Abtreibung: Kreis Ludwigsburg droht Versorgungsdefizit Ärzte schweigen, weil sie Konsequenzen befürchten

Von Heidi Vogelhuber
ARCHIV - 15.12.2021, Baden-Württemberg, Crailsheim: Broschüre einer Schwangerschaftsberatung stecken in einem Display. (zu dpa: «Immer mehr Schwangere suchen Hilfe in der Konfliktberatung») Foto: Marijan Murat/dpa dpa-Bildfunk Foto: Marijan Murat

Wegen des Paragrafen 219a führen immer weniger Ärzte Abtreibungen durch oder informieren darüber. Experten halten das für gefährlich. Es droht eine Versorgungslücke auf diesem Gebiet.

Als „unhaltbaren Rechtszustand“ bezeichnete Justizminister Marco Buschmann (FDP) vor Kurzem den Paragraf 219a im Strafgesetzbuch, der Werbung für Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt. Als „Werbung“ gilt dabei auch, wenn Ärzte und Ärztinnen über Methoden informieren, die sie zur Abtreibung anbieten. Die Ampel-Koalition möchte den Paragrafen abschaffen, bisherige Versuche waren nur mäßig erfolgreich. Seit einer Gesetzesänderung 2019 dürfen Praxen zwar darüber informieren, dass sie Abtreibungen durchführen – Informationen über das Wie sind aber noch immer verboten.

Kriminalisierung von Infos

Beim Versuch der BZ im Landkreis Ludwigsburg und der Region Stuttgart bei Gynäkologen sowie Fach-Kliniken und übergeordneten Stellen Stimmen einzuholen, zeigte sich, welche Konsequenzen die Kriminalisierung der Informationsvermittlung hat. Gerne wollte man über das Thema und das Fehlen von öffentlich zugänglichen Informationen rund um den medizinischen Eingriff sprechen, aber man stehe unter Beobachtung. Wie man zur in Aussicht gestellten Abschaffung des Paragrafen stehe? Das könne man öffentlich nicht sagen. Alles werde als Werbung ausgelegt, es gebe Leute, die nur auf einen Fehltritt warten. Zu groß die Angst vor Repressionen.

„Sachliche Information ist keine Werbung“, sagt Petra Baumann von der Beratungsstelle pro familia Ludwigsburg. Der Paragraf schränke die ärztliche Berufsfreiheit ein. Die Diplom-Pädagogin berät seit über 25 Jahren Schwangere in der Beratungsstelle, die es seit 1973 in Ludwigsburg gibt. Die Entscheidung über Austragen oder Abbruch einer ungeplanten Schwangerschaft sei für jede Frau eine emotionale Belastung und werde nie leichtfertig getroffen.

Ähnlicher Ansicht ist auch Alexander Schmid, der Geschäftsführers der AOK Ludwigsburg-Rems-Murr: „Aus medizinischer Sicht ist es grundsätzlich zu befürworten, dass valide medizinische Informationen immer niederschwellig für Betroffene verfügbar und gut verständlich sind.“ Eine sachliche Darstellung der Verfahren, inklusive möglicher Risiken und Folgen, könne die informierte Entscheidung nur fördern, sagt er.

Eine Abtreibung ist darüber hinaus durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt. Überlegt eine Frau einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, ist sie gesetzlich dazu verpflichtet, sich in einer offiziellen Beratungsstelle – beispielsweise beim Verein pro familia oder auch bei der Diakonie – aufklären zu lassen. Dabei würde auch über soziale, finanzielle, gesundheitliche Aspekte gesprochen. In der Beratungsstelle würden Möglichkeiten aufgezeigt, das Kind zu behalten. Aber das Gespräch sei ergebnisoffen. Wenn sich die Frau für den Abbruch entscheide, werde das respektiert. Nach der Beratung wird ein Schein ausgestellt, der eine Abtreibung gesetzlich ermöglicht, sofern drei Tage zwischen Beratung und Eingriff verstrichen sind. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland verboten, aber bis Ende der zwölften Woche straffrei.

Was sich ändern würde, wenn das sogenannte Werbeverbot abgeschafft würde? „Es würde sich nichts ändern. Außer, dass das ersatzlose Streichen das Recht auf Information für ungewollt schwangere Frauen und Paare stärken und die Kriminalisierung der Mediziner beenden würde“, so Baumann. Einen Anstieg an Abtreibungen schließt sie aus.

Informierte Entscheidung fällen

Sachliche und niederschwellig zugängliche Informationen seien Voraussetzung, „um eine informierte Entscheidung treffen und die bestmögliche medizinische Versorgung in Anspruch nehmen zu können.“ Ein Schwangerschaftsabbruch ist im Kreis in wenigen Praxen möglich. Bundesweit gebe es bereits „ernstzunehmende Hinweise auf medizinische Versorgungsdefizite auf diesem Gebiet“, warnt Baumann. Es seien nur noch Idealisten, die Abbrüche durchführen, und sie finden nur schwer Nachfolger. Die mangelnde medizinische Versorgung reduziere keineswegs die Anzahl der Abbrüche, sondern gefährde die Gesundheit von Frauen. „Es ist eine Schande, dass man über dieses wichtige Thema – für Frauen und Männer – nicht reden kann“, sagte eine Person im Telefonat mit der BZ.

„Wenn Ärzte online auflisten können, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Methoden sie Abbrüche anbieten, können sich Frauen rasch und vollständig informieren“, erklärt Baumann. So bliebe in der Beratung mehr Zeit für inhaltliche Fragen. Denn der Wissensstand sei teilweise erschreckend. „Abbrüche verhindert man nicht, indem man den Zugang zu Informationen erschwert. Man sollte für die Frauen und Paare eher Lebensperspektiven schaffen“, sagt Baumann. Denn die Zeitspanne, in der eine Entscheidung getroffen werden muss, ist kurz und trotzdem sollte jede Seite betrachtet werden. „Wer hofft, Frauen durch Vorenthalten von Informationen von einem Schwangerschaftsabbruch abzuhalten, der spricht ihnen jegliche Verantwortungs- und Entscheidungsfähigkeit ab“, so Baumann.

 
 
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