Reportagen-Projekt von EH und BZ Menschen am Rande der Gesellschaft eine Stimme geben

Von Heidi Vogelhuber
Uschi Entenmann (links) mit den ersten beiden Studentinnen, die beim Reportagen-Projekt der BZ und der EH mitmachen: Anna Kimmich (Mitte) und Leonie Wagner. Foto: /Oliver Bürkle

Die Evangelische Hochschule Ludwigsburg hat gemeinsam mit der BZ ein Projekt ins Leben gerufen, das Einblicke in die Soziale Arbeit gibt. Die ersten Studentinnen sind schon dabei und schreiben Sozialreportagen.

Ich werde total oft gefragt, was denn Soziale Arbeit ist, ob man das tatsächlich studieren muss und ob man in dem Bereich später überhaupt einen Job findet“, sagt Anna Kimmich. Sie muss lachen, noch während sie das erzählt und auch ihre beiden Kommilitoninnen können sich ein Grinsen nicht verkneifen, gleichzeitig schütteln sie den Kopf. Die drei Frauen studieren an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg (EH). Alle drei sind im fünften Semester ihres Bachelor-Studiums der Sozialen Arbeit, das eine Regelstudienzeit von sechs Semestern, also drei Jahren hat. Alle drei sind derzeit im Praxissemester. Und alle drei machen bei einem Projekt mit, das es so noch nicht gab.

Das Reportagen-Projekt

Gemeinsam mit Uschi Entenmann, die bei der EH für Kommunikation, Presse und Publikationen zuständig ist, schreiben die Studentinnen ihre Erlebnisse aus ihrem Praxissemester auf. Nicht jedoch, wie sonst üblich, als sachlichen Praxisbericht, sondern als persönliche Sozialreportage. Die Studentinnen bringen das Interesse und die gemachten Erfahrungen mit, Uschi Entenmann das Know-how zum Schreiben. Als ausgebildete Journalistin schlägt ihr Herz für gute Reportagen. „Die Idee ist mir beim Hochschulmessetag gekommen“, sagt Entenmann. Den gibt es regelmäßig zur Orientierung für die Studenten. Dort habe sie „lauter spannende Projekte“ kennengelernt und ihr kam die Idee, diese auch anderen zugänglich zu machen. „Mir war wichtig, dass die Studenten ihre Geschichten selbst erzählen.“ Die Idee zu einem Reportagen-Projekt im Rahmen des Praxissemesters war geboren. In der Bietigheimer Zeitung fand die EH eine Partnerin zur praktischen Umsetzung.

„Das ist zeitgleich eine Schulung in Medienkompetenz“, sagt Entenmann. Denn die Studenten und Studentinnen müssen ihre Informationsquellen überprüfen, sehen, wie aufwendig eine fundierte Recherche ist und erleben am eigenen Leib, wie eine Reportage aufgebaut wird, die aus Situationsschilderungen einerseits und Faktenblöcken andererseits besteht. Stets dabei: Selbstreflexion.

Mit Hinblick auf die künftige Arbeit der Studentinnen ist der Umgang mit Medien unerlässlich, um diesen oft schwer zugänglichen Themenbereichen die Aufmerksamkeit zu ermöglichen, die sie verdienen. Die Menschen, die in den Sozialreportagen zu Wort kommen – teilweise zum Schutz anonymisiert – bewegen sich „zwischen Verzweiflung und Todesangst“, ergänzt Beatrice Gerst, die das Praxisamt der EH leitet. Das Erzählen der Schicksale könne helfen, etwas an der Situation zu ändern, zu verbessern. Auch wenn die Studentinnen künftig nicht selbst für das Verfassen der Berichte zuständig sein werden, hilft es doch im Umgang mit Zeitung, Radio und Fernsehen, zu wissen, wie die andere Seite arbeitet, so Entenmann.

