Bietigheim-Bissingen Bitte um Weihnachtsgaben für die Armen

Von Uwe Mollenkopf
Anzeigen im Enz- und Metterboten vom 12. Dezember 1923. Es gibt Geschenktipps fürs Fest, von Likör über Haaröl bis zu Gummisohlen. Der Turnverein Bietigheim kündigt seine Weihnachtsfeier an, auf die Währungskrise in diesem Jahr weist eine Anzeige der Gewerbebank Bietigheim hin. Foto: Uwe Mollenkopf

Vor 100 Jahren, im Inflationsjahr 1923, hoffte man zum Jahreswechsel auf die positiven Wirkungen der Währungsreform. Im Enz- und Metterboten ging es neben Geschenktipps aber immer auch ums Geld.

Vor 100 Jahren ging für die Menschen in Deutschland ein in wirtschaftlicher Hinsicht absolutes Katastrophenjahr mit einer Hyperinflation zu Ende. Erst Mitte Oktober 1923 wurde die Rückkehr zu einer stabilen Währung durch eine Währungsreform eingeleitet. Ab 15. November wurde die Rentenmark als neues Zahlungsmittel ausgegeben, der Wechselkurs betrug eine Rentenmark zu einer Billion Papiermark. Wie gestaltete sich damals die Weihnachtszeit, in einer Situation, in der zwar neue Stabilität sichtbar wurde, aber Vermögen durch die Inflation vernichtet worden waren? Ein Blick in die damaligen Ausgaben des Enz- und Metterboten.

Dörrobst und Mehl willkommen

Dass die Krise noch lange nicht abgehakt war, ist etwa aus einer Anzeige des „Armen- und Frauen-Vereins“ am 7. Dezember 1923 zu ersehen, in der in Bietigheim um „Weihnachtsgaben“ für die Armen, Kranken und Verlassenen gebeten wird. Auch der Stadtpfarrer warb um Gaben für den Kindergottesdienst am 23. Dezember. Besonders willkommen seien Mehl, Dörrobst und frisches Obst.

In einer Meldung in derselben Ausgabe wird festgestellt, dass sich die Wirtschaftskrise in Bietigheim auch in einem Anwachsen der Arbeitslosen zeige. „Die Stadtgemeinde hat hinsichtlich der Fürsorge enorme Aufwendungen zu machen.“ Tatsächlich beschloss der Bietigheimer Gemeinderat am 14. Dezember eine Weihnachtsbeihilfe für Erwerbslose. Verheiratete sollten 50 Mark, Ledige 30 Mark erhalten.

Vor Wucher sollten Preisprüfungsstellen schützen, die nach einer Verfügung des Arbeits- und Ernährungsministeriums vom 29. November vor Ort eingerichtet werden sollten. Die Bedeutung des Themas Geld zeigen Anzeigen der Gewerbebank Bietigheim, in der diese angibt, in der Lage zu sein, „auch Papiermark bis zu einem gewissen Umfang auf Rentenmarkkonto gutzuscheiben“.

Zu erfahren ist am 17. Dezember von einem „Hamsterunwesen“, das etwa dazu führte, dass die Milch knapp wurde. Eine Anzeige der Hamburg-Amerika-Linie der Hapag könnte ein Hinweis darauf sein, dass etliche damals auch ans Auswandern dachten. Was die Versorgung der Bevölkerung angeht, wird aber auch eine deutliche Verbesserung nach der Währungsreform sichtbar. Anzeigen informierten über neu eingetroffenes Brennholz wie auch von Hosen. Immer noch wurde auch getauscht: Ein Inserent bot Legehühner gegen gut erhaltenes Linoleum an.

Wer seinen Angehörigen Textilwaren zu Weihnachten schenken wollte, wurde bei Textilwaren Franz Becher in Bietigheim fündig. Ein Kinderkittel war ab 90 Pfennig zu haben, Herren- und Damenwesten ab 5,90 Mark. Bäckermeister Wilhelm Reichert verkaufte ein Pfund Weißmehl für 21 Pfennige, und Winter-Schnallenstiefel waren – als Sonderangebot – für 4 Goldmark zu haben. Der Gaspreis betrug mit Stand vom 7. Dezember 25 Goldpfennig pro Kubikmeter.

Haaröl und Gummisohlen

Auch der Christbaumverkauf war angelaufen, wie aus den Anzeigen zu entnehmen ist, und es gab Geschenktipps fürs Fest. Diese reichten etwa in der Ausgabe des Enz- und Metterboten vom 12. Dezember von Likör über Haaröl und Büchern bis hin zu Gummisohlen.

Vereinsfeiern wurden angekündigt, so beabsichtigte etwa der Turnverein Bietigheim am Sonntag, 16. Dezember, eine Weihnachtsfeier abzuhalten. Der Liederkranz Bissingen bot am 22. Dezember eine Weihnachtsunterhaltung an.

Die Anzeigen preisen Spielwaren, Christbaumschmuck und Backwaren an, um für Weihnachten gerüstet zu sein. Im Lichtspielhaus Bietigheim lief „Der Mann mit der eisernen Maske“.

Milliardenscheine einlösen

Gleichwohl war die Geldfrage nicht aus der Welt. In einer Meldung mit dem Datum 21. Dezember, drei Tage vor Heiligabend, machte der Enz- und Metterbote seine Leser darauf aufmerksam, dass ein großer Teil auswärtiger „Stadt- und Notgelder“ zur Einlösung aufgerufen seien. Die Milliardenscheine würden sonst wertlos. In Ludwigsburg war die Frist zur Einlösung recht kurz, was kritisiert wurde, in Bietigheim lief sie noch bis 15. Januar 1924.

Vom Weihnachtsfest selbst wird in der Zeitung nicht viel berichtet. Wenige Tage später, am 28. Dezember, ging es schon wieder ums Geld. Angekündigt wurde ein Kurs für Verantwortliche aus Verwaltung und Wirtschaft über Währungsfragen, der in Bietigheim am 29. Dezember stattfand.

Anzeigen für den Verkauf von Böllern für den Jahreswechsel sucht man vergeblich. Am 2. Januar 1924 wird in der Zeitung Bilanz gezogen: „Die Sylvesternacht ist heuer ruhiger verlaufen als sonst, nur ab und zu zeigte ein Pistolenschuß ein neues, hoffentlich segensreicheres Jahr als das letzte, das nur Verarmung brachte, an.“

 
 
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