Zeitgeschichte Frau des Auschwitz-Kommandanten wohnte in Ludwigsburg

Von Uwe Mollenkopf
Familienbild mit dem im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess verurteilten Rudolf Höß, seiner Frau Hedwig und den fünf Kindern aus dem Jahr 1943. Foto: Institut für Zeitgeschichte/BA-19914

 Hedwig Höß, die Frau des Lagerkommandanten Rudolf Höß, lebte ab den 50er-Jahren im Landkreis. Im Staatsarchiv Ludwigsburg gibt es eine Akte über sie.

In dem mit zwei Oscars ausgezeichneten Kinofilm „The Zone of Interest“ wird Hedwig Höß, die Frau des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, von der Schauspielerin Sandra Hüller gespielt. Erzählt wird das Leben der Familie Höß in deren Haus direkt neben dem Vernichtungslager, in dem Rudolf Höß von Mai 1940 bis November 1943 für die Massentötung verantwortlich war. Höß, der seine Frau im Film als „Königin von Auschwitz“ bezeichnete, wurde 1947 hingerichtet, über das weitere Schicksal seiner Witwe, die das luxuriöse Leben in Auschwitz genossen haben soll, ist relativ wenig bekannt. Etwas Licht ins Dunkel bringt eine Akte des Staatsarchivs Ludwigsburg (EL 20/5 I Bü 727), die zeigt, dass sie zumindest zeitweilig in der Barockstadt lebte.

Akte aus aktuellem Anlass digitalisiert

„Auf die Akte sind wir erst durch eine Recherche im Zusammenhang mit dem Film beziehungsweise durch die Nachfrage einer Nutzerin aufmerksam geworden“, teilt Dr. Peter Müller, der Leiter des Staatsarchivs Ludwigsburg, auf BZ-Anfrage mit. In der Datenbank im Internet sei sie aber schon zuvor recherchierbar gewesen. „Wir haben sie dann aus aktuellem Anlass gescannt und online bereit gestellt“, so Müller. Zunächst habe man vermutet, „dass Frau Höß wie andere Ehefrauen von NS-Größen im Fraueninternierungslager in der Fromannkaserne inhaftiert war und daher die Information herrührte, dass es einen Ludwigsburgbezug gäbe“. Tatsächlich habe sie aber richtig in Ludwigsburg gewohnt.

Ziel: Aufbesserung der Witwenrente

Bekannt ist, dass Hedwig Höß, die 1908 als Hedwig Hensel geboren wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg in Norddeutschland mit ihrem ältesten Sohn verhaftet und von den Nazi-Jägern der britischen Field Security Section verhört wurde. Danach lebte sie weitgehend unbehelligt mit ihren Kindern. Wie der Ludwigsburger Akte zu entnehmen ist, war ihr Wohnort am 5. Mai 1952 noch St. Michaelisdonn in Schleswig-Holstein. Irgendwann in der Folgezeit muss sie nach Ludwigsburg umgezogen sein. Als Grund, dass der neue Wohnort in Württemberg war, nannte ihr Enkel Rainer Höß in einem Interview „Alte Nazi-Netzwerke“.

Dass es über die Frau des Auschwitz-Kommandanten, der die im Lager Ermordeten bei seiner Vernehmung zuerst auf drei, dann auf 1,1 Millionen bezifferte, überhaupt eine Akte gibt, ist vergleichsweise trivial: Hedwig Höß lebte sehr zurückgezogen, am 7. Oktober 1959 beantragte sie aber eine Bescheinigung über eine Nachversicherung nach Artikel 131 des Grundgesetzes. Dabei ging es darum, ihre Witwenrentenansprüche zu verbessern, so Archivleiter Müller. Dazu musste sie ein umfangreiches Formular ausfüllen und Angaben über sich und ihren Mann machen.

Wie ein Blick in das Dokument zeigt, gab Hedwig Höß als Geburtsort Neukirch in der Lausitz an. Als jetzigen Wohnort nannte sie die Spitzwegstraße in Ludwigsburg. Im Feld „Wohnort vor dem 8. Mai 1945“ trug sie Auschwitz ein. Ins spätere Bundesgebiet sei sie erstmals im Januar 1945 gezogen, nämlich aus Oberschlesien nach Schleswig-Holstein. Aufgezählt sind auch die Namen der fünf Kinder, für die die Mutter zu sorgen hatte.

