucher gezählt worden, sagt Hanle rückblickend. Wer in Gerlingen, Leonberg oder auch Stuttgart wohnte, lag dort nachmittags in der Sonne, schwamm im Wasser, tobte auf der Wiese und jobbte in den Schulferien am Kiosk. 5000 Badegäste wurden an heißen Wochenenden in guten Zeiten gezählt.

5000 Gäste tummelten sich hier am Wochenende. Foto: Simon Granville

Heute ist das Areal, das sich hinter dem bewirtschafteten Naturfreundehaus erstreckt, weitgehend ungenutzt. Das Becken ist randvoll mit Wasser gefüllt, es ist undurchsichtig, schimmert grünlich. Inzwischen wird das Becken nicht mehr genutzt, die Taucher, die die Fläche eine Zeit lang für sich nutzten, sind wieder weg – das Wasser sei ihnen irgendwann zu trüb gewesen, erzählen Peter Hanle und Roland Moosbrugger von den Stuttgarter Naturfreunden. Das Wasser blieb wegen der Statik im Becken. Die Koikarpfen, die dort drin schwimmen, sind allerdings nicht immer zu sehen. „Irgendjemand muss sie dort reingesetzt haben“, sagt Moosbrugger.

Lost Place mit Seerosen auf grünem Wasser

So wenig einladend die Wasserfläche im Winter anmutet, so sehr erblühen im Verlauf des Jahres die Seerosen. Doch die Naturfreunde haben das Gelände weitgehend gesichert, der Gefahren wegen. Immer wieder hatten sie feststellen müssen, dass sich Unbefugte auf das weitgehend brachliegende Gelände verirrt hatten.

Heute sagen die beiden, „es wäre schön, wenn das Becken in einen ansehnlichen Zustand kommen würde“. Das ist auch, aber nicht nur, eine Frage des Geldes: Das Krummbachtal wird renaturiert. Die Fläche des ehemaligen Bads liegt mittendrin.

Die Infrastruktur ist vernachlässigt. Foto: Simon Granville

Damals, Anfang der 1990er Jahre, hätten die Naturfreunde drei bis vier Millionen Mark in das Bad stecken müssen, um es zu sanieren. Das Geld hatten die Naturfreunde nicht, also wurde das Freibad auf behördliche Anweisung geschlossen. Die Frage, ob Gerlingen oder auch Leonberg sich stärker in die Sanierung hätten einbringen können oder sollen, stellte sich nur bedingt: Beide Kommunen hatten zwischenzeitlich ein eigenes Hallenbad, nur wenige Kilometer entfernt war in Leonberg vor allem ein modernes Freibad, das Leobad, entstanden.

Das Bad wurde aufgegeben, spätere Anläufe, es zu reaktivieren, waren nicht von Erfolg gekrönt. Inzwischen ist die ehemalige Liegewiese zum Teil überwuchert, und entlang der Straße wurde ein stabiler Zaun gezogen. Der Krummbach – der dem Tal seinen Namen gibt – wurde zum Teil renaturiert. Dabei wurde der Bach vom Steinbruch bis zum Fischweiher und noch ein wenig darüber hinaus offen gelegt. Etwas oberhalb des Bades läuft das Wasser zum Teil weiter in einem alten Kanal.

Das Becken ist wegen der Statik gefüllt. Foto: Simon Granville

Dieses Stück Kanal will man aufgeben und dem Bach wieder ein mehrere Hundert Meter langes natürliches Bett bauen. Damit soll vor allem die Überschwemmungsgefahr auf dem Gelände des Naturfreundehauses beseitigt werden: Das Haus wurde 2016 durch einen starken Regen geflutet. Dabei war laut den Naturfreunden ein Schaden von rund 70 000 Euro entstanden. Zwei Drittel der Strecke des neuen Krummbachs befinden sich auf dem Gelände der Naturfreunde. Doch schon bei der Planung war von Kosten in Höhe von 900 000 Euro die Rede.

Während die Renaturierung ihrer Umsetzung harrt, ist das Naturfreundehaus inzwischen wieder auf andere Weise zu einem Ausgangspunkt geworden. Unmittelbar gegenüber, auf der anderen Straßenseite beginnt der Walderlebnispfad, den die Stadt angelegt hat. Bei schönem Wetter parken die Autos entlang der Straße. So wie früher.

Vergessene Orte in der Region

Lost Places
Der Begriff beschreibt verlassene Orte, oftmals handelt es sich um aufgegebene, dem Verfall überlassene Gebäude. Nicht immer haben diese historische Bedeutung. Gemein ist ihnen jedoch ihre geheimnisvolle Aura. Die Bezeichnung Lost Place ist ein Pseudoanglizismus, der sich im deutschsprachigen Raum etabliert hat.

Serie
In loser Folge stellen wir in den kommenden Wochen Lost Places in der Region Stuttgart vor, erzählen ihre Geschichte und dokumentieren fotografisch ihr morbides Ambiente. Manche dieser Orte sind offen sichtbar, andere verfallen – teils seit Jahrzehnten – unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Geheimnisvolles Stuttgart
Auch direkt in der Landeshauptstadt finden sich Überraschungen. Von Tipps und Ausflugszielen bis hin zum Lost Place für Verliebte sammeln wir sie online unter dem Titel „Geheimnisvolles Stuttgart“.

 
 
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