Rentner im Kreis Ludwigsburg Wenn das Leben aus Verzicht besteht

Von Gabriele Szczegulski
Oftmals ist der Einkauf in einem Tafelladen eine notwendige Alternative, wenn die Rente zum Leben nicht ausreicht Foto: Martin Kalb

41 Prozent aller baden-württembergischen Rentner beziehen weniger als 1250 Euro Rente im Monat. Trotz der Möglichkeit, finanzielle Hilfe zu beantragen, reicht es oft nicht für das Notwendigste.

Rund 41 Prozent der Rentner in Baden-Württemberg haben weniger als 1250 Euro im Monat zur Verfügung, hat das Statistische Landesamt ermittelt. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben – so jedenfalls sieht das der Landesverband des Sozialverbands VdK. „Viele alte Menschen sind in großer Not“, sagt der Landesverbandsvorsitzende des Vdk, Hans-Josef Hotz. Da werden existenzielle Dinge des Lebens zum Luxus – eine neue Brille, ein paar Gesundheitsschuhe, ein neuer Mantel. Und oft sogar die täglichen Nahrungsmittel. Viele Rentner wissen nicht mehr ein noch aus, die Scham ist oft so groß, dass sie sich sozial zurückziehen anstatt Hilfe bei den Beratungsstellen zu suchen.

Viele alte Menschen sind in großer Not

Mehr als 68 000 sozialrechtliche VdK-Beratungen im Land habe es 2023 gegeben, so viel wie nie zuvor. Viele Rentner könnten sich ihre Lebensmittel nicht mehr leisten, weswegen auch der Anteil an Rentner, die die Leistungen eines Tafelladens in Anspruch nehmen, ständig steige. Bestätigt werden Hotz’ Aussagen von den Beratungsstellen vor Ort wie der Sozialberatung des Kreises oder der Caritas Bietigheim-Bissingen. Seit ein paar Jahren könne man einen erheblichen Anstieg an Rat suchenenden und „verzweifelten Senioren“ in der Beratung feststellen, sagt Petra Tolksdorf, Leitung Existenzsicherung und Integration der Caritas-Sozialberatung in Bietigheim-Bissingen.

Tolksdorf beobachtet, dass vor allem alleinstehende Frauen mit einer geringen Rente eine Beratung suchen. Es sei davon auszugehen, dass Rentnerinnen den größte Teil derjenigen Senioren stellen, die mit 1250 Euro oder weniger auskommen müssten.

Die Altersarmut sei sehr wohl auch im Landkreis ein Thema, sagt der Sprecher des Landratsamts, Dr. Andreas Fritz. Aber: „Es gibt keine Erhebung, die ausweist, wie die finanzielle Situation von älteren Menschen im Landkreis Ludwigsburg ist.“ Die Lebenshaltungskosten lägen insgesamt auf einem hohen Niveau. Die Mieten und auch die Nebenkosten seien generell im oberen Bereich zu sehen. „Aufgrund dieser Umstände kann eine geringe Rente einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehungsweise Wohngeld auslösen“, sagt Fritz. Nur: Er weiß auch, dass viele Rentner in einer prekären finanziellen Lage zögerten, Hilfe anzunehmen, „die ihnen aber durchaus zusteht“, so Fritz. Der Landkreis mache Angebote in der Schuldnerberatung, der Wohnsituation oder bei Antragstellungen.

Ratsuche erst, wenn viele Schulden aufgelaufen sind

Dass viele Rentner und Rentnerinnen erst eine Beratung aufsuchen, wenn „ganz viele Schulden aufgelaufen sind“, weiß Bettina Würth von der Sozialberatung Ludwigsburg. „Wenn bei einer Rente von 1250 Euro alleine die Wohnung warm 900 Euro kostet, was normal ist, dann werden beispielsweise Sonderausgaben wie eine Stromnachzahlung zum unlösbaren Problem“, so Würth.

Dabei gebe es „Möglichkeiten, wenn auch nicht genug, wo wir helfen könnten“. Wohngeld zu beantragen sei eine Lösung. Doch viele Rentner hätten, so sagt Tolksdorf, Angst, wenn sie Wohngeld beantragten, würde ihre Wohnsituation überprüft und sie würden gezwungen, aus ihrer Wohnung auszuziehen. „Aber diese Angst können wir oft nehmen, da der Wohnungsmarkt derzeit selten billigere Wohnungen bietet“, sagt Tolksdorf.