Dienstverhältnisse des Auschwitz-Kommandanten

Zahlreiche Angaben in der Akte beziehen sich auf die Beschäftigungs- und Dienstverhältnisse ihres Mannes. So ist aufgezählt, dass dieser im Ersten Weltkrieg bei den badischen Dragonern diente, später, von 1919 bis 1921, in einem Freikorps. Höß war danach als landwirtschaftlicher Angestellter der „Arbeitsgemeinschaft Roßbach“ tätig, später gehörte er als Gruppenleiter und Landesdienstführer der Artamanen-Bewegung an. Dabei lernte er auch seine Frau kennen. Die Artamanen strebten an, in den deutschen Ostprovinzen in einer möglichst autarken Gemeinschaft zu leben. Ab 1934 machte Höß dann in der SS Karriere – wann er welchen Rang hatte, wird ebenfalls aufgelistet, sollten daraus doch die Ansprüche für die Nachversicherung abgeleitet werden.

Dem Antrag ist weiter zu entnehmen, dass Hedwig Höß für ihren Unterhalt bereits bescheidene Einnahmen aus einer Kriegsschadensrente, Waisen- und Witwenrente bezog. Zuvor war ihr in Schleswig-Holstein die Gewährung einer Kriegsrente verweigert worden. Die Kriegsschadensrente bezog sie vom Ausgleichsamt Ludwigsburg, diese betrug monatlich 74 Mark, eine Summe, die am 1. Juni 1959 auf 95 Mark erhöht wurde.

Die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein hatte ihr mit Datum vom 21. Juni 1955 eine Waisenrente für zwei ihrer Kinder gewährt. Interessant dabei: Damals war ihre Adresse noch in der Hirschbergstraße in Ludwigsburg-Eglosheim. Wie aus diesem Dokument hervorgeht, war die Rente – für jedes Kind – bereits 1952 beantragt worden und rückwirkend zu zahlen. Ab 1. Juli 1955 wurde sie auf monatlich 32 Mark festgesetzt.

Ähnlich verhielt es sich mit der Witwenrente, welche die Landesversicherungsanstalt ebenfalls 1955 gewährte und die ab 1. Juli 1955 44,90 Mark monatlich betrug.

Nicht bei Waffen-SS: Behörde lehnt Antrag ab

Bei diesen Einnahmen sollte es dann auch bleiben. Denn mit Bescheid vom Dezember 1960 teilte ihr das Regierungspräsidium Nordwürttemberg mit, dass der Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung über die Nachversicherung abgelehnt worden sei. Als Begründung wird angegeben, dass nur „berufsmäßige Angehörige der Waffen-SS“ für die Dienstzeit ab 1. Januar 1940 als nachversichert gelten würden. „Nach den amtlichen Unterlagen war Ihr verstorbener Ehemann Rudolf Höß bereits von 1935 an bis zum Zusammenbruch im Jahre 1945 ununterbrochen SS-Führer und Kommandant verschiedener Konzentrationslager (Dachau, Sachsenhausen, Auschwitz)“, schrieb die Behörde. Er habe als solcher ausschließlich dem Reichsführer SS-Stab unterstanden, also nicht dem Kommando der Waffen-SS.

Hinzugefügt wird, dass im Personalausweis von Rudolf Höß „Sonderlaufbahn Konzentrationslager“ angegeben werde. Daraus sei zu schließen, dass er nie in der Waffen-SS Wehrdienst geleistet habe. Hinzugefügt wird, dass gegen den Bescheid innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden könne – ob dies geschah, ist aus der Akte nicht ersichtlich.

1964 Aussage im Auschwitz-Prozess

Ins Licht der Öffentlichkeit gelangte Hedwig Höß, damals 57 Jahre alt, kurzzeitig vier Jahre später, als sie beim Frankfurter Auschwitz-Prozess 1964 als Zeugin befragt wurde. Es ging dabei um die Taten des Adjutanten von Rudolf Höß in Auschwitz. Dort gab sie an, in Ludwigsburg zu wohnen und keinem Beruf nachzugehen. Bei der Befragung erklärte sie, sie wisse nicht, was der Adjutant im Lager gemacht habe.

Danach wurde es wieder ruhig um die Witwe des Auschwitz-Kommandanten. Ihre letzten Jahre verbrachte sie laut einem Bericht der Berliner Zeitung in Stuttgart. Sie starb am 15. September 1989 während eines Besuchs in Arlington in der USA bei ihrer dort wohnenden Tochter. Begraben ist sie dort unter einem Grabstein ohne Namen.

 
 
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