Bietigheim-Bissingen „Die beste aller Welten“

Von Tabita Prochnau
Janika Binder (links), „KisEl“-Koordinatorin des Kreisdiakonieverbands Ludwigsburg, und Lisa Hecker von der Jugend-und Drogenberatung „chillOUT“ präsentierten den Film „Das Beste aller Welten“ und beantworteten Fragen bei der anschließenden Gesprächsrunde.⇥ Foto: Martin Kalb

Janika Binder und Lisa Hecker arbeiten mit Kindern suchtkranker Eltern und sind in der Jugenddrogenberatung tätig. Bei „Kino & Kirche“ erzählten sie von ihrer Arbeit.

Dass dieser Film den Titel ‚Die beste aller Welten‘ trägt, scheint schon fast ein bisschen zynisch“, begrüßt Christian Turrey, Ansprechpartner der Veranstaltungsreihe „Kino & Kirche“, das Publikum. Dreimal wurde der Spielfilm „Die beste aller Welten“ von „Kino & Kirche“ der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden Bietigheim-Bissingen im Bissinger Olympia-Kino am Mittwoch gezeigt. Die Vorstellungen waren jeweils gut besucht, wie Turrey berichtet.

Regisseur Adrian Goiginger hat in seinem Film „Die beste aller Welten“ seine eigene Kindheit verarbeitet. Er erlebte eine Mutter, die alles daran setzte, ihm trotz ihrer Sucht eine gute Kindheit zu ermöglichen und ihm die bestmöglichste Mutter zu sein. Gewidmet ist der Film Goigingers Mutter, die 2012 im Alter von 38 Jahren, nachdem sie jahrelang clean war, an Krebs verstarb. Goigingers Stiefvater, Günter Goiginger, stand für den Film beratend zur Seite, nachdem dieser ebenfalls seine Sucht überwinden konnte und sich seither für die Hilfe suchtkranker Menschen engagiert.

Im Film wächst der siebenjährige Adrian in einem extremen Umfeld eines Salzburger Vororts auf. Seine Mutter, ihr Lebensgefährte und deren Freundesgruppe sind allesamt heroinsüchtig. Gepaart mit dem Dilemma, der Sucht einerseits entkommen zu wollen und gleichzeitig das Suchtmittel nicht aufgeben zu können, zeigt der Film die liebevolle Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Sohn in einer entsetzlichen Situation.

Immer wieder flüchtet sich Adrian im Film in eine Traumwelt, in der er als erwachsener Abenteurer einen Dämon bezwingen muss. Eine Parallele zu der Realität, in der der Junge mit der Sucht seiner Mutter konfrontiert wird. Schließlich gelingt es Adrian, beide Dämonen zu besiegen.

„Es ist faszinierend und erschreckend zugleich“, äußert sich eine Besucherin über den Film. In der Gesprächsrunde nach der Filmvorstellung meint Janika Binder, Projektkoordinatorin von „Kinder suchtkranker Eltern“ (KisEl) des Kreisdiakonieverbands Ludwigsburg: „Kinder verstehen schon ganz früh, dass etwas anders ist, dass etwas nicht stimmt. Sie finden aber oft keine Sprache dafür, wie sie die Suchterkrankung ihrer Eltern ausdrücken können. Das sieht man auch im Film. In unserer Arbeit versuchen wir den Kindern zu zeigen, dass sie nicht schuld an der Situation sind“.

Zum Kern des Films meint Lisa Hecker, Ansprechpartnerin der Jugend- und Drogenberatungsstelle „chillOUT“, ein Kooperationsprojekt der Diakonie und der Caritas im Landkreis Ludwigsburg: „Der Zwiespalt zwischen der engen Bindung von Mutter und Sohn, und der Drogensucht, ist deutlich zu sehen. Im Film wird gut dargestellt, dass auch eine süchtige Mutter eine gute Mutter sein kann“. Anders sieht es eine Besucherin: „Das ist schon eher eine Ausnahme, dass diese Frau wie eine Löwin für ihr Kind kämpft und sorgt“. Binder und Hecker beteuern, dass dieser Fall durchaus der Realität entspreche.

Wichtig sind Bezugspersonen

Um das Wohl der Kinder suchtkranker Eltern sorgt sich eine weitere Besucherin. Sie fragt sich, wie lange diese Kinder in einem solchen Umfeld leben können und dort sicher sind. „Tatsächlich ist es der letzte Schritt des Jugendamtes, das Kind aus der Familie zu nehmen“, entgegnet Binder. „Wichtig ist es, dass die Kinder eine Bezugsperson haben“. Das können, anders wie im Film, auch Großeltern, weitere Verwandte, Schulsozialarbeiter oder Pädagogen sein. „Für Kinder suchtkranker Eltern ist es sehr schwer, die Situation auszuhalten. Es gibt kein Zeitlimit, wie lang das gutgeht“, so Binder.

Erst durch die Zuspitzung, die Katastrophe, bei der Adrian durch eine Vergiftung mit Opium beinahe stirbt, wird Rettung für alle Beteiligten möglich, stellten die Besucher der Filmvorstellung fest. Binder meint dazu: „Hilfe nimmt man erst an, wenn man am Boden ist“.

Eine Kritik übt Binder am Film: „Was nicht wirklich gezeigt wird, ist die hohe Rückfallquote. Es ist aber wichtig, dass die Kinder verstehen, dass Rückfälle ehemaliger suchtkranker Eltern normal sind und zum Heilungsprozess dazu gehören“. Hecker und Binder erläutern, dass etwa ein Drittel der Kinder später selbst abhängig wird, ein Drittel in eine Co-Abhängigkeit verfällt und nur ein Drittel verschont bleibt.

„Ich habe im Film ein bisschen die Gewalt vermisst, die bei Suchtkranken durchaus vorkommt. Es war alles ein bisschen charmebesetzt. Als Therapeut weiß ich zudem, dass eine Suchterkrankung von außen nicht sichtbar ist. So werden, im Gegensatz zum Film, keine Freunde mit nach Hause gebracht“, äußert sich ein Besucher.

Im Vergleich zu der Situation in der österreichischen Vorstadt, sei Sucht auch hier in der Gegend ein Problem. „Sucht ist multifaktoriell“, meint Hecker. „Auch in Kleinstädten gibt es Milieus“, so Binder. Allerdings ist es sehr schwer, die Kinder zu erreichen“, beteuert Binder. „Wir haben es noch nie erlebt, dass ein Kind von sich aus auf die Beratungsstellen zuging. Deshalb sind Kooperationen mit Schulsozialarbeiter sehr wichtig“. Letztlich meint Janika Binder: „Jeder von uns ist gefragt, Warnsignale zu erkennen und zu bemerken“.

Das komplette Programm zu „Kino & Kirche“ gibt es online.

www.kino-und-kirche.de

 
 
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