Einblick in verschiedene Bereiche

„Es ist eine gute Sache, den jungen Frauen eine Stimme zu geben und ihnen Aufmerksamkeit zu ermöglichen“, sagt eine der Projektteilnehmerinnen. Sie verbrachte ihr Praxissemester in der Einrichtung Evangelische Gesellschaft („Eva“), im Wohnprojekt „Rosa“. „Rosa“ nimmt bundesweit junge Migrantinnen auf, die Schutz suchen, weil sie von Zwangsheirat und sogenannter Gewalt im Namen der Ehre durch ihre Familien bedroht sind. Der Name der Studentin bleibt zum Schutze aller Beteiligten anonym, auch auf dem Foto ist sie deswegen nicht zu sehen. „Die Sinnhaftigkeit, dass viele Menschen das lesen, treibt mich an“, sagt sie. Wichtig sei ihr, sensibel und differenziert zu erzählen und die Mädchen nicht als Opfer darzustellen. „Es ist ein Zeichen von Stärke, zu gehen.“ Das Lesen der Reportage mache vielleicht auch anderen Mut.

Anna Kimmich hat ihr Praxissemester bei „Scout am Löwentor“ verbracht. „Scout“ ist eine intensivpädagogische Einrichtung für männliche Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren, die meist unter schwierigen Umständen aufgewachsen sind. In der Region Stuttgart gibt es zwei stationäre Wohngruppen, ein Schulangebot, betreutes Jugendwohnen und Hilfen zur Erziehung. „Das sind nicht die bösen Jungs, mit denen es niemand aushält“, sagt Kimmich und weiter: „Meine Hoffnung ist, dass sie einen anderen Ruf und eine Chance bekommen.“

„Auch ich bin stolz, dass ich mich für das Reportagen-Projekt entschieden habe“, sagt Leonie Wagner. Die 23-Jährige studiert Internationale Soziale Arbeit („ISA“), daher hat sie ihr Praxissemester im Ausland verbracht. Sie spreche passables Spanisch und wollte ihre praktischen Erfahrungen in Lateinamerika sammeln, sagt sie. Letztendlich arbeitete sie bei „Espacios de mujer“. Die Organisation hilft Kolumbianerinnen, die ins Ausland gelockt wurden und in die Prostitution gerutscht sind, wieder einen Weg zurück ins Leben und zu ihrer Würde zu finden.

„Das Studium an sich ist sehr schulisch geworden. Daher finde ich es schön, wenn man auch mal so etwas wie das Reportagen-Projekt einbinden kann“, sagt die Leiterin des Praxisamts, die sich dafür eingesetzt hat, dass die Reportage in den Praxisbericht, der in gewissen Teilen trotzdem geschrieben werden muss, einfließt und bewertet wird. „Teil der Sozialen Arbeit ist auch, auf gewisse Bereiche aufmerksam zu machen, Sprachrohr zu sein“, so Gerst. Eine gewisse Kompetenz im Umgang mit Medien sei dafür unabdingbar.

Ein erstes Fazit zum Projekt

Das Fazit der ersten Projektteilnehmerinnen: „Das ist etwas komplett anderes zu dem, was wir sonst machen“, sagt Anna Kimmich. „Man kennt die Einrichtung nach sechs Monaten so gut, man muss einen Schritt zurück treten und von außen draufschauen“, berichtet eine andere Teilnehmerin. „Es ist zwar echt viel Arbeit, aber ich würde es immer wieder machen“, so Leonie Wagner.

Zum Reportagen-Projekt der EH mit der BZ

In unregelmäßigen Abständen werden in der Bietigheimer, Sachsenheimer und Bönnigheimer Zeitung Reportagen der Studentinnen der EH erscheinen, in denen sie in Form von Sozialreportagen von ihrem Praxissemester berichten.

Studium an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg
Insgesamt studieren derzeit rund 1300 junge Menschen an der EH in Ludwigsburg. Sie ist eine staatlich anerkannte Hochschule für Menschen jeglicher Orientierung, Konfession und Glaubensrichtung. Es gibt Bachelor- und Master-Studiengänge in den Bereichen Soziales, Diakonie, Pädagogik, Pflege und Religion.

 
 
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