Schon im Jahr 1950 stellte der britische Wissenschaftler Alan Turing die Frage: Können Maschinen denken? Einige Jahre später, 1955, beantragten vier Wissenschaftler am Dartmouth College in New Hampshire die Bewilligung einer Studie über Künstliche Intelligenz. Dabei nahmen Sie an, dass jeder Aspekt menschlichen Lernens und jedes Merkmal der Intelligenz so genau beschrieben werden könne, dass eine Maschine ihn simulieren kann. Gemeinhin gilt diese Studie heute als Geburtsstunde der Künstlichen Intelligenz.
Akademietage ChatGPT als „Bertha-Benz-Moment“
Wie KI-Anwendungen den Alltag bereichern können und welchen Mehrwert sie für die Wissensgesellschaft bieten, berichtete Reinhard Karger auf den diesjährigen Akademietagen.
Eigentlich ist KI daher kein neues Thema. Ihren „Bertha-Benz-Moment“ habe die Technologie allerdings erst mit der Veröffentlichung der Anwendung ChatGPT im November 2022 gehabt, sagt Reinhard Karger. Er ist Unternehmenssprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken und war am Mittwoch zu Gast in Bietigheim-Bissingen, um auf den Akademietagen der Schiller VHS zu referieren. Das Thema: generative KI als Werkzeug für die Wissensgesellschaft.
Zunächst eröffnete Oberbürgermeister Jürgen Kessing die diesjährigen Akademietage, die unter dem Motto „KI-Revolution – Die Zukunft ist schon da“ stehen. Er versicherte den Zuhörern im voll besetzten Großen Saal des Kronenzentrums, er sei auch tatsächlich persönlich anwesend. Ob das, angesichts fortschreitender Technologie, auch in Zukunft noch die Regel sein werde sei ungewiss, auch wenn er das persönliche Gespräch präferiere. Das Team der VHS lobte er dafür, Jahr für Jahr zeitgemäße, aktuelle Themen zu setzen. Dieses Jahr sei dabei keine Ausnahme.
Parallelen zum Automobil
Warum nun aber war die Einführung ChatGPTs der „Bertha-Benz-Moment“ der Künstlichen Intelligenz? Karger erklärt, es sei erst die berühmte Fernfahrt nach Pforzheim gewesen, die als Werbemaßnahme den Grundstein für den Erfolg des, damals schon einige Jahre existierenden, Automobils gelegt habe. Im Anschluss musste die Nutzung des Automobils international geregelt werden, ein Prozess, der für die Künstliche Intelligenz derzeit im Gange sei. Karger zeigte auf, dass die privaten Investitionen in die Zukunftstechnologie zwischen 2013 und 2022 in den USA rund 250 Milliarden US-Dollar betrugen. Deutschland rangiere lediglich auf dem siebten Platz mit knapp sieben Milliarden US-Dollar.
Man könne demnach die Frage stellen: Verliert Deutschland die Zukunft? Nicht, wenn es nach Karger geht. So führte der studierte Linguist etwa das Kölner Unternehmen DeepL als Paradebeispiel Deutscher KI-Innovationskraft an. Die Firma hat sich mit maschineller Textübersetzung einen Namen gemacht. Man müsse bedenken, dass Maschinen, anders als Menschen, die Bedeutung einer Aussage gar nicht verstehen, sagt Karger. „Erstaunlich ist, dass das offensichtlich nicht nötig ist. Die Qualität ist trotzdem gut.“ Dennoch warne er davor Ergebnisse ungeprüft zu übernehmen: „Das wäre leichtsinnig.“ So könne sich trotz guter Qualität immer ein Fehler einschleichen, der den Sinn des Textes verändere.
Weiter lobte er DeepL Write, ein Programm, das dafür ausgelegt ist, Texte zu verbessern, indem etwa Wörter ausgetauscht werden oder die Satzstruktur verändert wird. Ebenfalls positiv sei die Heidelberger Firma AlephAlpha hervorzuheben, die mit ihrem Sprachmodell etwa das Potenzial biete, Abläufe in der Stadtverwaltung zu beschleunigen.
Zeitersparnis im Alltag
Weitere Anwendungsbeispiele, die den Alltag erleichtern können, sieht Karger etwa in der Objekt- und Texterkennung in Betriebssystemen von Apple-Produkten. So demonstrierte er, wie man in der Fotogalerie nach Wörtern suchen kann und daraufhin Bilder, die den Suchbegriff als Objekt oder als Text im Bild enthalten, angezeigt bekommt. Dabei müsse man nicht einmal mit dem Internet verbunden sein. Der Prozess finde vollständig auf dem Endgerät statt. So werde auch die Privatsphäre gewahrt. „Fotografieren wird plötzlich sinnvoll, weil man alles findet“, so Karger.
Im weiteren Verlauf seines Vortrags zeigte Karger Potenziale von ChatGPT auf, betonte jedoch auch dessen Fehleranfälligkeit. Es gehe ihm nicht darum, das Programm zu verteufeln, man müsse aber verstehen es als Werkzeug einzusetzen. Die Zuhörer forderte er auf, es einmal auszuprobieren. Doch: „Man darf sich nicht von der Sprachlichkeit blenden lassen.“ Laut OpenAI, dem Unternehmen hinter ChatGPT, komme das neueste Modell bei wissenschaftlichen Themen auf eine Genauigkeit von rund 80 Prozent. Karger ordnet ein: „Das ist eine wirkliche Leistung, aber nicht die Lösung des Problems.“