Ernst Ulrich von Weizsäcker in Bietigheim-Bissingen „Wir leben in einer Jetzt-Besoffenheit“

Von Jonathan Lung
Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker sprach vor den Schülern des Beruflichen Schulzentrums in Bietigheim-Bissingen über Umwelt- und Klimaschutz. Foto: /Martin Kalb

Ernst Ulrich von Weizsäcker sprach im Beruflichen Schulzentrum Bietigheim vor der Generation, die den Klimawandel spüren wird. 

Man lebe in einer „Jetzt-Besoffenheit“, sagte Ernst Ulrich von Weizsäcker den Schülern gleich zu Beginn auf den Kopf zu: Soziale Medien führten dazu, dass man immer nur an das unmittelbare Jetzt denke – und nicht langfristig, weit in die Zukunft. Das sei eine Verengung, eine Einschränkung, des Denkens.

Mit klaren Worten fuhr der „Politiker, Wissenschaftler, Aktivist“, wie ihn der Direktor des Beruflichen Schulzentrums, Stefan Ranzinger, einleitend betitelte, in seinem Vortrag fort, den er am vergangenen Mittwoch vor den Klassen elf und zwölf hielt. Er ist Professor, Umweltwissenschaftler, Mitglied des Club of Rome und war Bundestagsabgeordneter.

Deutschland brauche eine Klima-Außenpolitik

Man brauche, so seine Kernthese, für erfolgreichen Umweltschutz nicht weniger als eine völlig neue Art des Denkens: Früher, vor der Moderne, habe der Mensch in einer „vollen Welt“ gelebt, der Mensch war nur eines von vielen Lebewesen. Heute machen 97 Prozent des Körpergewichts auf dem Festland der Erde der Mensch und seine Schlachttiere aus – für alle andere Arten bleiben 3 Prozent. Man lebe im Anthropozän, dem Zeitalter, in dem der Mensch alles kontrolliere, in einer „leeren Welt“: „Wir haben die ökologische Vielfalt bereits kaputtgemacht“, so Weizsäcker.

Im Wahlkampf habe er viele gute Vorschläge zum Klimaschutz gehört: Solaranlagen, Elektroautos – das greife aber alles viel zu kurz, denn 98 Prozent der Emissionen stammen nicht aus Deutschland: Man brauche eine „Klima-Außenpolitik“.

Die reichsten Nationen sind die emissionsreichsten

Wirtschaftswachstum, das zeigten Grafiken, bedeutet CO2-Ausstoß, die reichsten Nationen sind die emissionsreichsten. Mehr Wachstum bedeute, „mehr Klima kaputt“, stellte Weizsäcker klar, und schlussfolgerte: „Wir wollen keinen Klimaschutz“, zumindest mit der aktuellen Prämisse von kontinuierlich wachsenden Volkswirtschaften.

Das führte ihn zum Budgetansatz, denn „nur wenn wir reicher werden, wenn wir Klimaschutz machen, schaffen wir es“. Der Budget- oder auch Lizenzhandel sieht Abkommen mit Ländern wie beispielsweise Indien vor, durch die diese Geld für umweltfreundliche Energiegewinnung bekommen.

Die Solarenergie habe gezeigt, dass einst teure Neuerungen erschwinglich werden, wenn nur genug mitmachen: Einst unerschwinglich, ist Solarenergie heute günstiger als Atomstrom. Viel sei auch durch Recycling möglich. 45 Prozent des Klimaschutzes ist Stoff- und Produktpolitik. Fünffache Effizienz sei möglich, was die Rohstoffnutzung angeht – die meisten Metalle hätten aktuell eine Recyclingrate von unter einem Prozent. Das würde aber mit der Realität der Wegwerfgesellschaft brechen: „200 Jahre lang haben wir an der Verbilligung der Ressourcen gearbeitet.“

Ein Umdenken in allen Bereichen sei also notwendig – und deswegen fordert der Professor eine insgesamt neue Aufklärung: Eine „auf Geiz und Eile fußende Wirtschaft zerstört unser gemeinsames Haus“ zitierte er niemand geringeren als den Papst.

 
 
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