Besigheim Strahlen huschen über die Kirchenwand

Von Susanne Yvette Walter
In der Besigheimer Stadtkirche wurde es am Wochenende bunt. Geboten wurde ein audiovisuelles Lichtspiel. Foto: /Oliver Bürkle

 „Hell-Dunkel“: eine audiovisuelle Raumverwandlung in der Besigheimer Stadtkirche.

Das erlebt die Besigheimer Stadtkirche selten: eine Performance aus Licht und Klang. Lichtkünstler Laurenz Theinert aus Stuttgart und Organist Klaus Weber aus Ludwigsburg haben dort das Gesamtkunstwerk „Hell-Dunkel“ mit Magnetwirkung am Sonntagabend veranstaltet. Es schien, als würden die Besucher magisch angezogen vom Neuen, von der einzigartigen Verbindung, die die beiden Künstler für kurze Zeit miteinander eingingen. Beide schalten von der Empore aus mit Blickkontakt.

Während Organist Klaus Weber sich ganz in den Klängen von Johann Sebastian Bach, Axel Ruoff, Philipp Glas, Sofia Gubaidulina und seinen eigenen Kompositionen hingibt, gestaltet Laurenz Theinert mit seinem Licht-Piano eine 360 Grad Lichtershow, die einmalig in Verbindung zum Klang einen freien Raum für die eigene Gedankenwelt des Zuschauers freigibt. „In meiner Kunst geht es um Freiheit von Bedeutung, Meinung und Botschaften. Die Arbeiten stellen Fragen, geben keine Antworten, sie sind Ausdruck von Ahnungen und Prozessen. Das Bekannte wird verwandelt und öffnet so den Raum für das Unausgesprochene“, sagt Theinert selbst über seine Arbeit.

Architektur wird zur Leinwand

Die Architektur, egal ob wie hier das alte Kirchenschiff oder ein Steinbruch, wird zur Leinwand für Linien aus Licht. Muster in verschiedenen Farben entstanden mit einem Knopfdruck und überraschten den Zuschauer immer wieder neu. Punkte, die zum Beispiel an ein Schneegestöber denken lassen, tanzten über die Wände. Man schaute ihnen gedankenverloren nach und ließ alles auf sich wirken, anstatt sich einen Reim darauf machen zu wollen.

Genau da lag die Kraft dieser Performance: Zwischen Musik und Licht entstand ein eigener Raum, den jeder Zuschauer individuell erlebte. Es war vielleicht der Raum seiner Gedanken und Gefühle, die sich hier widerspiegelten. Manche saßen über die eineinhalb Stunden dauernde Begegnung zwischen Licht und Klang ganz ruhig da. Andere drehten die Köpfe, immer auf der Jagd nach neuen Impressionen. Die Musik von Johann Sebastian Bach mit ihrer dicht gewebten polyfonen Struktur eignete sich hervorragend für das Parallel-Entstehen von Linien, die zackig sind und dem Notenbild oft ähneln. Verband man gedanklich die Notenköpfe, entstanden ähnliche Muster. Drei Choralvorpiele aus dem Orgelbüchlein von Bach weckten Gedanken an einen vorösterlichen Kontext.

Axel Ruoff ist ein zeitgenössischer Komponist aus Stuttgart, wo er Komposition studierte. Er, Philipp Glass und die russische Künstlerin Sofia Gubaidulina verbindet der freitonale Tonraum, der Horizonte öffnet und die beiden Künstler zu eigener künstlerischer Freiheit anregt. Hier fand Theinert gesetzlose Klangräume, die ihn inspirierten. Er zeichnete das Leben des Menschen nach, begann langsam und ruhig aus einer entfernten Welt kommend, wurde im Mittelteil hell und schrill, um am Ende wieder langsam abzutauchen in unbekannte Gefilde. Mit seinen Mustern und bewegten Bildern, mit Linien und Farbtropfen zeichnete Laurenz Theinert nach, was Ruoff vertont hat. Die Kontrastwelt zwischen hell und dunkel reizte die über 90-jährige russische Komponistin Sofia Gubaidulina aus. Die Spannung zwischen den Extremen ließ sich ebenfalls abbilden und wurde damit sogar noch verstärkt.

Wiederholende Motive

Organist Klaus Weber unterlegte die Performance auch mit Eigenkompositionen. Manchmal wiederholten sich Motive, wie im minimalistisch-seriellen Kompositionsstil üblich, minutenlang. Melodien rieben irgendwann an den Nervenbahnen der Zuhörer in ihrer freien Atonalität. Lichter bildeten parallel fast grell diesen Prozess ab. Nur Einstieg und Ende ihrer Performance hielten beide Künstler im Einvernehmen im meditativen Duktus. Minuten vergingen, bis beim Intro irgendwann der erste Lichtstrahl von der Wand herab grüßte. Plastiken an der Kirchenwand flackerten wie kurze Reminiszenzen auf. Das Gotteshaus wurde zum Bild-Tonraum, der alle erreichte. Laurenz Theinert nutzte aber auch Techno zur Untermalung seiner Lichtershows. Er ist in vielen Ländern unterwegs mit seinem künstlerischen Nischenprodukt und verbandelt sich immer wieder neu mit Musikern aus aller Welt.

Wie befreit von dem Zwang, sich ein „Bildnis machen zu müssen“ oder etwas herauslesen und als Ergebnis auswerten zu müssen, applaudierte das Publikum begeistert minutenlang und feierte die beiden Künstler, die klangliche und visuelle Aphorismen entstehen ließen.

 Susanne Yvette Walter

 
 
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