Medizinethik im Kreis Ludwigsburg „Ethik berührt eigentlich jede Abteilung, auch die Medizin“

Von Heidi Vogelhuber
Medizinethik spielt oft am Lebensanfang und -ende eine Rolle. Foto: /RKH-Kliniken/Martin Stollberg

Seit 25 Jahren gibt es in den RKH-Kliniken Ethikarbeit. Dr. Jürgen Knieling, Ärztliche Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am RKH-Klinikum Bietigheim-Vaihingen und Leiter der RKH-Ethikkonferenz, erklärt, wann und warum Ethikkonsile gebraucht werden.

Was passiert mit totgeborenen Kindern? Sollen sie beerdigt werden? Es liegt eine Patientenverfügung vor, die lebensverlängernde Maßnahmen ausschließt. Zählt in diesem Fall eine Magensonde als solche? Wo fängt der Patientenwille an, wo hört das Kümmern um das Patientenwohl auf?

 „Um sich mit genau solchen Fragen zu befassen, sind vielerorts Ethikkommissionen entstanden“, sagt Dr. Jürgen Knieling, der Ärztliche Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am RKH-Klinikum Bietigheim-Vaihingen, und Leiter der RKH-Ethikkonferenz. Die Kliniken der RKH Gesundheit gehörten zu den ersten Kliniken in Deutschland, die ein Ethik-Komitee eingerichtet haben. Mittlerweile gibt es die Ethikarbeit bei der RKH Gesundheit seit 25 Jahren. Im Gespräch mit der BZ berichtet Jürgen Knieling, warum diese Arbeit so wichtig ist und mit was sie sich befasst.

Lebensanfang und -ende im Fokus

„Vor allem am Lebensanfang und am Lebensende ist die Ethikarbeit gefragt“, sagt Knieling. Als Arzt oder Pflegekraft habe man gelernt, Leben zu retten. Jedoch sei auch das Umschalten auf Palliativmedizin zum richtigen Zeitpunkt wichtig – aber wann ist der? Um diese Fragen, die Patientenwohl (Nutzen-Schaden-Abwägung), Patientenwillen (geäußert oder mutmaßlich) und Gerechtigkeit (etwa gerechte Verteilung bei Ressourcenknappheit) betreffen, kümmere sich die Ethik in der Medizin. „Unsere Sterbekultur und vor allem das Sterben in Würde ist eng verbunden damit.“

Dem Ethikkomitee (siehe Infobox) der Kliniken Ludwigsburg-Bietigheim gehören im Schnitt zehn bis 15 Personen an. Das Komitee besteht aus Freiwilligen, die sich für die Zusatzausbildung im Bereich Medizinethik entschieden haben. Das können Ärzte, Pfleger, Klinikseelsorger und Sozialarbeiter sein. „Viele kommen aus der Palliativmedizin, jedoch nicht alle“, sagt Knieling.

Die Moderatorenschulung wird bei den RKH-Kliniken durch den Medizinethiker Professor Dr. Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, durchgeführt. Erst im Februar schulte er 26 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der RKH.

„Ethikkonsile werden vielleicht zehn Mal im Jahr angefordert“, berichtet Knieling. Damit im Ernstfall immer ein Ethikmoderator zur Verfügung steht, gibt es einen Bereitschaftsplan. Im Zweierteam werden die Ethikkonsile durchgeführt. Als Zeitrahmen sind etwa 45 Minuten vorgesehen. Es nimmt das interprofessionelle Behandlungsteam teil sowie gegebenenfalls die Angehörigen und Bezugspersonen. Der Fall wird besprochen und die Argumente unter den ethischen Prinzipien Patientenwohl und -wille sowie Gerechtigkeit bewertet. Ziel ist, einen Konsens zu finden. Dazu wird abgewogen, welches ethische Prinzip den Vorrang haben soll, wenn sich etwa Patientenwohl und -wille widersprechen. Das Ergebnis dient als Grundlage für alle weiteren Schritte.

Ein fiktives Fallbeispiel

Ein Patient liegt im Koma. Das behandelnde Ärzte-Team möchte ihn über eine Magensonde ernähren. Die Pflegekraft weist darauf hin, dass es eine Patientenverfügung gibt, die lebensverlängernde Maßnahmen ausschließt. Der Angehörige möchte, dass getan wird, was nötig ist, um den geliebten Menschen zu retten. Die entscheidende Frage ist: Wie wirkt sich eine Maßnahme wie die Magensonde auf den Menschen aus?

„Alle Seiten müssen erst einmal verstanden werden“, sagt Knieling. Worum geht es dem Angehörigen? Ist es Sorge oder gibt es ein Erbe? Was hätte der Patient gewollt: Patientenwohl und -wille müssen abgewägt werden. Patientenverfügungen decken viel ab und oft kann daran abgeleitet werden, was der Patientenwille gewesen wäre. Denn der hat einen hohen Stellenwert – auch wenn das vielleicht nicht dem entspricht, was der Angehörige sich wünscht.

„Wir bilden Menschen aus, die in solchen verfahrenen Situationen vermitteln“, sagt Knieling. Nicht selten sei Loslassen für die Angehörigen einfacher, wenn klar wird, dass somit der Wille des geliebten Menschen umgesetzt wird. „Dafür ist natürlich Feingefühl nötig und, den Prozess neutral zu moderieren“, so Knieling.

Er selbst sei immer wieder von Ärzten nach Rat gefragt worden, beispielsweise, ob ein Dialyseabbruch auf Patientenwunsch die richtige Entscheidung sei. Letztendlich sei er Teil des Ethik-Teams geworden. Nach dem plötzlichen Tod von Dr. Thomas Vögele, Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie im Bietigheimer Krankenhaus, im April 2018 trat er dessen Nachfolge als Leiter der RKH-Ethikkonferenz an.

Bedarf ist nach wie vor da

„Die Ethik berührt eigentlich jede Abteilung, sie ist vor allem auch in der Medizin wichtig“, sagt Knieling. Der Bedarf nach Ethikberatung sei nach wie vor da. Während der Corona-Pandemie habe sich die Situation aber zugespitzt, vor allem als über Triage (Auswahl) nachgedacht wurde, was im Kreis jedoch nur theoretisch zur Anwendung kam. „Vieles wurde der Hygiene untergeordnet. Aber die ethischen Fragen sind auch wichtig. Beispielsweise, ob jemand seine sterbende Mutter besuchen darf“, sagt Knieling rückblickend. Das sei nun auch im Rahmen der Aufarbeitung der Pandemie ein wichtiger Untersuchungsgegenstand.

Die Struktur der Ethikarbeit in den RKH-Kliniken

Die Ethikarbeit innerhalb der RKH-Kliniken ist organisiert in drei standortbezogenen Ethikkomitees sowie einer übergeordneten Ethikkonferenz, deren Leiter Dr. Jürgen Knieling (aus Bietigheim) ist. RKH-Ethikkomitees gibt es für Ludwigsburg-Bietigheim- Markgröningen, den Enzkreis sowie den Landkreis Karlsruhe. Kontaktperson für das Ethikkomitee im Kreis ist Bettina Spahr unter Telefon: (07141) 9 99 68 76 oder per E-Mail: bettina.spahr@rkh-kliniken.de).

 
 
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