Schamgrenze ist gerade bei Rentnern sehr niedrig

Finanzielle Hilfen seien der Tafelausweis, das Wohngeld, der Energiefond der Kirchen bei Energienachzahlungen oder Stiftungen, die beispielsweise bei einem Neukauf einer Waschmaschine oder eines Herdes helfen, sagt Würth. „Aber es ist schwierig, denn die Schamgrenze ist gerade bei Rentnern sehr niedrig.“

Tolksdorf kann aber auch beobachten, dass gerade Rentner und Rentnerinnen „große Sparer“ sind. „Da wird eher die Stromrechnung bezahlt als die kaputte Brille ersetzt“, sagt sie. „Das Schlimme sind andere Ausgaben, die man sich mit 1250 Euro Rente nicht erlauben kann“, sagt sie. Wie die Brille oder das besondere Medikament, das helfen könnte. „Und wir sprechen nicht von Ausgaben wie dem neuen Mantel oder dem Weihnachtsgeschenk für den Enkel, das können sich die wenigsten mit einer niedrigen Rente leisten“, so Tolksdorf. Es gebe zwar beispielsweise für orthopädische Schuhe eine Zuzahlung, aber da diese Spezialschuhe generell teuer seien, sei „Verzicht angesagt“, so Tolksdorf.

Pauschal könne keine Aussage getroffen werden, ob eine Person, deren Rente unter dem Betrag von 1250 Euro im Monat liege, generell einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hat. Lebt diese Person zum Beispiel in einer günstigen Wohnung, könne der Rentenbetrag von 1250 Euro ausreichend sein, um den Bedarf der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vollständig zu decken, sagt Fritz. Es handele sich hierbei um eine individuelle Fallprüfung, sodass eine pauschale Aussage zu den Ansprüchen auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bei einer Rente, die unter dem Betrag von 1250 Euro liege, nicht getroffen werden könne. Tolksdorf macht eine Rechnung auf: Der Bürgergeld- und Grundsicherungsregelbetrag liegt bei 563 Euro, zusätzlich wird die Miete übernommen.

Wenn also ein Rentner 1250 Euro Rente bekommt, wird der Regelsatz von 563 Euro abgezogen, das heißt, der betroffene Rentner könne dann noch eine Miete von warm 677 Euro bezahlen. „Die liegt aber meistens höher, also kann Wohngeld oder eine Aufstockung durch die Grundsicherung erfolgen, das wissen die wenigsten“, sagt Tolksdorf. Das Problem sei aber, dass die Grundsicherung und das Wohngeld in ganz Deutschland gleich berechnet werde. „Es gibt Gegenden, in denen reichen 670 Euro für die Miete, nicht aber im Kreis Ludwigsburg“, so Tolksdorf.

Sowohl sie als auch Bettina Würth wissen aber, dass die wenigsten Rentner Wohngeld oder eine Grundsicherungsaufstockung beantragen. „Sie suchen sich einen oder mehrere Minijobs“, sagt Würth.

Rentner schämen sich, zur Tafel zu gehen

Auch die Beantragung eines Tafelausweises sei immer mit viel Überzeugungskraft verbunden. „Viele Rentner schämen sich, zur Tafel zu gehen, um billige Lebensmittel zu bekommen, sie wollen nicht gesehen werden, sehen das als persönlichen Absturz an“, sagt sie. Und was am Schlimmsten sei: „Es gibt keine Aussicht auf Verbesserung, dieser unwürdige Zustand bleibt, das geht vielen an die Nieren“, sagt Tolksdorf. Ausflüge, Essen gehen, Shoppen, Geschenke machen – „Luxus, der niemals eintreten wird und das zermürbt“, sagt Bettina Würth.

Unterstützungen bei finanziellem Notstand

Für Sozialleistungen wie das Wohngeld ist ein Antrag notwendig. Dieser kann im Fall des Wohngeldes auf verschiedenen Wegen gestellt werden. Ein Antrag kann jederzeit digital oder in Papierform eingereicht werden. Papieranträge können in den Rathäusern oder im Landratsamt abgeholt oder angefordert werden. Ein Wohngeldantrag kann auch online über das Portal www.service-bw.de gestellt werden. Es ist wichtig zu wissen, dass ein Antrag in der Regel ab dem Monat gilt, in dem er gestellt wird. Man sollte daher möglichst früh den Antrag stellen.

 
 
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