Bietigheimer Tag Durch die Krise hindurch zur Zuversicht

Von Jonathan Lung
103 Jahre Bietigheimer Tag (1921 bis 2024) mit dem diesjährigen Thema „ Leben in und mit Krisen“ (von links): Pfarrer Bernhard Ritter, Dr. Jürgen Knieling( ärztlicher Direktor Krankenhaus Bietigheim), OB Jürgen Kessing, Prälatin Gabriele Arnold, das Bewirtungsteam Team N Ellental Gymnasium, Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter , Andrea Glück (Polizeipräsidium Ludwigsburg), Thomas Reusch-Frey. Foto: /Oliver Bürkle

Nach dem Gottesdienst wurde bei der Podiumsdiskussion das Thema „Gesellschaft zwischen Resignation, Aggression und Zuversicht“ erörtert.

Wie kann man als Gesellschaft mit Krisen umgehen? Dieses Thema stand auch am zweiten Tag des Bietigheimer Tags auf der Agenda, nachdem schon am Samstag ein thematischer Impuls gegeben wurde. Der Sonntag begann mit dem Gottesdienst in der Stadtkirche, an den sich direkt ein Vortrag von der Bundestagsabgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter, SPD, anschloss.

Hinter den demokratischen Errungenschaften Deutschlands, so die Bundestagsabgeordnete, stehen Erfahrungen des Scheiterns. Die Verbrechen von Ausschwitz begannen nicht dort, im Lager, sondern damit, dass bestimmte Gruppen die Demokratie ablehnten. Geschichte wiederhole sich nicht – aber sie sehe heute doch ähnlich aus. „Die wichtigste Lehre aus der Diktatur ist unser Grundgesetz“, stellte sie im 75. Jubiläumsjahr des Werks klar. Zuversichtlich machen sie die vielen Proteste der letzten Wochen für Demokratie und Vielfalt. Angesichts der vielen Krisen sei es auch verständlich, zu resignieren. „Je komplexer die Entscheidungen, desto unverständlicher erscheint die Politik“, gab sie zu. Kein Verständnis dürfe man aber aufbringen, wenn Teile der Gesellschaft „Resignation in Aggression übersetzen“.

Schwarzelühr-Sutter saß dann auch wenig später auf der Bühne des Gemeindehauses. Mit ihr waren Prälatin Gabriele Arnold und Andrea Glück, Referentin für Kriminalprävention im Polizeipräsidium Ludwigsburg sowie Jürgen Knieling, ärztlicher Direktor an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Krankenhaus Bietigheim zur Podiumsdiskussion des Bietigheimer Tags eingeladen worden.

Für eine reiche Bewirtung sorgte dort das „Team N“, wobei das N für Nachhaltigkeit steht. Die Schüler der Ellental-Gymnasien engagieren sich in der Nachhaltigkeitsgruppe und servierten einen Imbiss aus Lebensmitteln, die nicht verdorben waren, aber sonst doch auf dem Müll gelandet worden wären – „gerettete Lebensmittel“, nannte es Thomas Reusch-Frey. Ihre Engagement brachte die Schüler schon bis nach Genf zur UN.

Sie wolle sich dem Vortrag anschließen, sagte Prälatin Arnold zu Beginn: Es gebe einen großen Unterschied zwischen Kritik auf der einen Seite und Hass und Ausgrenzung auf der anderen.

Es sei wichtig zu hören, dass die Kirche nicht unparteiisch bleibe, sondern sich zu zentralen Themen klar positioniere, ergänzte Schwarzelühr-Sutter – bei manchen Themen sei Schweigen Parteinahme.

Seit der Corona-Pandemie, als der Staat wie nie zuvor in das Privatleben der Menschen eingriff, bemerke man eine Zunahme der Aggression und Respektlosigkeit, berichtete die Polizistin Glück: Man wolle Einschränkungen nicht mehr hinnehmen – ein Mann parkte da schon mal ein Einsatzfahrzeug um, das ihn an der Weiterfahrt hinderte. Es gebe Gesetze – aber davor noch Konventionen, Verhaltensregeln – die ließen nach, fand Bundestagsabgeordnete Schwarzelühr-Sutter. Prälatin Arnold stimmte ihr zu und erinnerte an das „biblische Menschenbild“ der gegenseitigen Achtung, das man Jugendlichen wieder beibringen müsse, auch wenn es altmodisch erscheine.

Es gibt „verschieden Arten von Krisen“, wusste Jürgen Knieling. Hilfe und Therapie sei jedoch immer nur dann möglich, wenn man die Krise „an sich heranlässt“, der Weg zur Zuversicht führe zuerst durch die Verzweiflung. Dieses Problem sieht er auch bei aktuelle Krisen wie dem Klimawandel: „Wir lassen es nicht genug an uns heran“, man flüchte sich ins Private und denke, man habe noch Zeit.

Muss die Resilienz in der Gesellschaft gestärkt werden?, fragte Thomas Reusch-Frey. Oft werde das Negative stark betont, fand Schwarzelühr-Sutter – „der größte Teil ist positiv.“ Es sei wichtig, dass man nicht alleine sei, sonst sehe man nur das Negative. Man brauche die Waage, stimmte ihr auch Knieling zu: Es brauche auch Positivbeispiele bei der Auseinandersetzung mit dem Negativen. Für Resilienz sei die christliche Religion das „Urbeispiel“, betonte Arnold: Gerade an Ostern, das mehr sei als ein „Hasenfest“.

„Gibt es Grenzen des Sagbaren?“, war eine weitere Frage. Manchmal müsse man sich darauf einigen, dass man sich nicht einigen könne, da habe man auch schon etwas erreicht, so Knieling. Auch sie frage sich im Privaten, wie sie mit den inakzeptablen Äußerungen der Nachbarin umgehen solle, gab Schwarzelühr-Sutter zu.

„Vier Z’s“ wollte Schwarzelühr-Sutter ans Ende der Diskussion stellen: Zuhören, Zusammenhalt, Zuversicht und Zukunft seien entscheidend, um Herausforderungen als Gesellschaft zu meistern.

 
 
- Anzeige -