525 Jahre Sachsenheim Aus Protest Unterführung zugenagelt

Von Martin Hein
Kein Durchgang: In der Nacht zum 13. Juli 1970 nagelten Großsachsenheimer die Bahnsteigunterführung zu, die erst wenige Tage zuvor eingeweiht worden war. ⇥ Foto: BZ-Archiv/ad

Die Annäherung zwischen Großsachsenheim und Kleinsachsenheim verlief nicht ganz reibungslos. In einer ersten Abstimmung lehnte Kleinsachsenheim den Zusammenschluss ab.

Am März 1968 hat der Landtag von Baden-Württemberg das Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleiner Gemeinden verabschiedet. Ziel dieser ambitionierten Verwaltungs- und Gebietsreform war schlichtweg auf kommunaler Ebene größere und somit effizientere Einheiten zu bilden. Mit weitreichenden Folgen für die Gemeinden.

Durch Zusammenschlüsse und Eingemeindungen sollten aus 3379 Gemeinden letztendlich 1111 Gemeinden mit mindestens 8000 Einwohnern auf Landesebene entstehen. 1967 hatte Großsachsenheim 5650 Einwohner, Kleinsachsenheim 2173. Damit erfüllten beide Kommunen mit zusammen 7823 bereits 1967 beinahe die Anforderungen für einen Zusammenschluss.

Gemeinsame Sitzung

Bei einer Bürgerversammlung im Februar 1969 in Kleinsachsenheim zeichnete sich eine engere Kooperation mit Großsachsenheim ab. Bei der Kläranlage arbeitete man bereits zusammen. Der damalige Kleinsachsenheimer Bürgermeister Karl-Heinz Lüth ließ durchblicken, dass die bisher mit Großsachsenheim gemeinsam berührenden Fragen vorzüglich gelöst worden seien. Demnächst werde auf längere Sicht ein Ereignis eintreten, bei dem man deutlich über alles Weitere reden müsse, obwohl es sich dabei keineswegs um eine Eingemeindung handele. „Zu gegebener Zeit werde man mit der Stadt Großsachsenheim deutlich sprechen, um Lösungen anzustreben, die für alle von Vorteil seien“, so Lüth. Er kam auch auf die Verlängerung der Bahnunterführung zu sprechen. Zwischen Groß- und Kleinsachsenheim müsse entschieden werden, wie weiter vorgegangen werden soll. Die Bahnunterführung sollte später noch eine gewisse Rolle spielen.

Am 31. Juli 1969 trafen sich die Gemeinderäte von Großsachsenheim und Kleinsachsenheim zu einer Sitzung und gaben einen gemeinsamen Flächennutzungsplan in Auftrag. Man wertete das damals als einen Beschluss von weitreichender Bedeutung. Inzwischen hatten beide Kommunen in der Summe über 8500 Einwohner.

Die Frage des Zusammenschlusses

Paul Roller, seit 1948 Großsachsenheimer Bürgermeister, bemerkte, dass man bei der Gelegenheit auch die Frage eines Zusammenschlusses zwischen Groß- und Kleinsachsenheim erörtern könne. Er wage dieses heiße Eisen anzufassen, da er mit Blick auf seine nahe Pensionierung keine Vorteile von einem Zusammenschluss habe. In dieser gemeinsamen Gemeinderatssitzung in Gegenwart von Regierungsdirektor Schilling wurden dann bereits die Vorteile eines Zusammenschlusses von Groß- und Kleinsachsenheim erörtert. Wörtlich sagte der Regierungsdirektor „Zwingen kann Sie niemand, da es sich um eine freiwillige Angelegenheit handelt.“ Als gemeinsame Aufgaben nannte Schilling beispielsweise die Müllabfuhr, Straßenreinigung und Abwasserbeseitigung. Zugleich warnte er jedoch davor, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Zuerst müsse die Bevölkerung vorbereitet werden.

Beide Gemeinderäte berieten am 11. Juni öffentlich über zwei Entwürfe. Dabei wurden künftige Aufgaben einer Gemeinde erörtert. Diese gemeinsame Sitzung verlief nicht in reiner Harmonie. Nachdem der Gemeinderat Adolf Pfeiffer die Ansicht des Kleinsachsenheimer Gemeinderats dargelegt hatte, erwiderte der Großsachsenheimer Gemeinderat Bayer: „Man solle doch nicht glauben, dass die Großsachsenheimer – seither ehrliche Partner – nachher plötzlich zu Gaunern würden“. Der Großsachsenheimer Bürgermeister Paul Roller ergänzte: „Wir sind doch keine Bankrottgemeinde.“ Letztendlich wurde bei dieser Sitzung die Vereinbarung über die Bildung der Stadt Sachsenheim gut geheißen, aber nicht beschlossen.

Die Bürgerbefragung

Die Bürgerbefragung am 12. Juli 1970 sollte den Ausschlag geben, lautete das Ergebnis dieser Sitzung. Die von beiden Seiten lang ersehnte, neue Bahnunterführung auf dem Großsachsenheimer Bahnhof wurde am 10. Juli von der Deutschen Bundesbahn im Beisein der Bürgermeister Roller und Lüth eingeweiht. Bundesbahnoberrat Goldenbaum sah in diesem Weg, der den trennenden Bahndamm überwand, ein Symbol für das Zusammenwachsen der Kommunen.

Am 12. Juli 1970 stimmten die Bürger bei der Bürgerbefragung über die Eingemeindung ab. Mit folgendem Ergebnis: In Großsachsenheimer waren 3644 Personen stimmberechtigt. 1907 gültige Stimmen wurden abgegeben. 90,57 Prozent stimmten für den Zusammenschluss. In Kleinsachsenheim waren 1435 Bürger stimmberechtigt. 1147 gaben ihre Stimme ab. Davon lehnten 59 Prozent den Zusammenschluss mit Großsachsenheim ab. Zunächst herrschte angesichts der Kleinsachsenheimer Ablehnung Ratlosigkeit.

Legendäre Aktion

Diese Ablehnung nahmen scheinbar einige Bürger in Großsachsenheim persönlich und starteten eine bis heute „legendäre“ Aktion. In der Nacht nach der Wahl machten sich etliche handwerklich versierte und vom Kleinsachsenheimer Abstimmungsergebnis enttäuschte Großsachsenheimer ans Werk: Sie vernagelten kurzerhand die erst wenige Tage zuvor eingeweihte Bahnunterführung und versahen diese Durchgangssperre mit einem Schild „Kein Durchgang für Kleinsachsenheimer“.

Info: Wie sich Klein- und Großsachsenheim trotzdem zusammengefunden haben, schildert der nächste Teil unserer Miniserie.

 
 
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